Die subversive Gartenpädagogik des Olof Eneroth
Artikel in der Zeitschrift „Die Gartenkunst“, 2010
In den Metamorphosen weiß Ovid von der List des Vertumnus (Abb. 1) zu berichten, dem Gott des Wandels, den es nach Pomona, der Göttin des Obstsegens, gelüstete. In vielfach wechselnder Verkleidung verschaffte er sich Eingang in ihren verschlossenen Garten. Interesse an ihren Gartenfrüchten heuchelnd, gelang es ihm schließlich, die schöne Göttin für sich zu gewinnen. [1]
Ein blumengeschmückter Deckmantel
Dem als „Vater der schwedischen Pomologie“ bekannten Per Olof Emanuel Eneroth (1825-1881, Abb. 2) ging es nach eigenem Bekenntnis weniger um Pomona. [2] Oft beklagte der Verfasser des ersten verlässlichen Werkes über Obstsorten in Schweden die Anstrengung, die seine rastlose Tätigkeit verlangte: „Ich sitze bis über beide Ohren im Apfelmus fest und es wird nicht möglich sein, etwas anders anzufangen, bevor ich es geschafft habe, mich davon zu reinigen.” [3]
Und doch besteht eine Parallele zum Gott des Wandels: Wenn Eneroth, der in Uppsala als Magister der Philosophie promoviert hatte, in seiner Jugend Erfolg für seine Lyrik verzeichnen konnte und Fachbücher in verschiedensten Gebieten geschrieben hatte, sich häufig als einfacher Gärtner vorstellte und jahrzehntelang als Garteninspektor arbeitete, so war dies kein Zeichen übergroßer Bescheidenheit. Neben dem gesundheitlichen Aspekt – Eneroth litt Zeit seines Lebens an einer schwachen Gesundheit – geschah es auch, um gegenüber seinen vermögenden Arbeitgebern seine wahren Absichten zu verhüllen: Eine „gewisse Dreistigkeit“ erklärte er Freunden damit, dass er es sich „in der Volkserziehungsfrage zur Aufgabe gemacht habe, auf alle besser gestellten Gutsbesitzer einzuwirken, mit welchen ich in und durch meine Gartenarbeit in Berührung komme.“ [4] Und wenn er auch nicht gerade die Liebe seiner Zielpersonen gewann, so wurden doch allgemein sein Einsatz für die Gartenkultur und die Volksschulerziehung gerühmt. Er wurde gar zum Vorbild des männlich-sensiblen Helden eines seinerzeit erfolgreichen, auch in Deutsch aufgelegten Bildungsromans. [5] Während Eneroth in zahlreichen Schriften Bildung, Aufklärung und die Beförderung der Gartenkultur propagierte, deuten seine ebenfalls umfangreichen Selbstdarstellungen auf einen berechnenden Umstürzler, der sich des Gartenthemas als Tarnung bediente und „in das Alltagsleben von Millionen Schönheit hineinzugaunern“ suchte. [6] Bis zuletzt ließ er die Frage, welchen Stellenwert er der Gartenkultur für die Entwicklung der Welt und für sich selbst tatsächlich beimaß, in der Schwebe. Sein nicht unbeträchtliches Vermögen bestimmte er, nach seinem Ableben (Abb. 3) solange zu verzinsen, bis die Summe zur Stiftung einer Professur „in der Lehre des Zusammenhanges zwischen Naturgesetzen und der geistigen und körperlichen Natur des Menschen, mit besonderer Berücksichtigung der Erziehung des aufwachsenden Geschlechts zu geistiger und körperlicher Gesundheit“ ausreichen würde. [7] Ein in mehrfacher Hinsicht bemerkenswerter letzter Wille, sparte er doch die Begriffe ‚Gartenkultur’ und ‚Pädagogik’ und damit den Kern seines Lebenswerkes aus. Eneroths weit gefasste Formulierung vermied auch den Term ‚Psychologie’ und gab damit in den 1930er Jahren Anlass zu erbitterten Diskussionen über die Zielrichtung seiner Donation. Nicht zuletzt manifestiert sich darin aber auch, mit welcher Vorausschau – der Olof-Eneroth-Lehrstuhl für Psychologie (Abb. 4) wurde erst 56 Jahre nach seinem Tod eingerichtet – er seine Schritte plante, stets darauf bedacht, „die geistige Beschaffenheit der Trommelfelle aller verschiedenen Zuhörer [zu] berechnen“: [8]
„Aber was mich betrifft, also, weil Du einer von denen bist, die meine Fantasien im Gartenweg zur Kenntnis nehmen – sicher hast Du gemerkt, dass Gartenfragen für mich eigentlich bloß ein Deckmantel sind, ein alter schöner grüner, blumengeschmückter […] Deckmantel für mein Bedürfnis, an der Erhöhung der Volkserziehung und der Volksunterweisung mitzuwirken. Ich bin, wenn ich das selbst sagen darf, eine „anguis in herba” [Schlange im Gras, J.S.] in einer gewissen demokratischen Richtung. Unsere Grafen und Barone und auch ein Teil der alten Gutsbesitzer haben heute einen gewissen Schauder vor – „der Halbbildung des Packs”. Sie sind unzugänglich, wenn man ihnen in dieser Frage direkt ans Leder geht. Kommt man darauf von der Gartenseite, so geht das besser, und auf diese Weise keilt man in die kompakte Masse der gräflich hohen Dummheit in Fragen der Volkserziehung die ein und andere kleine Idee, eingebacken in Spinat und Apfelmus; und – so geht das.“ [9]
„Ehre und Dank dem ehrlichen Arbeiter“
Privat brüstete sich Eneroth des Öfteren mit derartigen Bekenntnissen, öffentlich allerdings wusste er sich in ein anderes Licht zu setzen. Der deutsche Pomologe Eduard Lucas (1816-1882) hatte dem schwedischen Kollegen bescheinigt, gemeinsam „Licht und Wahrheit, Gedeihen und Klarheit immer mehr in die Pomologie und Obstzucht zu bringen“,[10] und nahm nichts von dessen dunkler Seite wahr. Eneroth stützte seinen positiven Leumund durch eine Reihe von autobiographischen Beschreibungen: Seine guten Werke rechne er sich nicht als Verdienst an, er habe lediglich „der inneren Mahnung gehorcht und [sich] als Werkzeug hingegeben, in aller Schwachheit den Mächten der Konventionen trotzend”. [11]
In der Tat, angesichts eines fortschreitenden Nervenleidens, das sich in einer starken Lichtempfindlichkeit der Augen, zitternden Händen und Migräneattacken äußerte, muten seine Agitationen geradezu heroisch an. Bereits die schwedische Autorin Fredrika Bremer (1801-1865, Abb. 5) hatte in Eneroths Leiden ein Gotteszeichen gesehen:
„Ich sehe bei Ihnen einige von diesen Werkzeugen des heiligen Gottes, dazu bestimmt, uns etwas Neues, etwas Besseres zu lehren als das, was wir schon kennen; ich möchte Ihnen zuhören und leise fragen, was der große Meister Sie und uns durch Sie lehren will. [12]
Und auch der finnisch-schwedische Dichter Zacharias Topelius (1818-1898) hielt Eneroth für einen von der Natur Auserkorenen, „einen der Wenigen, welche die Natur erklären“ könnten. [13]
Ein Nachruf auf Eneroth bescheinigte dem Dahingeschiedenen 1881 große Anlagen, jedoch eine vorzeitig gebrochene Kraft. Stets nach Licht und Harmonie drängend, habe er als „ehrlicher Arbeiter“ viel für eine gesündere und natürlichere Entwicklung der nachfolgenden Generationen bewirkt, ohne selbst je vollkommen gesund oder glücklich gewesen zu sein. „In Vielem“ sei er „ein Rätsel für sich selbst und für seine Freunde“ geblieben. [14]
„Die Natur unserer Intelligenz teilhaftig werden lassen“
Was trieb ihn an, den stets Kränklichen, „nervös und mit schwachen Augen, und beständig in Unruhe, auf irgendeine Weise die Pflege seiner Gesundheit zu vernachlässigen“, [15] so rastlos zu arbeiten? Nichts Geringeres als die Veredlung der ganzen Welt:
„Und das Verhältnis des Kultivateurs zur Natur, zur Erde, die er bearbeitet und zu den Geschöpfen der Natur, derer er sich bedient, muss daher als ein im Grunde sittliches Verhältnis bestimmt sein, gründend in der Achtung vor der Macht, welche über die Natur und ihn selbst herrscht, und die ihn zur Veredlung und Verklärung der Natur und ihrer eigenen Geschöpfe eingesetzt hat, und gleichzeitig bestimmt es ihn dazu, sich dabei im Kampf für sein eigenes Dasein gleichzeitig selbst aufrechtzuerhalten und seine Selbstsucht zu bekämpfen.“ [16]
Kern seiner dem deutschen Idealismus nahestehenden Idee war die Überzeugung, im Menschen ein Gegenüber und gleichzeitig ein Teil der Natur zu finden. Als „Kultivateur“ (eine Wortschöpfung von Eneroths Zeitgenosse Daniel Müller) konnte der Mensch die Natur in wissenschaftlicher oder künstlerischer Weise veredeln, etwa durch wissenschaftlich-funktionalen Gartenbau oder durch „Naturverschönerungskunst“, worunter er die Gestaltung von Parks und Landschaften verstand. Doch indem die Natur auf den Menschen zurück wirkte, konnte auch sein Geist der Veredlung teilhaftig werden: demütig, selbstlos und demokratisch. Und als Teil der Natur konnte sich nur im freien Geist des Menschen die Veredlung der Natur auf ihrer höchsten Stufe verwirklichen, nur hier sah Eneroth die Eigengesetzlichkeit der „als ein blind Suchendes“ nach Höherentwicklung strebenden Natur in ihr volles Selbstbewusstsein aufgehen.[17] Die derartig einst vollständig kultivierte Natur sollte ein Abbild der menschlichen Psyche und ihres eigenen, innersten Wesens werden:
„Der Mensch ist der Natur Herr, heißt es.
Nicht bloß sein Herr, ihr Auge ist er.
Wohl erhellt sich in ihm die ganze Natur
Zum Bewusstsein aus sich selbst heraus;
Doch er schreibt keine Gesetze.
Selbst gehorcht er derselben, großen
Weltgesetzgebung, dem Reich der Natur.
Alle Kultivierung der Natur ist zugleich
Des Menschen eigene Kultivierung, und dessen Lebensfrucht,
Die Freiheit, wird nicht der Natur allein,
Sondern auch dem Menschen zuteil. [18]
„Es ist ein ganzer Kulturstrom, der plötzlich durch unsere Provinzen bricht“ [19]
Eneroth bezog sich in der Vorstellung einer wechselseitigen Veredlung von Mensch und Natur auf Schellings Idee einer nach Erkenntnis strebenden Natur, deren Geist über eine dynamische Stufenfolge von Materie, Pflanzen und Tieren schließlich im Kunstschaffen und der philosophischen Erkenntnis des Menschen frei hervortrete. Insbesondere der dynamische Aspekt zeichnete sowohl Schellings Naturphilosophie als auch Eneroths Kultivierungsidee aus, denn nach Letzterem formt und veredelt der Mensch die Natur als Schaffender, der in seinem Tun die der Natur eigene Dynamik weiterführt. Dieser positiv konnotierte Dynamikbegriff entsprach dem zeitgenössischen Fortschrittsoptimismus ebenso wie der ab den 1870er Jahren an Boden gewinnenden Deszendenztheorie nach Darwin. Trotz seines Hanges zur Idealisierung der Hortikultur wirkte Eneroth an der Dekonstruktion der sogenannten ‚romantischen Biologie’ mit, indem er als Pomologe und Gartenbauautor dem materiellen Nutzen der Hortikultur Vorrang vor allen wissenschafts-systematischen Interessen einräumte.
In seinen gartenkulturellen Schriften philosophierte er über das sittliche Verhältnis des Menschen zur Natur und berichtete von vorbildlichen Gartenbauschulen, Baumschulen, Mustergütern und Parks des In- und Auslandes mit dem Ziel, die Gartenkultur Schwedens auf denselben Entwicklungsstand zu befördern, wie sie Wissenschaft und Kunst einnähmen.
Wie keine andere Neuerung nahm Eneroth die im Aufbau befindliche staatliche Eisenbahn als Verkörperung und Medium des Fortschritts wahr. Durch die kleinen Stationsgebäude mit den dazugehörigen Gartenanlagen seien Kunst und Geschmack mit Riesenschritten ins Landesinnere vorgedrungen, und dem ästhetischen Aufschwung würde bald die Aufklärung folgen. Als erster Gartendirektor der Schwedischen Eisenbahn war er Teil dieses neuen „Kulturstroms“.
Andererseits tradierte Eneroths Hoffnung auf einen Weltgarten mit allen Menschen als Kultivateuren den Glauben an die „weltverändernde Potenz des Landschaftsgartens“, [20] aus dem vorigen Jahrhundert nahezu ungebrochen in die Zeit des Industriealismus. Neue „Volksparks“, die Museen ebenso beinhalteten wie Spiel- und Sportplätze sollten ihm die neue Gesellschaft bilden helfen. So begeisterte ihn der New Yorker Central Park ebenso wie die ornamented farms auf dem Kontinent, etwa auf dem schwedischen Mustergut Degeberg.
Gleichzeitig beschwor er mit sozialreformerischen Pathos die Wirkung der neuen Volksschulen mit ihren Schulgärten und führte so ganz in der Tradition der Aufklärung Schönheit und Nutzen zusammen.
Eneroths Einsatz für Schulgärten kommt eine zentrale Bedeutung in seinem Werk zu, sollte doch von dieser Schnittstelle zwischen Volksschulbewegung und Gartenkultur ausgehend die Demokratisierung, Volksbildung und Naturkultivierung einen nachhaltigen Aufschwung nehmen. 1862 legte Eneroth die erste Ausgabe einer schmalen, „Über Schulgärten“ betitelten Monographie zum Thema vor. Hauptzielgruppe seiner Schrift waren Lehrer, Pastoren und die einfache Landbevölkerung. So unspektakulär das Thema auch anmuten mag, damals bewegte es Viele. Stellvertretend für viele philanthropisch gesonnene Gutsbesitzer mag hier Fredrika Bremers prompte Reaktion gelten:
„Am selben Tag, an dem Ihre kleine Schrift über Schulgärten eintraf, las mein Fräulein sie mir zum Abend vor. Sie erfreute mich auch deswegen, weil sie mir Gelegenheit gibt, ein langjähriges Versäumnis nachzuholen. Denn während vieler Jahre meines Lebens auf dem Familiengut Årsta und in dessen obstreichen, aber für alle Kinder außer denen der Herrschaft geschlossenen Garten, trug ich mich mit dem Plan, Beerenbüsche auf den Hügeln vor dem Haus und dem Garten zu pflanzen, auf dass die Kinder der Hütten diese pflücken und nutzen könnten […].“ [21]
Dabei mag es zunächst überraschen, wie einfach Eneroths Musterschulgärten ausgebildet waren. Sie bestanden oft aus kaum mehr als aus einer heckengerahmten Reihe symmetrisch angeordneter Arbeitsbeete, in denen die Kinder unter Anleitung ihres Lehrers Gemüse ziehen und Obstgehölze kultivieren konnten. Grund für diese Simplizität war Eneroths Bestreben, auch mit einfachsten Mitteln realisierbare Anlagen vorzustellen, denn weder von speziell ausgebildeten Lehrkräften noch von nennenswerten Finanzmitteln der kleinen Landschulen konnte er ausgehen. Einzig sein Schulgartenentwurf für eine größere Volksschule bzw. ein Lehrerseminar (Abb. 7) verriet, dass Schulgärten mehr darstellen sollten als Produktionsstätten für Gartenerzeugnisse:
Mochte die Hippodromform des Arbeitsgartens auf die Antike und das Ideal der Ausgewogenheit zwischen geistiger und körperlicher Erziehung verweisen oder lediglich eine Figur zeitgenössischer Gartenkunst aufgreifen, in jedem Fall war sie geeignet, den harmonisch organisierten Nukleus der Kultivierung zu symbolisieren: Im Zentrum standen die Arbeitsbeete der Schüler, deren hier erworbenes gartenbauliches Wissen auf die Umgebung ausstrahlen sollte. Gerahmt waren diese flachen Arbeitsfelder von den höheren Bäumen der Baumschule und der Obstquartiere, welche in ihrer Regelmäßigkeit zu den freieren und höheren Kulissen der Parklandschaft überleiteten. Die Parkbäume wiederum, die im Idealfall aus der eigenen Baumschule kamen, vermittelten in die umgebende Landschaft. Eneroth entwickelte hier äquivalent zu dem aus der landschaftlichen Gartenkunst bekannten Zonierungsprinzip, welches vom Wohnhaus ausgehend über ‚pleasureground’ und Park in die freie Natur ausstrahlte, eine Zonierung, deren Zentrum die bäuerliche/ schulische Feldarbeit darstellte und über den Obstbau und die Gartenkunst letztlich die ganze Landschaft als Abbild des menschlichen Geistes kultivierte. Gebäude stellten in dieser Gartenwelt nur ein Ausstattungsmerkmal dar und waren daher in der Peripherie des Gartens platziert; zentrale Aussage war die wechselseitige Kultivierung von Natur und Mensch im Arbeitsprozess. Während Eneroths Schulgartenpläne in der disziplinierenden Gleichförmigkeit der Arbeitsbeete wie ein Abbild des Unterrichtsraumes mit parallelen Bankreihen und Mittelgang organisiert waren, spiegelte sein Seminargartenplan auf einer komplexeren ideellen und ästhetischen Ebene, wie er die ‚einfachen’ Schulgärten als Vorbereitung und Ausgangspunkt seiner Kultivierungsidee verstand.
Obwohl nur für eine Handvoll Schulgärten belegt, ist anzunehmen, dass Eneroth auf seinen zahlreichen Reisen durch Schweden häufig beratend und mit eigenen Entwürfen tätig geworden ist. Allerdings – und das ist angesichts seines beruflichen und schriftstellerischen Schwerpunktes, der eindeutig bei der Gartenkultur lag, überaus bemerkenswert – deutete er des Öfteren an, dass er der Hortikultur um ihrer selbst willen keine besondere Wertschätzung entgegenbrachte. Er wurde sogar „Pomona und allen anderen Göttinnen untreu“, sobald er auf seinen „Gartenwanderungen ein Gesumme von einer Volksschule“ vernahm. [22]
„Ich würde mich keinen Tag länger damit aufhalten“
„Ich für mein Teil würde mich keinen Tag länger damit (dem Gartenthema) aufhalten, wenn ich es nicht als ein Mittel zum Zweck betrachtete, für welchen es wert ist zu leben. Aber dies ist ein solches Mittel. Der Sittlichkeit und Schönheit unbemerktes Eintreten in die Welt des Bauernstandes und der Landbevölkerung im Allgemeinen kann schwerlich auf einem anderen Weg geschehen, wenigstens nicht auf einem besseren.“ [23]
Neben einem ausgeprägten Sendungsbewusstsein war Eneroth eine besondere Neigung zum Taktieren und eine eigenartige Unstetigkeit eigen, die seine Freunde irritierte und manch Anderen gegen ihn aufbrachte.
Bereits in seiner Studienzeit hatte er sich erfolgreich der Lyrik gewidmet und war von keinem Geringeren als dem berühmten Professor Erik Gustaf Geijer (1783-1847) von der ‚Schwedischen Akademie’ mit einem zweiten Preis ausgezeichnet und mit einem Reisestipendium bedacht worden. Sein Botaniklehrer, den ebenfalls legendären Professor Elias Fries (1794-1878), der einige Hoffnung in den jungen Mann gesetzt hatte, war von Eneroths Hinwendung zur Literatur enttäuscht gewesen. Eneroth machte zwar trotzdem seinen Doktor in Philosophie, und zwar zu einem botanischen Thema, doch noch am Tag seiner Promotion nahm er eine Stelle bei einem Handelsgärtner an, um sich „in die Arme von Mutter Natur“ zu werfen, und das Leben von ursprünglichen Standpunkten kennen zu lernen. [24]
Seine Weigerung, eine ihm offerierte Anstellung im Botanischen Garten zu Wisby anzutreten, und stattdessen eine weniger gut dotierte Stelle im „Schwedischen Gartenverein“ in Stockholm anzunehmen, brachte ihm eine Zurechtweisung Fredrika Bremers ein, die ihm eine Kariere nach dem Vorbild ihres amerikanischen Freundes Andrew Jackson Downing empfohlen hatte, um von der unfruchtbaren Selbstbespiegelung loszukommen, die ihn bereits damals auszeichnete. Als er stattdessen eine Stelle als Lehrer und Sekretär im „Schwedischen Gartenverein“ in Stockholm antrat, weil er sich von dort eine größere Wirksamkeit für die Gartenkultur versprach, geriet er bald mit dem Vereinsvorstand in Konflikt, weil Eneroth dessen Führungsanspruch nicht anerkennen wollte.
Als er daraufhin den Verein ohne dessen Genehmigung verließ und sich von da an selbständig als Garteninspektor, Pomologe und Verfasser sein Einkommen verschaffte, lieferte er sich weiterhin verbale Schlachten mit all denen, die seine unbedingte Hingabe an die Kultivierung nicht teilten.
„Wir leben gleichsam in einem gewissermaßen gespanntem Verhältnis,“ so bekannte Eneroth zum Beispiel über seine Beziehung zum wohlhabenden Graf Seth Adelswärd (Abb. 8), den er bei der Anlage eines Obstgartens unterstützen sollte „seitdem ich frei herausgesagt habe, dass … ja, das was man einem Mann sagen muss, der etwa gegen 100.000 Reichstaler im Jahr für Unnötiges (…) ausgibt, aber noch immer nicht das Mindeste für Volksschulen gemacht hat. (…) – »Rabulist«, »Philanthrop« (…) heißt es auf der einen Seite, »Klotz« … auf der anderen. [25]
Andere Beispiele lassen sich nennen, in denen Eneroth sich mit spitzer Feder gegen Männer wandte, die trotz unbestreitbarer Verdienste um die schwedische Gartenkultur nicht seinen Vorstellungen folgten. Der in Schweden überaus erfolgreiche und belesene Gartenautor Daniel Müller (1812-1857) – übrigens ein enger Freund des Lenné-Nachfolgers Ferdinand Jühlke (1815-1893) – wurde von Eneroth als Gärtner ‚gelobt’, der nicht über die engen Grenzen des eigenen Gartenzauns habe blicken können. Und mit dem erfolgreichen Schulgartenautor Fredrik August Ekström (1819-1901) focht er gar öffentlich eine Auseinandersetzung über gartenkulturelle Kompetenz und Integrität aus.
Eneroths Idealismus war extrem anstrengend, für ihn selbst, wie für seine Mitmenschen. Sein Vergnügen „das Evangelium aller Kreatur zu predigen“ [26] konnte schnell in verletzte Eitelkeit umschlagen, wenn man seinem Werk zuwenig Aufmerksamkeit zollte. Aber eben dieser Idealismus war es, der ihm trotz aller persönlicher Anfechtungen und körperlicher Leiden die Energie zum Weitermachen verlieh: Die „Lebensfragen“, wie das Verhältnis des Menschen zur Natur, waren ihm „eine Frage des Lebens in doppelter Hinsicht ist, insofern als diese Frage mich mehr als irgendetwas Anderes fest am Leben hält, wenn die Schmerzen mich dessen berauben wollen“. [27]
Bleibende Verdienste um die schwedische Gartenkultur
Eneroths persönliche Sperrigkeit sollte jedoch nicht verdecken, dass sein Einsatz für die Gartenkultur in Schweden bleibende Spuren hinterlassen hat. Indem er das ganze Land bereiste, die vorhandenen Obstsorten aufnahm und bewertete (Abb. 10) und mit Hilfe ausländischer Pomologen wie Eduard Lucas, Johann Georg Conrad Oberdieck (1794-1880) und Eduard Regel (1850-1892) über 5000 verschiedene Obstreiser auf Wildlinge in privaten Obstgärten propfen ließ und deren Wuchsverhalten und Fruchtbildung über Jahre aufzeichnete, erarbeitete er im Alleingang die „Schwedische Pomologie“. Es dürfte nicht zuletzt seinem Einsatz für Schulgärten zu danken sein, dass Schweden in den Jahrzehnten um die Wende zum 20. Jahrhundert einen großen Aufschwung der Schulgartenbewegung nahm. [28]
Als Verfasser, der in immer neuen Aspekten die Gartenkultur behandelte, sorgte er dafür, dass das Thema über die engen Fachkreise hinaus zum Beispiel auch in thematisch breiter gefächerten Zeitschriften virulent blieb. Bemerkenswert dabei ist vor allem sein Einsatz in der Geschlechterfrage, in der er frühzeitig für die Emanzipation und eine verstärkte Beteiligung der Frauen in der Gartenkultur Partei ergriff.
Nicht zuletzt dürfte sein verzweigtes Bekannten- und Freundesnetz und seine Begabung, mit der Darstellung des Menschen als Kultivateur zu fesseln, zur Verbreitung des Gartenthemas in den Salons und Herrensitzen und schließlich in die bäuerlichen Schichten beigetragen haben.
Schließlich ist seinem Bewusstsein um die Bedeutung seines Lebenswerkes zu danken, dass bemerkenswert umfangreiches persönliches Quellenmaterial erhalten blieb: Aus den darin abgebildeten Verflechtungen des Gartenthemas in zeitgenössische Diskurse etwa in den Bereichen Botanik, Volksschul- und Frauenbewegung zeigt sich deutlich, welch vielgestaltige Einflüsse den gartenkulturellen Diskurs seiner Zeit bestimmten.
Seine Tätigkeit als Gartengestalter dagegen ist nur an wenigen Beispielen belegt und hat wohl nicht den bedeutendsten Teil seines Schaffens ausgemacht. Bisher der einzige aufgefundene Gartenplan ist sein Vorschlag zur Umgestaltung des Schlossgartens Trolleholm (Abb. 12). [29]
Ob nicht Natur zuletzt sich doch ergründe?
Neben dieser auf die Beförderung der praktischen Gartenkultur ausgerichteten Tätigkeit trat Eneroth in seinen gartenkulturellen und lyrischen Werken auch als gedankenreicher Theoretiker hervor. Vielleicht weil seine Schriften jedoch insofern disparat erscheinen, als sie sowohl recht unterschiedliche Themengebiete betreffen als auch verschiedenen literarischen Genres zuzuordnen sind, ist dies in der gartenhistorischen Forschung bislang nicht thematisiert worden. Das dies jedoch nötig ist, wird an Eneroths Kulturbegriff deutlich:
Als Naturformung und Erziehung des Menschen ist der Gleichklang gärtnerischen und pädagogischen Tuns bereits im lateinischen „cultura” = Landbau, Pflege (des Körpers und Geistes) angelegt und spätestens seit Rousseau zum Allgemeinplatz geworden. Doch Eneroths Zentralbegriff als Klammer zwischen Gartenkultur und Erziehung war nicht das schwedische „kultur”, sondern „odling”, und schien damit eine Differenz zur „cultura” feststellen zu wollen: „Odling“ bedeutet zwar ebenfalls „Anbau, Züchtung, Kultur, Pflanzung“, bildlich auch „Bildung, Kultur, Gesittung“; als substantiviertes Verb verwies es jedoch deutlicher als das lateinische Substantiv auf die zugrundeliegende Tätigkeit und sollte hier als „Kultivierung“ (im Gegensatz zu „Kultur“) widergegeben werden, denn Eneroth ging es darum, dass sich der Mensch durch Tätigkeit, genauer, durch „Arbeit“ an und in der Natur kultiviert.
Kultivierung meinte damit nicht nur das materielle Ergebnis, sondern auch den Prozess: Die Entwicklung der Natur war wiederum Entwicklung. Eneroths Naturbegriff umfasste „natura naturata“ und „natura naturans“, indem die Natur im Menschen durch sich selbst entwickelt wird. Kultivierung bzw. Veredlung oder Erziehung konnte damit gleichzeitig als Neuschöpfung und Entfaltung eines immer schon vorhandenen Naturpotentials begriffen werden.
Seine Naturutopie deklinierte Eneroth weitgehend durch: Die Kultivierung eines Volkes könne nur in einem ausgewogenen Verhältnis körperlicher und geistiger Veredlung gelingen. So sicher wie Gartenkultivierung ein Erziehungsmittel sei, so sicher setze sie einen gewissen Grad allgemeiner Erziehung in einem Volk voraus. [30] Und da nur das Ineinandergreifen der verschiedenen Kultivierungsaspekte schnellen Fortschritt gewähren könne, versuchte er, diese möglichst vollständig abzuhandeln. Dabei unterschied er zwischen äußerer Kultivierung der Natur durch Landwirtschaft, Gartenbau und Naturverschönerung (Parkkunst und Landschaftskunst), und innerer Kultivierung der Natur durch Bildung des Geistes in Intellekt und Moral.
Bei vielen seiner Texte fällt der übergreifende Ansatz ins Auge: In den Volksschulschriften verwies er auf den Gartenbau, im Gartenbau auf die Volksschule, in der Friedhofsfrage und der Gestaltung von Stadtparks ebenfalls. Nicht einmal seine Pomologie verzichtete auf eine umfassende Würdigung der Obstbaumzucht als allgemeiner Kulturträgerin. Körperliche und geistige Gesundheit waren ihm eng miteinander verbunden, innere und äußere Kultivierung der Natur arbeiteten ihm „Hand in Hand in beständiger Ablösung“. [31] Wenn Eneroth trotzdem keine ‚Theorie der Kultivierung’ verfasste, dann vielleicht deshalb, weil er tatsächlich überhaupt keine reale Differenzierung in verschiedene Aspekte der Kultivierung annahm. Die Idee der gegenseitigen Verschränkung aller Bereiche der Kultivierung und sein Bewusstsein für die Unzulänglichkeit der Sprache in Bezug auf eine fortdauernde Schöpfung [32] deuten darauf, dass er seine Erkenntnisse selbst als Aspekte begriff, die sich zusammenhängend kaum beschreiben lassen. Diese Idee gewinnt dadurch an Plausibilität, das Schopenhauer – den Eneroth zu seinen wichtigsten religionsphilosophischen Autoren zählte, einen solchen Gedanken in der ‚Welt als Wille und Vorstellung’ aussprach. [33] Goethes Frage, „Ob nicht Natur zuletzt sich doch ergründe?“, dem Schopenhauerschen Werk vorangestellt, mag dabei Eneroth gleichermaßen aus dem Herzen gesprochen wie den hohen erkenntnistheoretischen Anspruch untermauert haben. [34] Dass er sich zumindest in den letzten Lebensjahren bewusst wurde, diesen Anspruch nicht einlösen zu können, dafür spricht sein Testament, welches durch seine Donation die Klärung des Verhältnisses von Mensch und Natur in die Zukunft verschob.
Der Künstler
Eneroths künstlerisches Lebenswerk aber ist in seinem Selbstentwurf zu suchen.
Väterlicherseits stammte Eneroth aus einer nicht unbedeutenden Familie, sein Großvater war Hofprediger Gustavs III. gewesen. Der Vater jedoch hatte den Großteil seines Vermögens verloren, hatte zuletzt als Gutsverwalter und Garteninspektor gearbeitet und war bereits jung gestorben. Seiner Gattin Eva Cronland war es unter großen Entbehrungen gelungen, Olof und seiner jüngeren Schwester Edla eine Gymnasialausbildung zuteil werden zu lassen. Mit dem Eintritt in die Universität Uppsala und seinem frühen literarischen Erfolg schien sich für Eneroth die Möglichkeit einer künstlerischen Existenz aufzutun. Doch er versuchte dies nicht als Dichter.
Nach einer großen Auslandsreise – dem seit Goethe klassischen Initiationsmotiv – richtete er sein Leben neu aus, und zwar in einer Synthese von poetischer und ‚naturwissenschaftlicher’ Existenz, die sein Studium geprägt hatte: Mit naturromantischen Gestus warf er sich als Gartenarbeiter „in die Arme von Mutter Natur“ um diese „von ursprünglichen Standpunkten“ kennenzulernen. Dieser Schritt war seine erste künstlerische Integrationsleistung. Mit ihm verband er Natur- und Arbeiterromantik; mit der ‚Ursprünglichkeit’ seiner Weltsicht wandte er sich gleichermaßen den volkstümlichen wie den persönlichen Wurzeln zu und setzte seinen neuen Lebensentwurf dort an, wo sein Vater endete. [35] Sein späteres Wirken als Lehrer, zunächst durch seine Naturerklärungen im Bekanntenkreis, später beruflich im ‚Schwedischen Gartenverein’ und in seinen Schriften und schließlich sein Fokus auf die Schuljugend, wies zurück auf das Lebenswerk seiner Mutter, die über 40 Jahre als Erzieherin tätig gewesen war.
Ungewöhnlicher noch als diese tastenden Selbstfindungsversuche sind Eneroths Selbstdarstellungen, die zum Teil erstaunliche Parallelen zu Sören Kierkegaard (Abb. 13) aufweisen. Das Eneroth sich mit Kierkegaards Philosophie eingehend befasste, lässt sich belegen. Sein Selbstkonzept allein auf die Rezeption des dänischen Philosophen zurückzuführen, griffe zwar zu kurz; dennoch ist es bemerkenswert, dass Eneroths Lebensentwurf gerade um 1855 Gestalt annahm, in einer Zeit also, in welcher Kierkegaard durch eine seiner Provokationen in Schweden und auch bei Eneroth persönlich erneut ins Blickfeld rückte.
Beide wuchsen als Halbwaisen mit einer sowohl räumlich als auch gedanklich sehr engen Bindung an das verbliebene Elternteil auf. Eneroth muss mit der Erfahrung „meiner Mutter Zimmer [war] meine Welt“ [36]Kierkegaard gut verstanden haben, wenn dieser von sich erklärte, sein Zuhause habe nicht viele Zerstreuungen geboten, „und da er so gut wie niemals herauskam, wurde er es früh gewohnt, sich mit sich selber zu beschäftigen und mit seinen eignen Gedanken“. [37]
Kierkegaards Bild des an sich selbst „leidenden Dichters“ konnte auch Eneroth mit Einschränkung für sich in Anspruch nehmen. Dass er die Beantwortung „menschlicher Zentralfragen“ wegen des Gefühls unzureichender Kräfte zurückstellen und Gartenarbeit zur Regeneration betreiben musste, scheint zu zeigen, welch große – auch psychische – Belastung der Dichter Eneroth in seinem Tun aushielt. [38] Auch Eneroth neigte nämlich dazu, sich in Selbstbespiegelung zu verlieren, in „unfruchtbare[r] ‚Selbstumarmung’ “ und fürchtete seine Seele könne „gefesselt, gebunden [werden] auf einem engen Platz”. [39] Die Qual solcher „Selbstumarmung” war Kierkegaard als „Reflexions-Martyrium” vertraut. [40] Kierkegaard gewann dieser Qual den Auftrag ab, als Lehrer seiner Mitmenschen „der Welt ein Dorn im Auge“ zu werden. [41] Auch Eneroth verstand sich als „Prediger“, [42] während seine Freunde ihn zum göttlichen Sprachrohr glorifizierten. [43]
Der gute Zweck – die Bildung des Volkes – heiligte nicht nur Eneroth die Mittel. Der Kopenhagener Philosoph formulierte, „selber in Trug verhüllt gehe ich nicht geradenwegs zu Werk, sondern mittelbar und mit Hinterlist, bin kein heiliger Mann, kurz bin gleich einem Spion …” [44] Er bezog sich damit auf seine zahlreichen Pseudonyme, welche für einander widersprechende Weltanschauungen standen und auf sein Versteckspiel mit dem Leser, der nie weiß, welche der Positionen der Autor vertritt. Um den Leser zur Wahrheit zu führen, glaubte Kierkegaard, ihn zunächst betrügen zu müssen.
Die sarkastischen Selbstdarstellungen beider waren bisweilen fast gleichlautend: Kierkegaard schrieb vom „hineintäuschen in die Wahrheit“, [45] Eneroth davon, „in das Alltagsleben von Millionen Schönheit hineinzugaunern“. Denn Eneroth keilte seine Ideen nicht nur in die „gräflich hohe Dummheit“, sondern auch in die große Masse des Volkes, die beständiger Agitation bedurfte: Alle ideelle Arbeit müsse für eine Weile in „Kleingeld“ umgetauscht und unter der Masse in Umlauf gebracht werden: Die eigentliche Idee verstand die Masse nicht, deshalb brauchte es Agitation und „Exponate“, wie Obstbäume an jeder Hütte und mit Rankgewächsen und Blumen an jeder Hausecke geschmückte Landschulhäuser. [46]
Eneroths Outing als „anguis in herba“ und Volks-Agitator hatte eine lange Vorgeschichte, hatte er doch „seit 10 Jahren und länger“ darüber gebrütet, wie „die Ausbreitung des alten kirchlichen Systems für allgemeine Bildung untergraben werden, besiegt werden“ könne. [47] Er selbst brachte dieses subversive Vorgehen mit Kierkegaard in Verbindung:
„Nun denn – im Vertrauen – unter dem ganzen grau-bekleideten, blumigen, fruchttragenden (…) Überbau/ der Gärtnermeister-Verkleidung, ist seit zwanzig Jahren die Hauptfrage (…) immer die Hauptfrage geblieben, die wichtigste Lebensfrage, und die „Wurzel“-Bildung hat niemals aufgehört. (…) Durch Kierkegaard, Örstedt, Martensen und Mynster, – durch Quinet und Micheelet, – durch Vinet und Secrtetan, durch Channing und Parker und schließlich durch die die neuen edlen Männer der französischen Schule, Reville und Colane und Coquid und Scherer ist dieser Weg weitergegangen für den Gartenmann, der unter all diesem ein Gartenmann darin war, dass er „das Evangelium aller Kreatur predigen“ will ( …). [48]
Die Ähnlichkeiten mit dem dänischen Exzentriker sollten jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass sowohl Strategie als auch Inhalt ihrer Täuschungen grundverschieden waren. Zwar nahmen beide verschiedene Rollen an: Kierkegaard durch den inflationären Gebrauch von Pseudonymen und Lebensanschauungen, Eneroth durch den Wechsel zwischen Moralapostel und Schlange; doch während Kierkegaard seinen Leser dazu nötigte, verschiedene Positionen zu durchdenken, zielten Eneroths Argumente immer in dieselbe, positiv verstandene Richtung von Volksbildung und Gartenkultivierung.
Gravierender noch unterschieden sich Beider Weltanschauungen: Wenn Eneroth meinte, er pflanze als Gärtner verkleidet Ästhetik, habe „Ästhetik in jeden einzelnen Apfelbiss gelegt“,[49] so deutete er für sich persönlich eine ästhetische Existenz an, die im Gegensatz zu seiner nach Außen getragenen moralischen Existenz existierte. Für Kierkegaard schlossen sich eine ethische und eine ästhetische Lebensführung voneinander aus und mussten grundsätzlich defizitär bleiben. Allein der Sprung in die Irrationalität des Glaubens vermochte die daraus erwachsende Verzweiflung zu beenden. Indem Kierkegaard den Einzelnen nötigte, die persönliche Unzulänglichkeit und damit die Ungeheuerlichkeit dieses Daseins vor Gott anzuerkennen, war diese Philosophie absolut individuell und massenuntauglich. An dieser Distanz zur Welt schieden sich die Geister: Eneroth verstand die Welt und die Masse nämlich als formbar, glaubte, beide miteinander in Einklang bringen zu können und wollte „sich sowohl in der Politik wie in der Religion nicht nur mit Worten oder bloß kritischer Tätigkeit zufrieden geben“. [50]
Als Werkzeug in den Händen Gottes haben sie sich beide verstanden. [51] Doch während Kierkegaard den verzweifelten Weg ins Innere beschritt, verschrieb sich Eneroth dem sittlich-ästhetischen Fortschritt der Menschheit. Wohl kaum bewusst, formulierte Eneroths Testament („Erziehung des aufwachsenden Geschlechts zu geistiger und körperlicher Gesundheit”)[52] geradezu eine Antithese zu Kierkegaards Idee der „Krankheit zum Tode“.
Philosophisch zwar deutlich unter Kierkegaards Niveau, stellte Eneroths auch die eigene Auflösung berechnender Lebensentwurf dennoch einen seltenen, vielleicht einmaligen künstlerischen Akt dar.
Ein historisches Missverständnis
Eneroths durchaus auch sozialpolitisch gemeinte Propaganda, zu der ein Großteil seiner veröffentlichten Schriften zu rechnen ist, aber auch private Korrespondenz und die Unterminierung der Grundbesitzer war für einen Gartenautor untypisch. Zieht man jedoch in Betracht, dass dies in der Frühzeit der Arbeiterbewegung, der Frauenbewegung, der Durchführung der allgemeinen Schulpflicht und dem Ende der Pädagogik nach Lancaster und Bell geschah, in einer Zeit also, in der soziale Umwälzungen möglich schienen, und Eneroths Biographie zudem die Möglichkeit sozialen Aufstiegs aus eigener Kraft belegte, so sind seine hoffnungsvollen Anstrengungen der ersten Lebensjahrzehnte ebenso erklärlich wie sein Verzweifeln angesichts des ausbleibenden Fortschrittes in sozialer Hinsicht und des eigenen Verfalls in den letzten Jahren. Einem Freund gestand Eneroth bereits 1867, er habe einen verzweifelten Kampf gekämpft, der ihn schließlich auf die Knie gezwungen habe: „und man lässt mich ruhig da liegen. Wehe den Besiegten“. [53]
Wo lag sein Fehler? ist man zu fragen versucht, denn es mutet tragisch an, dass ein ‚Märtyrer der Kultivierung’, als der Eneroth sich trotz seiner Stilisierung zur Schlange verstand, in vorzeitiger Krankheit und Resignation endete. Tatsächlich musste er wohl resignieren, weil die so überzeugende wechselseitige Veredelung des Menschen und der Natur gerade ihn so stiefmütterlich ausnahm und die Gesellschaft sich auch infolge seiner ernsthaftesten Bemühungen wohl kaum entscheidend verbessert hatte.
Sein Fehler lag im schier grenzenlosen Vertrauen auf die Unumkehrbarkeit des Fortschritts, und im naiven Glauben, durch Gartenbau Menschenmassen moralisch bessern zu können. Er hatte Darwin zu gut verstanden, verwechselte wie dieser Modifikation mit Veredlung. Schopenhauer, den Eneroth im Winter 1855/56 doch auch gelesen hatte, hätte ihn darüber belehren können, dass ein Lebenswille auch als blind gedacht werden kann, die Vorstellung einer alles durchdringenden Weltvernunft und ein Fortschritt in der Geschichte durch
[1] Ovid, Metamorphosen 14, 650ff
[2] Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf die im Juni 2009 von der Universität der Künste in Berlin angenommene Dissertation des Verfassers: „Anguis in Herba: Gartenpädagogik und die Veredlung der Welt. Das Lebenswerk des schwedischen Agitators Olof Eneroth (1825-1881)“.
[3] Olof Eneroth, Brief an Sven Adolf Hedlund vom 15.02 1865. Original Göteborgs Universitetsbibliothek, meine Übersetzung.
[4] Olof Eneroth, Brief an Anders Berg vom 07.02. 1862. Original im Schwedischen Reichsarchiv, meine Übersetzung.
[5] Fredrika Bremer, Hertha oder Geschichte einer Seele: Skizze aus dem wirklichen Leben von Friederike Bremer, Stuttgart 1857. Übersetzung aus dem Schwedischen.
[6] Olof Eneroth, Brief an Oscar Patrick Sturzen-Becker vom 30.11. 1864, Original: O.P. Sturzen-Beckers Arkiv im Reichsarchiv Stockholm, meine Übersetzung.
[7] Eneroth, Olof, Testament in: B. Rud. Hall, Eneroths pedagogiska tanke-miljö, Lund 1934, S. 3-4, meine Übersetzung.
[8] Olof Eneroth, Brief an Oscar Elis Leonard Dahm vom 31.03. 1862, Original: Archiv des Nordischen Museums, Stockholm, meine Übersetzung.
[9] Olof Eneroth, Brief an Oscar Elis Leonard Dahm vom 16.02. 1862. Original Archiv des Nordischen Museums, Stockholm, meine Übersetzung.
[10] Lucas, Eduard, Olof Eneroth, in: Illustrirte Monatshefte für Obst- und Weinbau (1868), S. 97-99.
[11] Eneroth, Olof, Sjelfbiografi, in Hall, B. Rud., Eneroths pedagogiska tanke-miljö, Lund 1934, S. 4-11, hier S. 8, meine Übersetzung.
[12] Fredrika Bremer, Brief an Olof Eneroth vom 10.11. 1854. Original: Königliche Bibliothek Stockholm, meine Übersetzung.
[13] Zacharias Topelius, Brief an Olof Eneroth vom 31.05. 1871. Original: Königliche Bibliothek Stockholm, meine Übersetzung.
[14] Minnesrunor. I. Olof Eneroth (1825-1882), in: Tidskrift för hemmet, Heft 6, 1881, S. 315-319. Übersetzung von mir.
[15] N. A. Lundgren, Krönika, S. 196, Trolleholms Gutsarchiv J2:1, Überstzt nach Zitat aus Ahlklo, Åsa Klintborg, Kronan på odlarens verk. Trädgårdens betydelse i uppbygnaden av mönstergodset Trolleholm under 1800-talet, Institut für Landschaftsplanung Alnarp, 2003, S. 40.
[16] Eneroth, Olof, Trädgårdsodling och naturförskoningskonst I, Stockholm1857, S. 14, meine Übersetzung.
[17] Eneroth, Olof, Trädgårdsodling och naturförsköningskonst I, Stockholm 1857, S. 11, meine Übersetzung. Vgl. fast wörtlich bei Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von, Das Verhältnis der bildenden Künste zur Natur, (= ders., Sämmtliche Werke, 1. Abth, 7) Stuttgart; Augsburg 1860, S. 289-330, hier S. 299f.
[18] Eneroth, Olof, Dikter och smärre prosaiska stycken, Stockholm 1881, S. 100, meine Übersetzung.
[19] Eneroth, Olof, Trädgårdsodling och naturförsköningskonst III, Stockholm 1863, S. 38, meine Übersetzung.
[20] Gamper, Michael, „Die Natur ist republikanisch”. Zu den ästhetischen, anthropologischem und politischen Konzepten der deutschen Gartenliteratur im 18. Jahrhundert,
Würzburg 1998, S. I.
[21] Fredrika Bremer, Brief an Olof Eneroth vom 04.03. 1862. Original Königliche Bibliothek Stockholm, meine Übersetzung.
[22] Olof Eneroth, Brief an Oscar Elis Leonard Dahm vom 31.03. 1862. Original Archiv des Nordischen Museums, Stockholm, meine Übersetzung.
[23] Olof Eneroth, Brief an Sven Adolf Hedlund vom 26.12. 1863. Original Reichsarchiv Stockholm, meine Übersetzung.
[24] Eneroth, Olof, Sjelfbiografi, in Hall, B. Rud., Eneroths pedagogiska tanke-miljö, Lund 1934, S. 4-11, hier S. 5, meine Übersetzung.
[25] Olof Eneroth, Brief an Oscar Elis Leonard Dahm vom 16.2. 1862. Original zitiert in Hall, B. Rud, Eneroths Pedagogiska tankemiljö, Lund 1934, S. 51, meine Übersetzung
[26] Olof Eneroth, Brief an Lotten von Kræmer vom 20.11. 1862. Original: Königliche Bibliothek Stockholm, meine Übersetzung.
[27] Olof Eneroth, Brief an Zacharias Topelius vom 06.02. 1869. Original zitiert in Hall, Eneroths Pedagogikprofessur, 1934, S. 59, meine Übersetzung.
[28] Nach Arthur Eimler war die Schulgartenbewegung in Schweden um 1913 sogar führend (Eimer, Arthur, Gärten für die Schule des Lebens, in: Gartenwelt 1913, S. 680-682).
[29] Vgl. Ahlklo, Åsa Klintborg, Kronan på odlarens verk. Trädgårdens betydelse i uppbygnaden av mönstergodset Trolleholm under 1800-talet, Institutionen för landskapsplanering Alnarp, 2003.
[30] Eneroth, Olof, Trädgårdsodling och naturförsköningskonst II, Stockholm 1859, S. 52, meine Übersetzung.
[31] Eneroth, Olof, Trädgårdsodling och naturförskoningskonst I, Stockholm 1857, S. 12, meine Übersetzung.
[32] Vgl. Eneroth, Olof, Handbok i Svensk Pomologi I, 1866, Vorwort.
[33] „Hingegen ein einziger Gedanke muß, so umfassend er auch sein mag, die vollkommenste Einheit bewahren. Läßt er dennoch, zum behuf seiner Mitteilung, sich in Teile zerlegen; so muß doch wieder der Zusammenhang dieser Teile ein organischer […] sein […]. Ein Buch muß inzwischen eine erste und eine letzte Zeile haben und wird insofern einem Organismus allemal sehr unähnlich bleiben, so sehr diesem ähnlich auch immer sein Inhalt seyn mag: folglich werden Form und Stoff hier im Widerspruch stehen.“ [Schopenhauer, Arthur, Die Welt als Wille und Vorstellung, Die Welt als Wille und Vorstellung [=Paul Deussen (Hg.), Arthur Schopenhauers sämtliche Werke, Band 1], München 1911. S. XX].
[34] Ebda, S. XV.
[35] Schon der mit Eneroth befreundete Fridtjuv Berg (1851-1916) hat darin auch den Versuch gesehen, den väterlichen Beruf in einer Form aufzunehmen, die Wissenschaft und Kunst miteinander verbindet [Berg, Fridtjuv, Föredrag om Olof Eneroth, hållet vid diskussionsmöte 8/12 1902,.
in: Bror Rudbeck Hall, Eneroths Pedagogik: Valda uttalanden jämte kortfattad Biografi,
Lund 1928, S. 3-16, hier S. 8.
[36] Eneroth, Olof, Dikter och smärre prosaiska stycken, 1881, S. 17, meine Übersetzung.
[37] Kierkegaard, Sören, Werke, 10, (Philosophische Brocken), Düsseldorf 1952, S. 113.
[38] Eneroth, Olof, Sjelfbiografi, in Hall, B. Rud., Eneroths pedagogiska tanke-miljö, Lund 1934, S. 4-11, hier S. 8, meine Übersetzung.
[39] Hier zitiert Bremer Eneroth [Fredrika Bremer, Brief an Olof Eneroth vom 07.01. 1856, Original: Königliche Bibliothek Stockholm, meine Übersetzung].
[40] Kierkegaard, Werke, 37 (Tagebücher III), Düsseldorf 1952, S. 63.
[41] Ebenda, S. 292.
[42] Olof Eneroth, Brief an Lotten von Kraemer vom 20.11. 1862, Original: Königliche Bibliothek Stockholm.
[43] Fredrika Bremer, Brief an Olof Eneroth vom 10.11. 1854, Original: Königliche Bibliothek Stockholm.
[44] Kierkegaard, Sören, Werke, 33, (=Schriften über sich selbst), Düsseldorf 1951, S. 83. Vgl. Ebd., S. 117.
[45] Ebda, S. 6.
[46] Olof Eneroth, Brief an Oscar Patrik Sturtzen-Becker vom 30.11. 1864. Original Reichsarchiv Stockholm.
[47] Olof Eneroth, Brief an Sven Adolf Hedlund vom 26.12. 1863. Original: Göteborgs Universitetsbibliothek, meine Übersetzung.
[48] Olof Eneroth, Brief an Lotten von Kraemer vom 06.03. 1866, Original Königliche Bibliothek, meine Übersetzung.
[49] Olof Eneroth, Brief an Oscar Patrik Sturtzen-Becker vom 30.11. 1864, Original Reichsarchiv Stockholm, meine Übersetzung.
[50] Eneroth, Olof, Sjelfbiografi, S. 8, meine Übersetzung.
[51] „Ich habe bloß der inneren Mahnung gehorcht und mich als Werkzeug hingegeben” [Eneroth, Sjelfbiografi, 1934, S. 8, meine Übersetzung.
[52] Eneroth, Testament, 1934, S. 3, meine Übersetzung.
[53]Olof Eneroth, Brief an Anders Berg vom 22.03. 1867. Original: Reichsarchiv Stockholm, meine Übersetzung.