Fachartikel: Anguis in herba

Die subversive Gartenpädagogik des Olof Eneroth

Artikel in der Zeitschrift „Die Gartenkunst“, 2010

In den Metamorphosen weiß Ovid von der List des Vertumnus (Abb. 1) zu berichten, dem Gott des Wandels, den es nach Pomona, der Göttin des Obstsegens, gelüstete. In vielfach wechselnder Verkleidung verschaffte er sich Eingang in ihren verschlossenen Garten. Interesse an ihren Gartenfrüchten heuchelnd, gelang es ihm schließlich, die schöne Göttin für sich zu gewinnen. [1]

Ein blumengeschmückter Deckmantel

Dem als „Vater der schwedischen Pomologie“ bekannten Per Olof Emanuel Eneroth (1825-1881, Abb. 2) ging es nach eigenem Bekenntnis weniger um Pomona. [2] Oft beklagte der Verfasser des ersten verlässlichen Werkes über Obstsorten in Schweden die Anstrengung, die seine rastlose Tätigkeit verlangte: „Ich sitze bis über beide Ohren im Apfelmus fest und es wird nicht möglich sein, etwas anders anzufangen, bevor ich es geschafft habe, mich davon zu reinigen.” [3]

Und doch besteht eine Parallele zum Gott des Wandels: Wenn Eneroth, der in Uppsala als Magister der Philosophie promoviert hatte, in seiner Jugend Erfolg für seine Lyrik verzeichnen konnte und Fachbücher in verschiedensten Gebieten geschrieben hatte, sich häufig als einfacher Gärtner vorstellte und jahrzehntelang als Garteninspektor arbeitete, so war dies kein Zeichen übergroßer Bescheidenheit. Neben dem gesundheitlichen Aspekt – Eneroth litt Zeit seines Lebens an einer schwachen Gesundheit – geschah es auch, um gegenüber seinen vermögenden Arbeitgebern seine wahren Absichten zu verhüllen: Eine „gewisse Dreistigkeit“ erklärte er Freunden damit, dass er es sich „in der Volkserziehungsfrage zur Aufgabe gemacht habe, auf alle besser gestellten Gutsbesitzer einzuwirken, mit welchen ich in und durch meine Gartenarbeit in Berührung komme.“ [4] Und wenn er auch nicht gerade die Liebe seiner Zielpersonen gewann, so wurden doch allgemein sein Einsatz für die Gartenkultur und die Volksschulerziehung gerühmt. Er wurde gar zum Vorbild des männlich-sensiblen Helden eines seinerzeit erfolgreichen, auch in Deutsch aufgelegten Bildungsromans. [5] Während Eneroth in zahlreichen Schriften Bildung, Aufklärung und die Beförderung der Gartenkultur propagierte, deuten seine ebenfalls umfangreichen Selbstdarstellungen auf einen berechnenden Umstürzler, der sich des Gartenthemas als Tarnung bediente und „in das Alltagsleben von Millionen Schönheit hineinzugaunern“ suchte. [6] Bis zuletzt ließ er die Frage, welchen Stellenwert er der Gartenkultur für die Entwicklung der Welt und für sich selbst tatsächlich beimaß, in der Schwebe. Sein nicht unbeträchtliches Vermögen bestimmte er, nach seinem Ableben (Abb. 3) solange zu verzinsen, bis die Summe zur Stiftung einer Professur „in der Lehre des Zusammenhanges zwischen Naturgesetzen und der geistigen und körperlichen Natur des Menschen, mit besonderer Berücksichtigung der Erziehung des aufwachsenden Geschlechts zu geistiger und körperlicher Gesundheit“ ausreichen würde. [7] Ein in mehrfacher Hinsicht bemerkenswerter letzter Wille, sparte er doch die Begriffe ‚Gartenkultur’ und ‚Pädagogik’ und damit den Kern seines Lebenswerkes aus. Eneroths weit gefasste Formulierung vermied auch den Term ‚Psychologie’ und gab damit in den 1930er Jahren Anlass zu erbitterten Diskussionen über die Zielrichtung seiner Donation. Nicht zuletzt manifestiert sich darin aber auch, mit welcher Vorausschau – der Olof-Eneroth-Lehrstuhl für Psychologie (Abb. 4) wurde erst 56 Jahre nach seinem Tod eingerichtet – er seine Schritte plante, stets darauf bedacht, „die geistige Beschaffenheit der Trommelfelle aller verschiedenen Zuhörer [zu] berechnen“: [8]

„Aber was mich betrifft, also, weil Du einer von denen bist, die meine Fantasien im Gartenweg zur Kenntnis nehmen – sicher hast Du gemerkt, dass Gartenfragen für mich eigentlich bloß ein Deckmantel sind, ein alter schöner grüner, blumengeschmückter […] Deckmantel für mein Bedürfnis, an der Erhöhung der Volkserziehung und der Volksunterweisung mitzuwirken. Ich bin, wenn ich das selbst sagen darf, eine „anguis in herba” [Schlange im Gras, J.S.] in einer gewissen demokratischen Richtung. Unsere Grafen und Barone und auch ein Teil der alten Gutsbesitzer haben heute einen gewissen Schauder vor – „der Halbbildung des Packs”. Sie sind unzugänglich, wenn man ihnen in dieser Frage direkt ans Leder geht. Kommt man darauf von der Gartenseite, so geht das besser, und auf diese Weise keilt man in die kompakte Masse der gräflich hohen Dummheit in Fragen der Volkserziehung die ein und andere kleine Idee, eingebacken in Spinat und Apfelmus; und – so geht das.“ [9]

„Ehre und Dank dem ehrlichen Arbeiter“

Privat brüstete sich Eneroth des Öfteren mit derartigen Bekenntnissen, öffentlich allerdings wusste er sich in ein anderes Licht zu setzen. Der deutsche Pomologe Eduard Lucas (1816-1882) hatte dem schwedischen Kollegen bescheinigt, gemeinsam „Licht und Wahrheit, Gedeihen und Klarheit immer mehr in die Pomologie und Obstzucht zu bringen“,[10] und nahm nichts von dessen dunkler Seite wahr. Eneroth stützte seinen positiven Leumund durch eine Reihe von autobiographischen Beschreibungen: Seine guten Werke rechne er sich nicht als Verdienst an, er habe lediglich „der inneren Mahnung gehorcht und [sich] als Werkzeug hingegeben, in aller Schwachheit den Mächten der Konventionen trotzend”. [11]

In der Tat, angesichts eines fortschreitenden Nervenleidens, das sich in einer starken Lichtempfindlichkeit der Augen, zitternden Händen und Migräneattacken äußerte, muten seine Agitationen geradezu heroisch an. Bereits die schwedische Autorin Fredrika Bremer (1801-1865, Abb. 5) hatte in Eneroths Leiden ein Gotteszeichen gesehen:

„Ich sehe bei Ihnen einige von diesen Werkzeugen des heiligen Gottes, dazu bestimmt, uns etwas Neues, etwas Besseres zu lehren als das, was wir schon kennen; ich möchte Ihnen zuhören und leise fragen, was der große Meister Sie und uns durch Sie lehren will. [12]

Und auch der finnisch-schwedische Dichter Zacharias Topelius (1818-1898) hielt Eneroth für einen von der Natur Auserkorenen, „einen der Wenigen, welche die Natur erklären“ könnten. [13]

Ein Nachruf auf Eneroth bescheinigte dem Dahingeschiedenen 1881 große Anlagen, jedoch eine vorzeitig gebrochene Kraft. Stets nach Licht und Harmonie drängend, habe er als „ehrlicher Arbeiter“ viel für eine gesündere und natürlichere Entwicklung der nachfolgenden Generationen bewirkt, ohne selbst je vollkommen gesund oder glücklich gewesen zu sein. „In Vielem“ sei er „ein Rätsel für sich selbst und für seine Freunde“ geblieben. [14]

„Die Natur unserer Intelligenz teilhaftig werden lassen“

Was trieb ihn an, den stets Kränklichen, „nervös und mit schwachen Augen, und beständig in Unruhe, auf irgendeine Weise die Pflege seiner Gesundheit zu vernachlässigen“, [15] so rastlos zu arbeiten? Nichts Geringeres als die Veredlung der ganzen Welt:

„Und das Verhältnis des Kultivateurs zur Natur, zur Erde, die er bearbeitet und zu den Geschöpfen der Natur, derer er sich bedient, muss daher als ein im Grunde sittliches Verhältnis bestimmt sein, gründend in der Achtung vor der Macht, welche über die Natur und ihn selbst herrscht, und die ihn zur Veredlung und Verklärung der Natur und ihrer eigenen Geschöpfe eingesetzt hat, und gleichzeitig bestimmt es ihn dazu, sich dabei im Kampf für sein eigenes Dasein gleichzeitig selbst aufrechtzuerhalten und seine Selbstsucht zu bekämpfen.“ [16]

Kern seiner dem deutschen Idealismus nahestehenden Idee war die Überzeugung, im Menschen ein Gegenüber und gleichzeitig ein Teil der Natur zu finden. Als „Kultivateur“ (eine Wortschöpfung von Eneroths Zeitgenosse Daniel Müller) konnte der Mensch die Natur in wissenschaftlicher oder künstlerischer Weise veredeln, etwa durch wissenschaftlich-funktionalen Gartenbau oder durch „Naturverschönerungskunst“, worunter er die Gestaltung von Parks und Landschaften verstand. Doch indem die Natur auf den Menschen zurück wirkte, konnte auch sein Geist der Veredlung teilhaftig werden: demütig, selbstlos und demokratisch. Und als Teil der Natur konnte sich nur im freien Geist des Menschen die Veredlung der Natur auf ihrer höchsten Stufe verwirklichen, nur hier sah Eneroth die Eigengesetzlichkeit der „als ein blind Suchendes“ nach Höherentwicklung strebenden Natur in ihr volles Selbstbewusstsein aufgehen.[17] Die derartig einst vollständig kultivierte Natur sollte ein Abbild der menschlichen Psyche und ihres eigenen, innersten Wesens werden:

„Der Mensch ist der Natur Herr, heißt es.
Nicht bloß sein Herr, ihr Auge ist er.
Wohl erhellt sich in ihm die ganze Natur
Zum Bewusstsein aus sich selbst heraus;
Doch er schreibt keine Gesetze.
Selbst gehorcht er derselben, großen
Weltgesetzgebung, dem Reich der Natur.
Alle Kultivierung der Natur ist zugleich
Des Menschen eigene Kultivierung, und dessen Lebensfrucht,
Die Freiheit, wird nicht der Natur allein,
Sondern auch dem Menschen zuteil. [18]

„Es ist ein ganzer Kulturstrom, der plötzlich durch unsere Provinzen bricht“ [19]

Eneroth bezog sich in der Vorstellung einer wechselseitigen Veredlung von Mensch und Natur auf Schellings Idee einer nach Erkenntnis strebenden Natur, deren Geist über eine dynamische Stufenfolge von Materie, Pflanzen und Tieren schließlich im Kunstschaffen und der philosophischen Erkenntnis des Menschen frei hervortrete. Insbesondere der dynamische Aspekt zeichnete sowohl Schellings Naturphilosophie als auch Eneroths Kultivierungsidee aus, denn nach Letzterem formt und veredelt der Mensch die Natur als Schaffender, der in seinem Tun die der Natur eigene Dynamik weiterführt. Dieser positiv konnotierte Dynamikbegriff entsprach dem zeitgenössischen Fortschrittsoptimismus ebenso wie der ab den 1870er Jahren an Boden gewinnenden Deszendenztheorie nach Darwin. Trotz seines Hanges zur Idealisierung der Hortikultur wirkte Eneroth an der Dekonstruktion der sogenannten ‚romantischen Biologie’ mit, indem er als Pomologe und Gartenbauautor dem materiellen Nutzen der Hortikultur Vorrang vor allen wissenschafts-systematischen Interessen einräumte.

In seinen gartenkulturellen Schriften philosophierte er über das sittliche Verhältnis des Menschen zur Natur und berichtete von vorbildlichen Gartenbauschulen, Baumschulen, Mustergütern und Parks des In- und Auslandes mit dem Ziel, die Gartenkultur Schwedens auf denselben Entwicklungsstand zu befördern, wie sie Wissenschaft und Kunst einnähmen.

Wie keine andere Neuerung nahm Eneroth die im Aufbau befindliche staatliche Eisenbahn als Verkörperung und Medium des Fortschritts wahr. Durch die kleinen Stationsgebäude mit den dazugehörigen Gartenanlagen seien Kunst und Geschmack mit Riesenschritten ins Landesinnere vorgedrungen, und dem ästhetischen Aufschwung würde bald die Aufklärung folgen. Als erster Gartendirektor der Schwedischen Eisenbahn war er Teil dieses neuen „Kulturstroms“.

Andererseits tradierte Eneroths Hoffnung auf einen Weltgarten mit allen Menschen als Kultivateuren den Glauben an die „weltverändernde Potenz des Landschaftsgartens“, [20] aus dem vorigen Jahrhundert nahezu ungebrochen in die Zeit des Industriealismus. Neue „Volksparks“, die Museen ebenso beinhalteten wie Spiel- und Sportplätze sollten ihm die neue Gesellschaft bilden helfen. So begeisterte ihn der New Yorker Central Park ebenso wie die ornamented farms auf dem Kontinent, etwa auf dem schwedischen Mustergut Degeberg.

Gleichzeitig beschwor er mit sozialreformerischen Pathos die Wirkung der neuen Volksschulen mit ihren Schulgärten und führte so ganz in der Tradition der Aufklärung Schönheit und Nutzen zusammen.

Eneroths Einsatz für Schulgärten kommt eine zentrale Bedeutung in seinem Werk zu, sollte doch von dieser Schnittstelle zwischen Volksschulbewegung und Gartenkultur ausgehend die Demokratisierung, Volksbildung und Naturkultivierung einen nachhaltigen Aufschwung nehmen. 1862 legte Eneroth die erste Ausgabe einer schmalen, „Über Schulgärten“ betitelten Monographie zum Thema vor. Hauptzielgruppe seiner Schrift waren Lehrer, Pastoren und die einfache Landbevölkerung. So unspektakulär das Thema auch anmuten mag, damals bewegte es Viele. Stellvertretend für viele philanthropisch gesonnene Gutsbesitzer mag hier Fredrika Bremers prompte Reaktion gelten:

„Am selben Tag, an dem Ihre kleine Schrift über Schulgärten eintraf, las mein Fräulein sie mir zum Abend vor. Sie erfreute mich auch deswegen, weil sie mir Gelegenheit gibt, ein langjähriges Versäumnis nachzuholen. Denn während vieler Jahre meines Lebens auf dem Familiengut Årsta und in dessen obstreichen, aber für alle Kinder außer denen der Herrschaft geschlossenen Garten, trug ich mich mit dem Plan, Beerenbüsche auf den Hügeln vor dem Haus und dem Garten zu pflanzen, auf dass die Kinder der Hütten diese pflücken und nutzen könnten […].“ [21]

Dabei mag es zunächst überraschen, wie einfach Eneroths Musterschulgärten ausgebildet waren. Sie bestanden oft aus kaum mehr als aus einer heckengerahmten Reihe symmetrisch angeordneter Arbeitsbeete, in denen die Kinder unter Anleitung ihres Lehrers Gemüse ziehen und Obstgehölze kultivieren konnten. Grund für diese Simplizität war Eneroths Bestreben, auch mit einfachsten Mitteln realisierbare Anlagen vorzustellen, denn weder von speziell ausgebildeten Lehrkräften noch von nennenswerten Finanzmitteln der kleinen Landschulen konnte er ausgehen. Einzig sein Schulgartenentwurf für eine größere Volksschule bzw. ein Lehrerseminar (Abb. 7) verriet, dass Schulgärten mehr darstellen sollten als Produktionsstätten für Gartenerzeugnisse:

Mochte die Hippodromform des Arbeitsgartens auf die Antike und das Ideal der Ausgewogenheit zwischen geistiger und körperlicher Erziehung verweisen oder lediglich eine Figur zeitgenössischer Gartenkunst aufgreifen, in jedem Fall war sie geeignet, den harmonisch organisierten Nukleus der Kultivierung zu symbolisieren: Im Zentrum standen die Arbeitsbeete der Schüler, deren hier erworbenes gartenbauliches Wissen auf die Umgebung ausstrahlen sollte. Gerahmt waren diese flachen Arbeitsfelder von den höheren Bäumen der Baumschule und der Obstquartiere, welche in ihrer Regelmäßigkeit zu den freieren und höheren Kulissen der Parklandschaft überleiteten. Die Parkbäume wiederum, die im Idealfall aus der eigenen Baumschule kamen, vermittelten in die umgebende Landschaft. Eneroth entwickelte hier äquivalent zu dem aus der landschaftlichen Gartenkunst bekannten Zonierungsprinzip, welches vom Wohnhaus ausgehend über ‚pleasureground’ und Park in die freie Natur ausstrahlte, eine Zonierung, deren Zentrum die bäuerliche/ schulische Feldarbeit darstellte und über den Obstbau und die Gartenkunst letztlich die ganze Landschaft als Abbild des menschlichen Geistes kultivierte. Gebäude stellten in dieser Gartenwelt nur ein Ausstattungsmerkmal dar und waren daher in der Peripherie des Gartens platziert; zentrale Aussage war die wechselseitige Kultivierung von Natur und Mensch im Arbeitsprozess. Während Eneroths Schulgartenpläne in der disziplinierenden Gleichförmigkeit der Arbeitsbeete wie ein Abbild des Unterrichtsraumes mit parallelen Bankreihen und Mittelgang organisiert waren, spiegelte sein Seminargartenplan auf einer komplexeren ideellen und ästhetischen Ebene, wie er die ‚einfachen’ Schulgärten als Vorbereitung und Ausgangspunkt seiner Kultivierungsidee verstand.

Obwohl nur für eine Handvoll Schulgärten belegt, ist anzunehmen, dass Eneroth auf seinen zahlreichen Reisen durch Schweden häufig beratend und mit eigenen Entwürfen tätig geworden ist. Allerdings – und das ist angesichts seines beruflichen und schriftstellerischen Schwerpunktes, der eindeutig bei der Gartenkultur lag, überaus bemerkenswert – deutete er des Öfteren an, dass er der Hortikultur um ihrer selbst willen keine besondere Wertschätzung entgegenbrachte. Er wurde sogar „Pomona und allen anderen Göttinnen untreu“, sobald er auf seinen „Gartenwanderungen ein Gesumme von einer Volksschule“ vernahm. [22]

„Ich würde mich keinen Tag länger damit aufhalten“

„Ich für mein Teil würde mich keinen Tag länger damit (dem Gartenthema) aufhalten, wenn ich es nicht als ein Mittel zum Zweck betrachtete, für welchen es wert ist zu leben. Aber dies ist ein solches Mittel. Der Sittlichkeit und Schönheit unbemerktes Eintreten in die Welt des Bauernstandes und der Landbevölkerung im Allgemeinen kann schwerlich auf einem anderen Weg geschehen, wenigstens nicht auf einem besseren.“  [23]

Neben einem ausgeprägten Sendungsbewusstsein war Eneroth eine besondere Neigung zum Taktieren und eine eigenartige Unstetigkeit eigen, die seine Freunde irritierte und manch Anderen gegen ihn aufbrachte.

Bereits in seiner Studienzeit hatte er sich erfolgreich der Lyrik gewidmet und war von keinem Geringeren als dem berühmten Professor Erik Gustaf Geijer (1783-1847) von der ‚Schwedischen Akademie’ mit einem zweiten Preis ausgezeichnet und mit einem Reisestipendium bedacht worden. Sein Botaniklehrer, den ebenfalls legendären Professor Elias Fries (1794-1878), der einige Hoffnung in den jungen Mann gesetzt hatte, war von Eneroths Hinwendung zur Literatur enttäuscht gewesen. Eneroth machte zwar trotzdem seinen Doktor in Philosophie, und zwar zu einem botanischen Thema, doch noch am Tag seiner Promotion nahm er eine Stelle bei einem Handelsgärtner an, um sich „in die Arme von Mutter Natur“ zu werfen, und das Leben von ursprünglichen Standpunkten kennen zu lernen. [24]

Seine Weigerung, eine ihm offerierte Anstellung im Botanischen Garten zu Wisby anzutreten, und stattdessen eine weniger gut dotierte Stelle im „Schwedischen Gartenverein“ in Stockholm anzunehmen, brachte ihm eine Zurechtweisung Fredrika Bremers ein, die ihm eine Kariere nach dem Vorbild ihres amerikanischen Freundes Andrew Jackson Downing empfohlen hatte, um von der unfruchtbaren Selbstbespiegelung loszukommen, die ihn bereits damals auszeichnete. Als er stattdessen eine Stelle als Lehrer und Sekretär im „Schwedischen Gartenverein“ in Stockholm antrat, weil er sich von dort eine größere Wirksamkeit für die Gartenkultur versprach, geriet er bald mit dem Vereinsvorstand in Konflikt, weil Eneroth dessen Führungsanspruch nicht anerkennen wollte.

Als er daraufhin den Verein ohne dessen Genehmigung verließ und sich von da an selbständig als Garteninspektor, Pomologe und Verfasser sein Einkommen verschaffte, lieferte er sich weiterhin verbale Schlachten mit all denen, die seine unbedingte Hingabe an die Kultivierung nicht teilten.

„Wir leben gleichsam in einem gewissermaßen gespanntem Verhältnis,“ so bekannte Eneroth zum Beispiel über seine Beziehung zum wohlhabenden Graf Seth Adelswärd (Abb. 8), den er bei der Anlage eines Obstgartens unterstützen sollte „seitdem ich frei herausgesagt habe, dass … ja, das was man einem Mann sagen muss, der etwa gegen 100.000 Reichstaler im Jahr für Unnötiges (…) ausgibt, aber noch immer nicht das Mindeste für Volksschulen gemacht hat.  (…) – »Rabulist«, »Philanthrop« (…) heißt es auf der einen Seite, »Klotz« … auf der anderen. [25]

Andere Beispiele lassen sich nennen, in denen Eneroth sich mit spitzer Feder gegen Männer wandte, die trotz unbestreitbarer Verdienste um die schwedische Gartenkultur nicht seinen Vorstellungen folgten. Der in Schweden überaus erfolgreiche und belesene Gartenautor Daniel Müller (1812-1857) – übrigens ein enger Freund des Lenné-Nachfolgers Ferdinand Jühlke (1815-1893) –  wurde von Eneroth als Gärtner ‚gelobt’, der nicht über die engen Grenzen des eigenen Gartenzauns habe blicken können. Und mit dem erfolgreichen Schulgartenautor Fredrik August Ekström (1819-1901) focht er gar öffentlich eine Auseinandersetzung über gartenkulturelle Kompetenz und Integrität aus.

Eneroths Idealismus war extrem anstrengend, für ihn selbst, wie für seine Mitmenschen. Sein Vergnügen „das Evangelium aller Kreatur zu predigen“ [26] konnte schnell in verletzte Eitelkeit umschlagen, wenn man seinem Werk zuwenig Aufmerksamkeit zollte. Aber eben dieser Idealismus war es, der ihm trotz aller persönlicher Anfechtungen und körperlicher Leiden die Energie zum Weitermachen verlieh: Die „Lebensfragen“, wie das Verhältnis des Menschen zur Natur, waren ihm „eine Frage des Lebens in doppelter Hinsicht ist, insofern als diese Frage mich mehr als irgendetwas Anderes fest am Leben hält, wenn die Schmerzen mich dessen berauben wollen“. [27]

Bleibende Verdienste um die schwedische Gartenkultur

Eneroths persönliche Sperrigkeit sollte jedoch nicht verdecken, dass sein Einsatz für die Gartenkultur in Schweden bleibende Spuren hinterlassen hat. Indem er das ganze Land bereiste, die vorhandenen Obstsorten aufnahm und bewertete (Abb. 10) und mit Hilfe ausländischer Pomologen wie Eduard Lucas, Johann Georg Conrad Oberdieck (1794-1880) und Eduard Regel (1850-1892) über 5000 verschiedene Obstreiser auf Wildlinge in privaten Obstgärten propfen ließ und deren Wuchsverhalten und Fruchtbildung über Jahre aufzeichnete, erarbeitete er im Alleingang die „Schwedische Pomologie“. Es dürfte nicht zuletzt seinem Einsatz für Schulgärten zu danken sein, dass Schweden in den Jahrzehnten um die Wende zum 20. Jahrhundert einen großen Aufschwung der Schulgartenbewegung nahm. [28]

Als Verfasser, der in immer neuen Aspekten die Gartenkultur behandelte, sorgte er dafür, dass das Thema über die engen Fachkreise hinaus zum Beispiel auch in thematisch breiter gefächerten Zeitschriften virulent blieb. Bemerkenswert dabei ist vor allem sein Einsatz in der Geschlechterfrage, in der er frühzeitig für die Emanzipation und eine verstärkte Beteiligung der Frauen in der Gartenkultur Partei ergriff.

Nicht zuletzt dürfte sein verzweigtes Bekannten- und Freundesnetz und seine Begabung, mit der Darstellung des Menschen als Kultivateur zu fesseln, zur Verbreitung des Gartenthemas in den Salons und Herrensitzen und schließlich in die bäuerlichen Schichten beigetragen haben.

Schließlich ist seinem Bewusstsein um die Bedeutung seines Lebenswerkes zu danken, dass bemerkenswert umfangreiches persönliches Quellenmaterial erhalten blieb: Aus den darin abgebildeten Verflechtungen des Gartenthemas in zeitgenössische Diskurse etwa in den Bereichen Botanik, Volksschul- und Frauenbewegung zeigt sich deutlich, welch vielgestaltige Einflüsse den gartenkulturellen Diskurs seiner Zeit bestimmten.

Seine Tätigkeit als Gartengestalter dagegen ist nur an wenigen Beispielen belegt und hat wohl nicht den bedeutendsten Teil seines Schaffens ausgemacht. Bisher der einzige aufgefundene Gartenplan ist sein Vorschlag zur Umgestaltung des Schlossgartens Trolleholm (Abb. 12). [29]

Ob nicht Natur zuletzt sich doch ergründe?

Neben dieser auf die Beförderung der praktischen Gartenkultur ausgerichteten Tätigkeit trat Eneroth in seinen gartenkulturellen und lyrischen Werken auch als gedankenreicher Theoretiker hervor. Vielleicht weil seine Schriften jedoch insofern disparat erscheinen, als sie sowohl recht unterschiedliche Themengebiete betreffen als auch verschiedenen literarischen Genres zuzuordnen sind, ist dies in der gartenhistorischen Forschung bislang nicht thematisiert worden. Das dies jedoch nötig ist, wird an Eneroths Kulturbegriff deutlich:

Als Naturformung und Erziehung des Menschen ist der Gleichklang gärtnerischen und pädagogischen Tuns bereits im lateinischen „cultura” = Landbau, Pflege (des Körpers und Geistes) angelegt und spätestens seit Rousseau zum Allgemeinplatz geworden. Doch Eneroths Zentralbegriff als Klammer zwischen Gartenkultur und Erziehung war nicht das schwedische „kultur”, sondern „odling”, und schien damit eine Differenz zur „cultura” feststellen zu wollen: „Odling“ bedeutet zwar ebenfalls „Anbau, Züchtung, Kultur, Pflanzung“, bildlich auch „Bildung, Kultur, Gesittung“; als substantiviertes Verb verwies es jedoch deutlicher als das lateinische Substantiv auf die zugrundeliegende Tätigkeit und sollte hier als „Kultivierung“ (im Gegensatz zu „Kultur“) widergegeben werden, denn Eneroth ging es darum, dass sich der Mensch durch Tätigkeit, genauer, durch „Arbeit“ an und in der Natur kultiviert.

Kultivierung meinte damit nicht nur das materielle Ergebnis, sondern auch den Prozess: Die Entwicklung der Natur war wiederum Entwicklung. Eneroths Naturbegriff umfasste „natura naturata“ und „natura naturans“, indem die Natur im Menschen durch sich selbst entwickelt wird. Kultivierung bzw. Veredlung oder Erziehung konnte damit gleichzeitig als Neuschöpfung und Entfaltung eines immer schon vorhandenen Naturpotentials begriffen werden.

Seine Naturutopie deklinierte Eneroth weitgehend durch: Die Kultivierung eines Volkes könne nur in einem ausgewogenen Verhältnis körperlicher und geistiger Veredlung gelingen. So sicher wie Gartenkultivierung ein Erziehungsmittel sei, so sicher setze sie einen gewissen Grad allgemeiner Erziehung in einem Volk voraus. [30] Und da nur das Ineinandergreifen der verschiedenen Kultivierungsaspekte schnellen Fortschritt gewähren könne, versuchte er, diese möglichst vollständig abzuhandeln. Dabei unterschied er zwischen äußerer Kultivierung der Natur durch Landwirtschaft, Gartenbau und Naturverschönerung (Parkkunst und Landschaftskunst), und innerer Kultivierung der Natur durch Bildung des Geistes in Intellekt und Moral.

Bei vielen seiner Texte fällt der übergreifende Ansatz ins Auge: In den Volksschulschriften verwies er auf den Gartenbau, im Gartenbau auf die Volksschule, in der Friedhofsfrage und der Gestaltung von Stadtparks ebenfalls. Nicht einmal seine Pomologie verzichtete auf eine umfassende Würdigung der Obstbaumzucht als allgemeiner Kulturträgerin. Körperliche und geistige Gesundheit waren ihm eng miteinander verbunden, innere und äußere Kultivierung der Natur arbeiteten ihm „Hand in Hand in beständiger Ablösung“. [31] Wenn Eneroth trotzdem keine ‚Theorie der Kultivierung’ verfasste, dann vielleicht deshalb, weil er tatsächlich überhaupt keine reale Differenzierung in verschiedene Aspekte der Kultivierung annahm. Die Idee der gegenseitigen Verschränkung aller Bereiche der Kultivierung und sein Bewusstsein für die Unzulänglichkeit der Sprache in Bezug auf eine fortdauernde Schöpfung [32] deuten darauf, dass er seine Erkenntnisse selbst als Aspekte begriff, die sich zusammenhängend kaum beschreiben lassen. Diese Idee gewinnt dadurch an Plausibilität, das Schopenhauer – den Eneroth zu seinen wichtigsten religionsphilosophischen Autoren zählte, einen solchen Gedanken in der ‚Welt als Wille und Vorstellung’ aussprach. [33] Goethes Frage, „Ob nicht Natur zuletzt sich doch ergründe?“, dem Schopenhauerschen Werk vorangestellt, mag dabei Eneroth gleichermaßen aus dem Herzen gesprochen wie den hohen erkenntnistheoretischen Anspruch untermauert haben. [34] Dass er sich zumindest in den letzten Lebensjahren bewusst wurde, diesen Anspruch nicht einlösen zu können, dafür spricht sein Testament, welches durch seine Donation die Klärung des Verhältnisses von Mensch und Natur in die Zukunft verschob.

Der Künstler

Eneroths künstlerisches Lebenswerk aber ist in seinem Selbstentwurf zu suchen.

Väterlicherseits stammte Eneroth aus einer nicht unbedeutenden Familie, sein Großvater war Hofprediger Gustavs III. gewesen. Der Vater jedoch hatte den Großteil seines Vermögens verloren, hatte zuletzt als Gutsverwalter und Garteninspektor gearbeitet und war bereits jung gestorben. Seiner Gattin Eva Cronland war es unter großen Entbehrungen gelungen, Olof und seiner jüngeren Schwester Edla eine Gymnasialausbildung zuteil werden zu lassen. Mit dem Eintritt in die Universität Uppsala und seinem frühen literarischen Erfolg schien sich für Eneroth die Möglichkeit einer künstlerischen Existenz aufzutun. Doch er versuchte dies nicht als Dichter.

Nach einer großen Auslandsreise – dem seit Goethe klassischen Initiationsmotiv – richtete er sein Leben neu aus, und zwar in einer Synthese von poetischer und ‚naturwissenschaftlicher’ Existenz, die sein Studium geprägt hatte: Mit naturromantischen Gestus warf er sich als Gartenarbeiter „in die Arme von Mutter Natur“ um diese „von ursprünglichen Standpunkten“ kennenzulernen. Dieser Schritt war seine erste künstlerische Integrationsleistung. Mit ihm verband er Natur- und Arbeiterromantik; mit der ‚Ursprünglichkeit’ seiner Weltsicht wandte er sich gleichermaßen den volkstümlichen wie den persönlichen Wurzeln zu und setzte seinen neuen Lebensentwurf dort an, wo sein Vater endete. [35] Sein späteres Wirken als Lehrer, zunächst durch seine Naturerklärungen im Bekanntenkreis, später beruflich im ‚Schwedischen Gartenverein’ und in seinen Schriften und schließlich sein Fokus auf die Schuljugend, wies zurück auf das Lebenswerk seiner Mutter, die über 40 Jahre als Erzieherin tätig gewesen war.

Ungewöhnlicher noch als diese tastenden Selbstfindungsversuche sind Eneroths Selbstdarstellungen, die zum Teil erstaunliche Parallelen zu Sören Kierkegaard (Abb. 13) aufweisen. Das Eneroth sich mit Kierkegaards Philosophie eingehend befasste, lässt sich belegen. Sein Selbstkonzept allein auf die Rezeption des dänischen Philosophen zurückzuführen, griffe zwar zu kurz; dennoch ist es bemerkenswert, dass Eneroths Lebensentwurf gerade um 1855 Gestalt annahm, in einer Zeit also, in welcher Kierkegaard durch eine seiner Provokationen in Schweden und auch bei Eneroth persönlich erneut ins Blickfeld rückte.

Beide wuchsen als Halbwaisen mit einer sowohl räumlich als auch gedanklich sehr engen Bindung an das verbliebene Elternteil auf. Eneroth muss mit der Erfahrung „meiner Mutter Zimmer [war] meine Welt“ [36]Kierkegaard gut verstanden haben, wenn dieser von sich erklärte, sein Zuhause habe nicht viele Zerstreuungen geboten, „und da er so gut wie niemals herauskam, wurde er es früh gewohnt, sich mit sich selber zu beschäftigen und mit seinen eignen Gedanken“[37]

Kierkegaards Bild des an sich selbst „leidenden Dichters“ konnte auch Eneroth mit Einschränkung für sich in Anspruch nehmen. Dass er die Beantwortung „menschlicher Zentralfragen“ wegen des Gefühls unzureichender Kräfte zurückstellen und Gartenarbeit zur Regeneration betreiben musste, scheint zu zeigen, welch große – auch psychische – Belastung der Dichter Eneroth in seinem Tun aushielt. [38] Auch Eneroth neigte nämlich dazu, sich in Selbstbespiegelung zu verlieren, in „unfruchtbare[r] ‚Selbstumarmung’ “ und fürchtete seine Seele könne „gefesselt, gebunden [werden] auf einem engen Platz”. [39] Die Qual solcher „Selbstumarmung” war Kierkegaard als „Reflexions-Martyrium” vertraut. [40] Kierkegaard gewann dieser Qual den Auftrag ab, als Lehrer seiner Mitmenschen „der Welt ein Dorn im Auge“ zu werden. [41] Auch Eneroth verstand sich als „Prediger“, [42] während seine Freunde ihn zum göttlichen Sprachrohr glorifizierten. [43]

Der gute Zweck – die Bildung des Volkes – heiligte nicht nur Eneroth die Mittel. Der Kopenhagener Philosoph formulierte, „selber in Trug verhüllt gehe ich nicht geradenwegs zu Werk, sondern mittelbar und mit Hinterlist, bin kein heiliger Mann, kurz bin gleich einem Spion …” [44] Er bezog sich damit auf seine zahlreichen Pseudonyme, welche für einander widersprechende Weltanschauungen standen und auf sein Versteckspiel mit dem Leser, der nie weiß, welche der Positionen der Autor vertritt. Um den Leser zur Wahrheit zu führen, glaubte Kierkegaard, ihn zunächst betrügen zu müssen.

Die sarkastischen Selbstdarstellungen beider waren bisweilen fast gleichlautend: Kierkegaard schrieb vom „hineintäuschen in die Wahrheit“, [45] Eneroth davon, „in das Alltagsleben von Millionen Schönheit hineinzugaunern“. Denn Eneroth keilte seine Ideen nicht nur in die „gräflich hohe Dummheit“, sondern auch in die große Masse des Volkes, die beständiger Agitation bedurfte: Alle ideelle Arbeit müsse für eine Weile in „Kleingeld“ umgetauscht und unter der Masse in Umlauf gebracht werden: Die eigentliche Idee verstand die Masse nicht, deshalb brauchte es Agitation und „Exponate“, wie Obstbäume an jeder Hütte und mit Rankgewächsen und Blumen an jeder Hausecke geschmückte Landschulhäuser. [46]

Eneroths Outing als „anguis in herba“ und Volks-Agitator hatte eine lange Vorgeschichte, hatte er doch „seit 10 Jahren und länger“ darüber gebrütet, wie „die Ausbreitung des alten kirchlichen Systems für allgemeine Bildung untergraben werden, besiegt werden“ könne. [47] Er selbst brachte dieses subversive Vorgehen mit Kierkegaard in Verbindung:

„Nun denn – im Vertrauen – unter dem ganzen grau-bekleideten, blumigen, fruchttragenden (…) Überbau/ der Gärtnermeister-Verkleidung, ist seit zwanzig Jahren die Hauptfrage (…) immer die Hauptfrage geblieben, die wichtigste Lebensfrage, und die „Wurzel“-Bildung hat niemals aufgehört. (…) Durch Kierkegaard, Örstedt, Martensen und Mynster, – durch Quinet und Micheelet, – durch Vinet und Secrtetan, durch Channing und Parker und schließlich durch die die neuen edlen Männer der französischen Schule, Reville und Colane und Coquid und Scherer ist dieser Weg weitergegangen für den Gartenmann, der unter all diesem ein Gartenmann darin war, dass er „das Evangelium aller Kreatur predigen“ will ( …). [48]

Die Ähnlichkeiten mit dem dänischen Exzentriker sollten jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass sowohl Strategie als auch Inhalt ihrer Täuschungen grundverschieden waren. Zwar nahmen beide verschiedene Rollen an: Kierkegaard durch den inflationären Gebrauch von Pseudonymen und Lebensanschauungen, Eneroth durch den Wechsel zwischen Moralapostel und Schlange; doch während Kierkegaard seinen Leser dazu nötigte, verschiedene Positionen zu durchdenken, zielten Eneroths Argumente immer in dieselbe, positiv verstandene Richtung von Volksbildung und Gartenkultivierung.

Gravierender noch unterschieden sich Beider Weltanschauungen: Wenn Eneroth meinte, er pflanze als Gärtner verkleidet Ästhetik, habe „Ästhetik in jeden einzelnen Apfelbiss gelegt“,[49] so deutete er für sich persönlich eine ästhetische Existenz an, die im Gegensatz zu seiner nach Außen getragenen moralischen Existenz existierte. Für Kierkegaard schlossen sich eine ethische und eine ästhetische Lebensführung voneinander aus und mussten grundsätzlich defizitär bleiben. Allein der Sprung in die Irrationalität des Glaubens vermochte die daraus erwachsende Verzweiflung zu beenden. Indem Kierkegaard den Einzelnen nötigte, die persönliche Unzulänglichkeit und damit die Ungeheuerlichkeit dieses Daseins vor Gott anzuerkennen, war diese Philosophie absolut individuell und massenuntauglich. An dieser Distanz zur Welt schieden sich die Geister: Eneroth verstand die Welt und die Masse nämlich als formbar, glaubte, beide miteinander in Einklang bringen zu können und wollte „sich sowohl in der Politik wie in der Religion nicht nur mit Worten oder bloß kritischer Tätigkeit zufrieden geben“. [50]

Als Werkzeug in den Händen Gottes haben sie sich beide verstanden. [51] Doch während Kierkegaard den verzweifelten Weg ins Innere beschritt, verschrieb sich Eneroth dem sittlich-ästhetischen Fortschritt der Menschheit. Wohl kaum bewusst, formulierte Eneroths Testament („Erziehung des aufwachsenden Geschlechts zu geistiger und körperlicher Gesundheit”)[52] geradezu eine Antithese zu Kierkegaards Idee der „Krankheit zum Tode“.

Philosophisch zwar deutlich unter Kierkegaards Niveau, stellte Eneroths auch die eigene Auflösung berechnender Lebensentwurf dennoch einen seltenen, vielleicht einmaligen künstlerischen Akt dar.

Ein historisches Missverständnis

Eneroths durchaus auch sozialpolitisch gemeinte Propaganda, zu der ein Großteil seiner veröffentlichten Schriften zu rechnen ist, aber auch private Korrespondenz und die Unterminierung der Grundbesitzer war für einen Gartenautor untypisch. Zieht man jedoch in Betracht, dass dies in der Frühzeit der Arbeiterbewegung, der Frauenbewegung, der Durchführung der allgemeinen Schulpflicht und dem Ende der  Pädagogik nach Lancaster und Bell geschah, in einer Zeit also, in der soziale Umwälzungen möglich schienen, und Eneroths Biographie zudem die Möglichkeit sozialen Aufstiegs aus eigener Kraft belegte, so sind seine hoffnungsvollen Anstrengungen der ersten Lebensjahrzehnte ebenso erklärlich wie sein Verzweifeln angesichts des ausbleibenden Fortschrittes in sozialer Hinsicht und des eigenen Verfalls in den letzten Jahren. Einem Freund gestand Eneroth bereits 1867, er habe einen verzweifelten Kampf gekämpft, der ihn schließlich auf die Knie gezwungen habe: „und man lässt mich ruhig da liegen. Wehe den Besiegten“. [53]

Wo lag sein Fehler? ist man zu fragen versucht, denn es mutet tragisch an, dass ein ‚Märtyrer der Kultivierung’, als der Eneroth sich trotz seiner Stilisierung zur Schlange verstand, in vorzeitiger Krankheit und Resignation endete. Tatsächlich musste er wohl resignieren, weil die so überzeugende wechselseitige Veredelung des Menschen und der Natur gerade ihn so stiefmütterlich ausnahm und die Gesellschaft sich auch infolge seiner ernsthaftesten Bemühungen wohl kaum entscheidend verbessert hatte.

Sein Fehler lag im schier grenzenlosen Vertrauen auf die Unumkehrbarkeit des Fortschritts, und im naiven Glauben, durch Gartenbau Menschenmassen moralisch bessern zu können. Er hatte Darwin zu gut verstanden, verwechselte wie dieser Modifikation mit Veredlung. Schopenhauer, den Eneroth im Winter 1855/56 doch auch gelesen hatte, hätte ihn darüber belehren können, dass ein Lebenswille auch als blind gedacht werden kann, die Vorstellung einer alles durchdringenden Weltvernunft und ein Fortschritt in der Geschichte durch

[1] Ovid, Metamorphosen 14, 650ff

[2] Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf die im Juni 2009 von der Universität der Künste in Berlin angenommene Dissertation des Verfassers: „Anguis in Herba: Gartenpädagogik und die Veredlung der Welt. Das Lebenswerk des schwedischen Agitators Olof Eneroth (1825-1881)“.

[3] Olof Eneroth, Brief an Sven Adolf Hedlund vom 15.02 1865. Original Göteborgs Universitetsbibliothek, meine Übersetzung.

[4] Olof Eneroth, Brief an Anders Berg vom 07.02. 1862. Original im Schwedischen Reichsarchiv, meine Übersetzung.

[5] Fredrika Bremer, Hertha oder Geschichte einer Seele: Skizze aus dem wirklichen Leben von Friederike Bremer, Stuttgart 1857. Übersetzung aus dem Schwedischen.

[6] Olof Eneroth, Brief an Oscar Patrick Sturzen-Becker vom 30.11. 1864, Original: O.P. Sturzen-Beckers Arkiv im Reichsarchiv Stockholm, meine Übersetzung.

[7] Eneroth, Olof, Testament in: B. Rud. Hall, Eneroths pedagogiska tanke-miljö, Lund 1934, S. 3-4, meine Übersetzung.

[8] Olof Eneroth, Brief an Oscar Elis Leonard Dahm vom 31.03. 1862, Original: Archiv des Nordischen Museums, Stockholm, meine Übersetzung.

[9] Olof Eneroth, Brief an Oscar Elis Leonard Dahm vom 16.02. 1862. Original Archiv des Nordischen Museums, Stockholm, meine Übersetzung.

[10] Lucas, Eduard, Olof Eneroth, in: Illustrirte Monatshefte für Obst- und Weinbau (1868), S. 97-99.

[11] Eneroth, Olof, Sjelfbiografi, in Hall, B. Rud., Eneroths pedagogiska tanke-miljö, Lund 1934, S. 4-11, hier S. 8, meine Übersetzung.

[12] Fredrika Bremer, Brief an Olof Eneroth vom 10.11. 1854. Original: Königliche Bibliothek Stockholm, meine Übersetzung.

[13] Zacharias Topelius, Brief an Olof Eneroth vom 31.05. 1871. Original: Königliche Bibliothek Stockholm, meine Übersetzung.

[14] Minnesrunor. I. Olof Eneroth (1825-1882), in: Tidskrift för hemmet, Heft 6, 1881, S. 315-319. Übersetzung von mir.

[15] N. A. Lundgren, Krönika, S. 196, Trolleholms Gutsarchiv J2:1, Überstzt nach Zitat aus Ahlklo, Åsa Klintborg, Kronan på odlarens verk. Trädgårdens betydelse i uppbygnaden av mönstergodset Trolleholm under 1800-talet, Institut für Landschaftsplanung Alnarp, 2003, S. 40.

[16] Eneroth, Olof, Trädgårdsodling och naturförskoningskonst I, Stockholm1857, S. 14, meine Übersetzung.

[17] Eneroth, Olof, Trädgårdsodling och naturförsköningskonst I, Stockholm 1857, S. 11, meine Übersetzung. Vgl. fast wörtlich bei Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von, Das Verhältnis der bildenden Künste zur Natur, (= ders., Sämmtliche Werke, 1. Abth, 7) Stuttgart; Augsburg 1860, S. 289-330, hier S. 299f.

[18] Eneroth, Olof, Dikter och smärre prosaiska stycken, Stockholm 1881, S. 100, meine Übersetzung.

[19] Eneroth, Olof, Trädgårdsodling och naturförsköningskonst III, Stockholm 1863, S. 38, meine Übersetzung.

[20] Gamper, Michael, „Die Natur ist republikanisch”. Zu den ästhetischen, anthropologischem und politischen Konzepten der deutschen Gartenliteratur im 18. Jahrhundert,
Würzburg 1998, S. I.

[21] Fredrika Bremer, Brief an Olof Eneroth vom 04.03. 1862. Original Königliche Bibliothek Stockholm, meine Übersetzung.

[22] Olof Eneroth, Brief an Oscar Elis Leonard Dahm vom 31.03. 1862. Original Archiv des Nordischen Museums, Stockholm, meine Übersetzung.

[23] Olof Eneroth, Brief an Sven Adolf Hedlund vom 26.12. 1863. Original Reichsarchiv Stockholm, meine Übersetzung.

[24] Eneroth, Olof, Sjelfbiografi, in Hall, B. Rud., Eneroths pedagogiska tanke-miljö, Lund 1934, S. 4-11, hier S. 5, meine Übersetzung.

[25] Olof Eneroth, Brief an Oscar Elis Leonard Dahm vom 16.2. 1862. Original zitiert in Hall, B. Rud, Eneroths Pedagogiska tankemiljö, Lund 1934, S. 51, meine Übersetzung

[26] Olof Eneroth, Brief an Lotten von Kræmer vom 20.11. 1862. Original: Königliche Bibliothek Stockholm, meine Übersetzung.

[27] Olof Eneroth, Brief an Zacharias Topelius vom 06.02. 1869. Original zitiert in Hall, Eneroths Pedagogikprofessur, 1934, S. 59, meine Übersetzung.

[28] Nach Arthur Eimler war die Schulgartenbewegung in Schweden um 1913 sogar führend (Eimer, Arthur, Gärten für die Schule des Lebens, in: Gartenwelt 1913, S. 680-682).

[29] Vgl. Ahlklo, Åsa Klintborg, Kronan på odlarens verk. Trädgårdens betydelse i uppbygnaden av mönstergodset Trolleholm under 1800-talet, Institutionen för landskapsplanering Alnarp, 2003.

[30] Eneroth, Olof, Trädgårdsodling och naturförsköningskonst II, Stockholm 1859, S. 52, meine Übersetzung.

[31] Eneroth, Olof, Trädgårdsodling och naturförskoningskonst I, Stockholm 1857, S. 12, meine Übersetzung.

[32] Vgl. Eneroth, Olof, Handbok i Svensk Pomologi I, 1866, Vorwort.

[33] „Hingegen ein einziger Gedanke muß, so umfassend er auch sein mag, die vollkommenste Einheit bewahren. Läßt er dennoch, zum behuf seiner Mitteilung, sich in Teile zerlegen; so muß doch wieder der Zusammenhang dieser Teile ein organischer […] sein […]. Ein Buch muß inzwischen eine erste und eine letzte Zeile haben und wird insofern einem Organismus allemal sehr unähnlich bleiben, so sehr diesem ähnlich auch immer sein Inhalt seyn mag: folglich werden Form und Stoff hier im Widerspruch stehen.“ [Schopenhauer, Arthur, Die Welt als Wille und Vorstellung, Die Welt als Wille und Vorstellung [=Paul Deussen (Hg.), Arthur Schopenhauers sämtliche Werke, Band 1], München 1911. S. XX].

[34] Ebda, S. XV.

[35] Schon der mit Eneroth befreundete Fridtjuv Berg (1851-1916) hat darin auch den Versuch gesehen, den väterlichen Beruf in einer Form aufzunehmen, die Wissenschaft und Kunst miteinander verbindet [Berg, Fridtjuv, Föredrag om Olof Eneroth, hållet vid diskussionsmöte 8/12 1902,.
in: Bror Rudbeck Hall, Eneroths Pedagogik: Valda uttalanden jämte kortfattad Biografi,
Lund 1928, S. 3-16, hier S. 8.

[36] Eneroth, Olof, Dikter och smärre prosaiska stycken, 1881, S. 17, meine Übersetzung.

[37] Kierkegaard, Sören, Werke, 10, (Philosophische Brocken), Düsseldorf 1952, S. 113.

[38] Eneroth, Olof, Sjelfbiografi, in Hall, B. Rud., Eneroths pedagogiska tanke-miljö, Lund 1934, S. 4-11, hier S. 8, meine Übersetzung.

[39] Hier zitiert Bremer Eneroth [Fredrika Bremer, Brief an Olof Eneroth vom 07.01. 1856, Original: Königliche Bibliothek Stockholm, meine Übersetzung].

[40] Kierkegaard, Werke, 37 (Tagebücher III), Düsseldorf 1952, S. 63.

[41] Ebenda, S. 292.

[42] Olof Eneroth, Brief an Lotten von Kraemer vom 20.11. 1862, Original: Königliche Bibliothek Stockholm.

[43] Fredrika Bremer, Brief an Olof Eneroth vom 10.11. 1854, Original: Königliche Bibliothek Stockholm.

[44] Kierkegaard, Sören, Werke, 33, (=Schriften über sich selbst), Düsseldorf 1951, S. 83. Vgl. Ebd., S. 117.

[45] Ebda, S. 6.

[46] Olof Eneroth, Brief an Oscar Patrik Sturtzen-Becker vom 30.11. 1864. Original Reichsarchiv Stockholm.

[47] Olof Eneroth, Brief an Sven Adolf Hedlund vom 26.12. 1863. Original: Göteborgs Universitetsbibliothek, meine Übersetzung.

[48] Olof Eneroth, Brief an Lotten von Kraemer vom 06.03. 1866, Original Königliche Bibliothek, meine Übersetzung.

[49] Olof Eneroth, Brief an Oscar Patrik Sturtzen-Becker vom 30.11. 1864, Original Reichsarchiv Stockholm, meine Übersetzung.

[50] Eneroth, Olof, Sjelfbiografi, S. 8, meine Übersetzung.

[51] „Ich habe bloß der inneren Mahnung gehorcht und mich als Werkzeug hingegeben” [Eneroth, Sjelfbiografi, 1934, S. 8, meine Übersetzung.

[52] Eneroth, Testament, 1934, S. 3, meine Übersetzung.

[53]Olof Eneroth, Brief an Anders Berg vom 22.03. 1867. Original: Reichsarchiv Stockholm, meine Übersetzung.

Practical Philosophy of Nature: Olof Eneroth and Elias Fries

Dieser Fachartikel ist im Jahr 2009 in gekürzter Fassung und in englischer Sprache im Bulletin des Schwedischen Forums für gartengeschichtliche Forschung ( Forum för Trädgårdshistorisk Forskning, Bulletin 22/2009, S. 39-41) erschienen.
Hier folgt die ungekürzte Fassung auf deutsch.

 

Praktische Naturphilosophie – Eneroth und Elias Fries

Elias Fries (1794-1878) zählte zu den größten Botanikern seiner Zeit. Sein ‚Systema mycologicum’ (3 Bände, 1821-32) bildet noch heute die Basis der Nomenclatur vieler Hauptgruppen von Pilzen. Fries forschte und publizierte zur Frage einer ‚natürlichen Pflanzensystematik. Seit 1842 brachte er auch eine Sammlung populärwissenschaftlicher Reden und Aufsätze – die ‚Botaniska Utflygter’ (Botanische Ausflüge) – heraus. [1] Im Alter von 19 Jahren hörte Eneroth an der Universität Uppsala die Fries Vorlesungen über die Wachstumsbedingungen in verschiedenen Teilen Skandinaviens. Aus dem Jahr 1844 sind Eneroths Aufzeichnungen dieser Vorlesungen erhalten. [2] Rückblickend schrieb Eneroth vom „Glück […], drei Jahre lang jede Vorlesung des Herrn Professors zu hören“. [3] 1854 verteidigte Eneroth bei Fries mit „Monographia Tricholomatum Sveciæ“ eine Doktorarbeit über die Gattung der Ritterlinge (fleischige, mykhorizza-bildende Großpilze). [4]

In dem Aufsatz „Sind die Naturwissenschaften ein Bildungsmittel“ rief Fries junge Männer dazu auf, sich der Naturwissenschaft zu widmen [5] Sicher hat Eneroth diesen bekannten Text gelesen oder die Auffassung seines verehrten Lehrers in Vorlesungen oder im persönlichen Gespräch kennen gelernt. Darin stellte Fries fest, dass die Naturforschung Opfer verlange, ja bisweilen Märtyrer der Wahrheitsfindung benötige, und dass man die Stubenluft mit der reinen Natur zu vertauschen, oder zumindest abzuwechseln habe. [6] Eben dies scheint Eneroths Beweggründe zu charakterisieren, aus denen er sein Studium abbrach, sich „in die Arme von Mutter Natur“ warf und eine Gärtnerstelle antrat. [7] Dass er keine Laufbahn als Botaniker ergriff, sich stattdessen in Naturschwärmereien und Poesie erging, scheint Fries Missfallen erregt zu haben. „Vor vielen Jahren“, schrieb Eneroth 1866 rückblickend an Fries, „habe ich einmal erfahren, dass Herr Professor glaubte, ich habe die Natur für die Dichtung aufgegeben“. [8] Nach der Studienzeit scheint der Kontakt mit Fries zum Erliegen gekommen zu sein. Erst als Eneroth sich nach ausgiebiger Tätigkeit im Bereich der Volksschulbildung und der Gartenkultur mit einem Band über Obstgehölze zu Wort meldete, nahm er die Korrespondenz mit Fries wieder auf.

Fries romantisches Biologieverständnis [9] scheint eine wesentliche Inspirationsquelle für Eneroths romantische Auffassung der Gartenkultur gewesen zu sein, wenngleich nicht die einzige. Fries selbst stand in der Tradition der Biologen Chr. G. D. Nees von Esenbeck und Lorenz Oken, [10] Namen, die in der damaligen Gartenliteratur ein Begriff waren und ebenfalls zu Vertretern der ‚romantischen Biologie’ gezählt werden. [11] Auch Eneroth wird auf dem einen oder anderen Weg Kenntnis von ihnen erlangt haben. [12] Die folgende Untersuchung konzentriert sich jedoch darauf, welch unterschiedliche Schlussfolgerungen Eneroth und Fries aus der Naturphilosophie Schellings zogen, die als eine Grundlage der ‚romantischen Biologie’ gilt. [13] Daneben soll gezeigt werden, wie prägend Fries Einschätzung der Naturwissenschaften als allgemeines Bildungsmittel für Eneroths Wirken als Gartenschriftsteller gewesen zu sein scheint und wie Eneroth seine Pomologie als Auseinandersetzung mit Fries’ pflanzensystematischem Fokus auf die Botanik begriff.

„Schönheit ist die Offenbarung der Wahrheit“ – Fries und Eneroth in der Tradition Schellings [14]

Fries war ein romantisches Naturbild eigen, welches idealistische Philosophie – er sprach bisweilen von „Wahlverwandtschaftsgesetzen“ – mit Empirie vereinigte: [15] Naturwissenschaft, so Fries, basiere zunächst auf empirischer Erfahrung; doch bleibe sie dabei stehen, verfehle sie ihr wichtigstes Ziel, denn ihr Streben sei „im Grunde religiös“.[16] Insbesondere die Biologie könne (im Gegensatz zu den ‚mathematischen’ Wissenschaften) einer einseitig rationalistischen, „mechanischen Auffassung des Weltalls“ entgegenwirken, indem sie dazu nötige, das Leben „supranaturalistisch“, d.h. „in seinen unendlich wechselnden Offenbarungen“ zu betrachten. [17] Im Zusammenwirken der drei „Erkenntnisquellen“ (kritische Vernunft, göttliche Naturoffenbarung und Gewissen) war ihm der gemeinsame Fortschritt von Naturphilosophie und empirischer Naturwissenschaft gewiss. [18]

Einen ähnlichen Gedanken formulierte Eneroth in der wechselseitigen Beförderung von Kunst, Wissenschaft und Erwerbsarbeit, die gemeinsam den kulturellen Fortschritt des Menschen ausmachten. Für Fries jedoch beschränkte sich die gegenseitige Beförderung auf den menschlichen Geist, während Eneroth auch eine positive Wechselwirkung zwischen Natur und Mensch annahm. Interessanterweise beruhten sowohl Fries als auch Eneroths Vorstellung des geistigen Fortschritts der Menschheit wesentlich auf der Naturphilosophie Schellings; sie kamen aber bezüglich des Verhältnisses von Mensch und Natur zu anderen Schlüssen.

Der Auffassung, dass empirische Forschung spekulativ erweitert und vertieft werden könne, hatte Friedrich Schelling (1775-1854) in einer Anzahl berühmter Schriften den wissenschaftstheoretischen Grund gelegt, [19] und Fries Modell eines harmonischen, ‚natürlichen’ Pflanzensystems war eine Ausprägung der als romantisch bezeichneten Biologie, die in Schweden wie in Deutschland wesentlich auf Schellings Naturphilosophie fußte. [20] Die „supranaturalistische“ Betrachtung der Pflanzen führte Fries zu der Vorstellung, die Harmonie zeige sich in der Pflanzenwelt als hierarchisch geordnetes System von Klassen, Ordnungen und Gruppen. [21] Fries ‚natürliche’ Pflanzenordnung sollte auf realen Verwandtschaftsbeziehungen beruhen und darin die lediglich nach morphologischen Ähnlichkeiten ordnende Linnésche Nomenclatur überbieten. In der Überzeugung, die Gesetze der Verwandtschaft würden „mehr durch das seelische Auge als das körperliche“ wahrgenommen, legte Fries mit seinem im Folgenden beschriebenen Radienmodell eine ästhetische Interpretation empirischer Erkenntnisse vor, die wohl auf seine Überzeugung einer göttlichen Naturharmonie zurückging: [22]

Alle Pflanzen einer Gruppe, so Fries, gingen auf eine Grundeinheit, welche das Spezifische ihrer Gruppe am reinsten repräsentiere, zurück. [23] Die verschiedenen Arten der Gruppe zeichne daher eine nähere Verwandtschaft (slägtskap) bzw. Affinität aus, die sich im Aufbau ihrer Organe erkennen lasse. [24] Innerhalb einer Gruppe gebe es eine „Höherentwicklung“ der Arten: Morphologische Merkmale wie etwa die Ausformung der Blütenblätter zeigten eine jeweils höhere oder geringere Vollkommenheit. Diese Hierarchie beschrieb er im räumlichen Bild des Radienmodells, dessen Kern die Grund-Einheit bilde, um die sich in verschiedenen Schalen die zugehörigen Arten der Gruppe befänden. [25] Mit der Vollkommenheit vergrößere sich der Abstand von der Ureinheit, daher würden die spezifischen Gruppenmerkmale undeutlich. Dies könne so weit gehen, dass die äußeren Arten einer Gruppe große Ähnlichkeit mit den äußeren Arten einer benachbarten Gruppe aufwiesen. Diese Ähnlichkeit beruhe auf entfernterer Verwandtschaft (frändskap) bzw. Analogie und auf ähnlichen Umweltbedingungen, denen die höherentwickelten Arten oft in gleicher Weise Rechnung trügen. [26] Die harmonischen Beziehungen in und zwischen den Gruppen waren Fries so eindeutig, dass er es für möglich hielt, auf die Existenz einer Art zu schließen, noch bevor sie in der Natur aufgefunden sei. [27] Bleibende Leerstellen im Pflanzensystem rührten von ausgestorbenen Arten her, die Platz für höher entwickelte Arten hätten machen müssen. [28]

Mit Hilfe des Radienmodells schien auch der Zusammenhang von anorganischer, [29] pflanzlicher und tierischer Sphäre erklärbar. Tatsächlich seien diese Sphären streng voneinander getrennt, ein Übergang von einem ins andere habe, so Fries, niemals stattgefunden. [30] In diesem Punkt ging er auf kritische Distanz zur Idee einer „dynamische[n] Stuffenleiter“ in der Natur, für die Schelling bekannt war: [31] Nicht als konkrete historische Entwicklung, jedoch als ideelles Schöpfungsprinzip konnte Fries diese Auffassung teilen.

„Den stigande utveckling från det enklaste, hvilket man i den organska naturen tillika benämner det ofullkomligaste, till det högre och fullkomligare äfven den flygtigaste betraktelse af naturen förnimmer, har från äldsta tiden grundlagt den åsigten, att summan af alla naturalster utgör en enda sammanhängande kedja. Ifrån en mer allmän synpunkt eller blott ideelt uppfattad, kann denna föreställning till en viss grad vara riktig; men öfverflyttar man den till enskilda delar, blir den helt och hållet falsk och har derigenom också ledt till många oriktiga slutsatser.“

[Die ansteigende Entwicklung vom Einfachsten, welches man in der organischen Natur gleichsam als Unvollkommenstes bezeichnet, zum Höheren und Vollkommeneren, die man auch im flüchtigsten Anschauen der Natur bemerkt, hat von den ältesten Zeiten der Ansicht zugrundegelegen, dass die Menge aller Naturerscheinungen in einer einzigen Kette zusammenhängt. Von einem eher allgemeinen Gesichtspunkt oder bloß ideellen Auffassung kann diese Vorstellung zu einem gewissen Grad richtig sein; aber überträgt man sie bis zu den einzelnen Teilen, wird sie ganz und gar falsch und hat dadurch auch zu vielen falschen Schlüssen geführt].[32]

Eneroth bejahte die Deszendenztheorie [33] und mit ihr die Idee fließender Übergänge, deshalb war ihm eine Wechselwirkung zwischen Mensch und Natur viel einleuchtender als für Fries. Eneroth rezipierte Schellings Naturphilosophie auf seine Weise und bezog sich aller Wahrscheinlichkeit nach auf Schellings „Über das Verhältnis der bildenden Künste zu der Natur“ von 1807. Schelling hatte darin erklärt, wie durch Kunst aus der Nachahmung der Natur über eine historische Stufenfolge immer höherer Darstellungen schließlich eine geistige Verbindung der Natur selbst mit dem Menschen möglich werde. [34] Die Kunst war Schelling eine höhere Notwendigkeit der Natur[35] und er verwies immer wieder auf die Bedeutung des Schaffens für die Natur und ihre Aneignung durch den Menschen. [36] In der unreflektierenden Natur strebe „die rohe Materie gleichsam blind“ nach geistigen Formen. [37] Er deutete auch eine Bewusstseinssteigerung von der (unbelebten) Materie über Pflanzen und Tiere an, die „schon in einzelnen Blitzen von Erkenntniß“ leuchte, aber erst im Menschen frei hervortrete. [38] Kunst müsse daher „die gesammte Natur … im Menschen sehen“. [39]

Eneroths Kultivierungsidee erweiterte nun diesen Kunstbegriff, den Schelling in Bezug auf Bildhauerkunst und Malerei verwendet hatte, um die Gartenkultur: Auch für Eneroth war es der Mensch, der als Bewusstsein der Natur diese zum Abbild seines freien Geistes forme und veredele, der die Produkte seiner Veredlung – die kultivierte Natur, die Wissenschaft und die Kunst – benötige, um über die jeweils erreichte Stufe hinauszuwachsen. Und er tue dies durch Arbeit, als Schaffender, der in seinem Tun die der Natur eigene Dynamik weiterführe. Eneroth erweiterte den Schellingschen Kunstbegriff insoweit, als er die ganze Welt als Kunstobjekt begriff und der Arbeit mit der materiellen Natur – etwa in der Landwirtschaft – einen großen Wert beimaß. [40] Bereits durch den Titel seines Aufsatzes: „Das sittliche Verhältnis des Menschen zur Natur“, in dem Eneroth die Grundzüge seiner Kultivierungsidee darlegt, machte er diese Verwandtschaft deutlich, ohne allerdings Schelling explizit zu nennen. In mancher sprachlichen Wendung scheint sich Eneroth sogar an das Vorbild angelehnt zu haben, etwa, wenn er von „den sedliga evolutionen“, der „sittlichen Evolution“ schrieb, oder die gartenkulturelle Evolution des Mittelalters in die Worte fasste:

„Innan vetenskapen och konsten dock hunnit hemta sig ur det allmänna gäsningsarbetet och uppträda i sin genom christendomen pånyttfödda anda och form, blir dock odlingen ett blindt famlande, dess erbetare en förbisedd länk i samhällskedjan.“

In Wissenschaft und Kunst jedoch dazu gekommen, sich aus der allgemeinen Gärungsarbeit zu sammeln und in ihrem durch das Christentum wiedergeborenen Geist und ihrer Form aufgetreten, wurde die Kultivierung jedoch ein blind suchendes, ihre Arbeiter ein übersehenes Glied in der Gesellschaftskette].[41]

Schellings „rohe Materie“, die „gleichsam blind“ nach Ausdrucksformen des Geistes suche, entsprach Eneroths Idee und Ausdruck. Vielleicht noch sprechender war die Äquivalenz zwischen Schellings „Zustand […], wo […] der Naturgeist frei wird von seinen Banden und seine Verwandtschaft mit der Seele empfindet“, [42] und Eneroths Schlusssatz:

„Och samma ande, som frigjord lefver inom menniskan, samma ande är det, som bunden lefver i den natur, ur hvars sköte menniskan sjelf har framgått“

[Und derselbe Geist, der frei im Menschen lebt, derselbe Geist ist es, der gebunden in der Natur lebt, aus dessen Schoß der Mensch selbst hervorgegangen ist].[43]

Trotz dieser Ähnlichkeiten tauchte Schellings Name auch in dem frühen Aufsatz „Psyches Gebet“ (1848), in dem Eneroth sein Kunstverständnis offen legen wollte, nicht auf. [44] Dabei deuten auch hier Inhalt und sprachlicher Ausdruck auf das Vorbild Schellings. Dieser bezog sich im „Verhältnis der bildenden Künste zu der Natur“ mehrfach auf die antike Plastik der „florentinische[n] Niobe“, bei der es sich mit großer Wahrscheinlichkeit um die bekannte Plastik handelt, die in den Uffizien aufgestellt ist (vgl. Abb. 54). Schelling pries sie als „ein Äußerstes für die Plastik und die Darstellung der Seele“, [45] sowie mit den Worten: „Dies ist der Ausdruck der Seele, den uns der Schöpfer der Niobe im Bilde gezeigt hat“. [46] Mit ihr in Verbindung brachte Schelling noch die antike Fabel der Psyche und verglich Psyche mit der in den Himmel erhobenen Jungfrau des Malers Guido Reni, dem „eigentliche[n] Maler der Seele“. [47] Sicherlich auf diesen Schilderungen fußend, beschrieb Eneroth, wie ihm Sergels Plastik „Amor und Psyche“ (vgl. Abb. 53) eine Verklärung über das Wesen der Kunst geschenkt habe:

„Hvad fann jag då i dess Marmorformer? – Mig sjelf, mitt innersta väsendes grundton öfversatt i marmor, min egen själ, bedjande om kärlek […]“

[Was fand ich dort in diesen Marmorformen? – Mich selbst, meines innersten Wesens Grundton in Marmor übersetzt, meine eigene Seele, um Liebe betend].[48]

Ob Eneroth das Schellingsche Vorbild bewusst war, oder ob ihm angesichts der ähnlichen Komposition von Sergels Plastik – der flehenden jungen Frau, die ihre Arme im Schmerz über die bevorstehende endgültige Trennung der stehenden Figur empor streckt –  mit der antiken Statue der Niobe  (man vergleiche die Geste der stehenden Figur, deren rechter Arm auf dem Rücken der knienden ruht, und deren mit der linken Hand emporgehobenes Gewand im Flügel des Amor eine Entsprechung findet) lediglich die Assoziation zu Schelling kam, sei dahingestellt. Bemerkenswert ist es doch, dass Eneroth seine ‚Verklärung’ angesichts einer schwedischen Statue überkommt, denn Johann Tobias Sergel (1740-1840) war so etwas wie der schwedische Nationalbildhauer.

Wer heute das schwedische Nationalmuseum in Stockholm besucht, wird im ersten Stock einen Guss der florentinischen Niobe finden, und nur wenige Schritte von dieser entfernt, das Sergelsche Original von Amor und Psyche. Wie lange beide Plastiken schon öffentlich in einer Sammlung zugänglich sind, konnte nicht ermittelt werden. Aus Eneroths Korrespondenz ist jedoch bekannt, dass er sich in seiner Jugend für Plastiken begeisterte.

Neben diesen unterschiedlichen Schelling-Interpretationen von Fries und vor allem Eneroth gab es jedoch auch Verbindendes. Denn Fries war sich über die Grenzen jeder systematischen Naturbeschreibung im Klaren und begriff sie als eine dem Verstand notwendige Hilfskonstruktion. [49] Sein dynamisches Schöpfungsbild und die Vorstellung einer Höherentwicklung der Arten in Abhängigkeit von den Umweltbedingungen, welche die Arten zum Teil selbst schaffen, [50] deutete bereits in die Richtung der Evolutionstheorie. [51] Er akzeptiert diese zwar niemals, [52] und beharrte darauf, dass es im Anfang mehrerer pflanzliche „Stammformen“ gegeben haben müsse, [53] doch er rief immerhin Darwin als Zeugen für eine Perfektibilität einzelner Stammformen an. [54] Die Perfektibilität der Natur war für Fries in der unaufhörlichen Schöpfung angelegt; sie vollzog sich ihm ständig im Zusammenspiel und Wechsel der Arten, [55] welche ihr ‚Erbe’ an die folgenden Generationen weitergäben. Mit Hilfe seines Radienmodells gelang es ihm, eine solche Entwicklung der Arten in festen, harmonischen Grenzen zu bejahen und dabei dem Abgrund einer planlosen Natur zu entgehen: Der geschichtliche Wechsel der Vegetationsformen war für ihn in den Anlagen der Pflanzen angelegt und nahm unter kosmisch vorausbestimmten Momenten Gestalt an. [56] Bis zu seinem Tod behielt Fries seine Vision der Natur als einer harmonischen Einheit, die nicht vom Daseinskampf, sondern von göttlicher Vernunft gesteuert werde, bei. [57] Dass „eine allgemeine Harmonie […] die ganze Natur“ durchströme, war ihm nicht nur als poetischer Ausdruck richtig, „sondern eine streng wissenschaftliche Wahrheit“,[58] und er glaubte, jede Pflanzengruppe „suche“ nach der höchsten Darstellung ihres jeweiligen Urbildes. [59] Fries Anschauung war mit Schellings Naturinterpretation als göttliches Kunstwerk verwandt, in dem alles Seiende ein Abbild des Absoluten war. [60] Und auch Eneroth, der in der Natur einen Entwicklungstrieb zu Veredlung und letztlich zu wissenschaftlich-künstlerischen Durchdringung annahm, stand diesem Denken nahe. [61] Im Gleichklang mit Schelling und Fries formulierte er daher, „Schönheit“ sei „die Offenbarung der Wahrheit“. [62]

„Gartenkultur und Verschönerung der Natur [als] Gradmesser für […] ästhetische Bildung“

In philosophischer Interpretation schien Fries die Naturwissenschaft auch geeignet, das Volk über die Ordnung der Schöpfung aufzuklären. Sein populärer Aufsatz [63] „Sind Naturwissenschaften ein Bildungsmittel?“ bejahte dies nachdrücklich. Der Aufsatz erschien 1844 auch in deutscher Übersetzung. [64] In dieser „akademischen Streitschrift“ lobte Fries die Naturgeschichte als der menschlichen Historie gleichwertiges Bildungsmittel. [65] Insbesondere die Biologie, welche zwischen bloßer Empirie und spekulativer Geisteswissenschaft vermittle, sei dazu geeignet, Herz und Verstand zu bilden. [66] Fries’ Aufsatz erschien 1842, im Jahr nach Eneroths Vorlesungsmitschrift, und Eneroths erster Aufsatz zum sittlichen Verhältnis zwischen Mensch und Natur zeigte daher sicher nicht zufällig eine große Nähe zu Fries Thesen: Bei Fries scheint Eneroth eine deutliche Prägung erfahren zu haben. Mit Fries rhetorischer Frage „hvem älskar icke naturen?“ [Wer liebt die Natur nicht?] [67] leitete Eneroth seinen Aufsatz 14 Jahre später ein. Er konnte auf die Zustimmung seines alten Lehrers rechnen. Fries begriff Naturwissenschaft als religiöse Wahrheitssuche, [68] welche den Körper gesund erhalte und den Charakter veredle:

„I likhet med allt, som af en inre ädlare naturdrift utvecklas, fordrar utbildandet af denna kärlek för naturen väl allvarlig ansträngning, men medför tillika så mycken lefnadsfriskhet, ökad kraft och andelig helsa, att egentligen endast den tid behöfver dertill användas, som eljest skulle förspillas på andra nöjen, sinnets nödvändiga hvilostunder. Hvarje lifligare yngling skall alltid, riktigt hänledd, i naturalhistorien finna den ädlaste vederqvickelse efter strängare studier“. [69]

[Gleich Allem, was von einem inneren, edleren Naturtrieb entwickelt wird, fordert die Ausbildung dieser Liebe für die Natur zwar ernstliche Anstrengung, ist aber zugleich mit so viel Lebensfrische, vermehrter Kraft und geistiger Gesundheit verbunden, daß eigentlich nur die Zeit dazu verwendet zu werden braucht, welche sonst auf andere Vergnügen und nothwendige Ruhestunden des Gemüts verwendet wird. Jeder lebhaftere Jüngling wird, richtig geleitet, in der Naturgeschichte immer die edelste Erholung {nach strengen Studien} finden]. [70]

Als religiöses Feld und als Bildungsmittel fordere die „wahre Naturforschung“ [71] auch religiöse Tugenden wie ein religiöses Bedürfnis, [72] unschuldige Freude an der Schöpfung, [73] sowie Demut und Opferbereitschaft – Fries sprach hier von naturwissenschaftlichen Märtyrern. [74] Im Gegenzug empfange der Wahrheitssuchende im „Tempel der Natur“ [75] ein veredeltes Herz: [76]

„Det är de Biologiska naturvetenskapernas högre bestämmelse, att kämpa emot och […] besegra dessa, just genom sin milda försönande, optimistiska karakter: de äro för menskligheten, hvad skolan är för lärdomen. Vår tids ensidiga rigtning kommer af deras vanvård i den allmänna bildningen”. [77]

[Es ist der biologischen Naturwissenschaften höhere Bestimmung, dagegen [innere und äußere Feinde der Bildung, JS.] zu kämpfen und […] diese gerade durch ihren milden, versöhnenden, optimistischen Charakter zu besiegen; Sie sind für die Menschheit, was die Schule für die Gelehrsamkeit ist. Die einseitige Richtung unserer Zeit liegt in dem Mangel derselben an der allgemeinen Bildung.] [78]

Die Betrachtung der Natur, so Fries, wecke und nähre eine warme Liebe, eine tiefere religiöse Ahnung, welche das Bedürfnis zeige, die Offenbarung in ihrer Ganzheit zu erfassen. Ein im „Ozean der Literatur“ umhergetriebener Geist könne im „stillen Hafen der Blumenwelt“ zur Ruhe kommen.[79] Eneroth greift diesen Gedanken auf, indem er die „Salonbildung“ verspottet und fordert, diese durch Arbeit an der Natur zu veredeln. [80]

Man müsse – fordert Fries – endlich aufhören, die Naturwissenschaft wie einen geschlossenen Orden nach außen abzuschotten, [81] sondern sie stattdessen zu den Kindern tragen, Naturwissenschaft zu einem Teil des Elementarunterrichtes machen: [82]

„Och detta, mensklighetens sanna upplysning och förädling, icke blott i fysiskt, utan äfven i moralsikt och intellektuelt afseende, är deras högsta egentliga syfte. […]. Att i allt söka högre upplysning är en religiös pligt; särskilt gäller detta om naturen, hvilken Skaparen öfverlåtit menniskan att beherrska som sitt konungadöme. Hennes första pligt är väl derföre att lära känna och vårda sitt rike, fast mången i sin fåvitsko anser detta för sig alltför ringa. Men hvad som icke varit för ringa för Gud att skapa, det kann aldrig blifva för oss ringa att lära känna“. [83]

[Und diese wahre Aufklärung und Veredlung der Menschheit, nicht bloß im Physischen, sondern auch Moralischem und Intellektuellen, ist ihr [der Naturwissenschaften, JS] eigentliches, höchstes Ziel. […] In allem die höhere Aufklärung zu suchen, ist eine religiöse Pflicht, besonders gilt dies von der Natur, welche der Schöpfer dem Menschen wie ein Königreich zu beherrschen überließ. Des Menschen erste Pflicht ist es, deshalb wohl sein Reich kennen zu lernen und zu pflegen, obgleich Viele dies in ihrer Thorheit für allzu gering für sich halten. Aber was für Gott nicht zu gering gewesen ist, erschaffen zu werden, kann niemals für uns zu gering sein, kennen gelernt zu werden.] [84]

Mit Fries Naturauffassung waren Grundzüge aus Eneroths Credo vorweggenommen: Es ging darum, wissenschaftliche Kenntnis und religiöse Empfindung der Natur unter das Volk, auch speziell in die Schulen zu bringen. Dazu dürfe der Naturforscher die „Idee“ der Schöpfung über den wissenschaftlichen Fakten nicht aus den Augen verlieren, und er müsse dem Laien diese Wahrheit eröffnen. Körperliche und sittliche Veredelung würden die Folge sein, vor allem auch für den Naturforscher selbst, sofern er sein demütiges Herz bewahre und sich ganz der Wahrheitssuche hingebe. Unabdingbare Vorraussetzung sei, dass sich die naturwissenschaftliche Fachwelt nicht in sich verschließe, sondern den Anschluss suche, interdisziplinär und auch an das Volk.

Eneroth vertrat die gleiche Position: Wissenschaft (und Kunst) sollten dem Landmann die Wahrheiten der Natur darreichen, die ihm in seiner Arbeit und seiner persönlichen Entwicklung von Vorteil sein solle. Der Landmann müsse durch die Liebe zu seiner Scholle zur Aufnahme der Wahrheit bereit sein [85] und der Wissenschaftler müsse, wolle er die Wahrheit der Natur ergründen, „ohne Egoismus“ sein. [86] Eneroth ging insoweit über Fries Anschauungen hinaus, als er nicht nur Biologie und andere Naturwissenschaften, sondern auch die gestaltende Auseinandersetzung mit der Natur zum Bildungsmittel erklärte. [87]

Fries Forderung einer „ernstlichen Anstrengung“ für die Entwicklung der Liebe zur Natur schloss sich Eneroth an, empfahl dieser doch selbst physische Arbeit, sprach gar vom „kämpfenden Arbeiter“ für die Kultivierung. [88] Und aus diesem Punkt heraus entwickelte er seine eigene Interpretation der Höherentwicklung der Natur. Denn was wäre Natur anderes als dauernde Tätigkeit? Der Mensch könne sich das Prinzip der Höherentwicklung zu eigen machen, indem er die Natur veredele und zum Beispiel durch fortschrittliche Anbaumethoden ihren Ertrag vermehre. Auch nach Fries war „die wichtigste irdische Berufung, die Natur seines Landes zu veredeln und dessen vegetative Kraft zu steigern“. [89] Und dazu gehörte auch für den Botaniker die ästhetische Gartenkultur:

„Hvarje lands materiella odling börjas med den yttre naturens förädling, varje folks högre bildning genom klarare insigt i naturvetenskaperna; när naturen i båda fallen vanvårdas, förvildas kulturen. Känslolöshet för den lefvande naturens lidande och misshandling är ett uttryck af råhet; ett folks sinne för hortikultur och naturens förskönande är en mätare på dess estetiska bildning”. [90]

[Der materielle Anbau jedes Landes wird mit der äußeren Veredlung der Natur angefangen, die intellectuelle Bildung jedes Volkes durch klarere Einsicht in die Naturwissenschaften; wenn die Natur in beiden Fällen vernachlässigt wird, verwildert die Kultur. Lieblosigkeit für die Leiden und Misshandlung der lebenden Natur ist ein Ausdruck von individueller Rohheit, der Sinn eines Volkes für Gartenkultur und Verschönerung der Natur ist ein Thermometer für dessen ästhetische Bildung.][91]

Als Pomologe dachte Eneroth dabei natürlich zuerst an die Obstkultur, einer seiner bekannteren Aussprüche lautete daher: „Ein Volk ohne edlere Früchte, ohne Bedarf danach, ohne Kenntnis darum, ist ein rohes Volk“.[92]

Indem er Natur Vorrang vor der Kunst attestierte – in der Kunst erkenne man bei genauerem Hinsehen immer mehr Mängel, in der Natur dagegen immer mehr Kunst und Weisheit – scheint Fries den Wert der Gartenkultur gegenüber der freien Natur relativiert zu haben; andererseits ließe sich aus der Tatsache, dass Fries in der Kunst nur äußeren Glanz erkannte, während in der Natur „eine lebende »Seele« wohnt“, eine Bevorzugung der Gartenkunst vor allen anderen Künsten ableiten. Leider schwieg sich Fries über diesen Punkt aus. [93] Eneroth war in der Wertung zwischen Kunst und Natur eindeutig, denn für ihn war der Mensch Teil der Natur und auch seine Kunst Ausdruck der Natur: sie konnte ihm daher gar nicht hinter den ursprünglichen Schöpfungswerken zurückstehen. [94]

„Genug mit Schematisieren, Systematisieren“: Eneroths Pomologie als praktische Botanik

In Fries Pflanzensystem war für jede Pflanzenart mit ihren spezifischen Eigenschaften ein bestimmter Platz vorgesehen. Sei ein Platz nicht besetzt, dann weil die betreffende Art bereits ausgestorben oder noch nicht entdeckt sei. Prinzipiell schien Fries auch die Entstehung weiterer Arten denkbar, ja anzunehmen, denn die Schöpfung dauere ja an. [95]

Dass die Weiterentwicklung ertragreicher und gesunder Obstsorten ein wesentlicher Gradmesser für die kulturelle Entwicklung eines Volkes sei, stand für Eneroth außer Frage. [96] Auch Fries wollte ja die ästhetische Bildung am Stand der Gartenkultur messen. Auch er nahm die Vervollkommnung der Pflanzenwelt an, in der höher entwickelte Arten die niederen verdrängten.[97] Aber zählten dazu auch Züchtungen? Die Unterscheidung in Kulturpflanzen und wilde Pflanzen barg Probleme: Zwar siedelte Fries die menschliche Kunst unter derjenigen der Natur an, doch wozu rechnete man etwa natürlich entstandene Kreuzungen und worin mochte der Unterschied zu künstlichen Kreuzungen liegen? Fries musste hoffen, dass sich alle Züchtungen tatsächlich als höher entwickelt erwiesen als ihre wilden Stammeltern, damit sie neue Gruppen bilden oder außen als Verästelungen der bekannten Radien angeknüpft werden konnten, und nicht etwa in nicht vorhandene Zwischenräume hätten eingefügt werden müssen, was das ganze System zum Einsturz hätte bringen können. Mutig oder pragmatisch: Fries ergriff für die Berücksichtigung der Kulturpflanzen Partei:

„Botanisternas lilla ensidiga intresse måste häruti underordna sig kulturens stora mål; den måste uppgifva den på fördom, ej i naturen, grundade skarpa åtskillnaden mella vilda och odlade växter.“

[Das kleinlich einseitige Interesse der Botaniker muss sich hierin dem großen Ziel der Kultur unterordnen; es muss die auf Verurteilung, nicht in der Natur gründende scharfe Unterscheidung zwischen wilden und kultivierten Gewächsen aufgeben.] [98]

Auch Eneroth forderte, Züchtungen gleich den Wildpflanzen in die wissenschaftliche Forschung und Pflanzensystematik aufzunehmen. [99] Ob ihm aufging, dass darin ein Stolperstein für Fries Pflanzensystem liegen konnte (sofern man nicht von der Möglichkeit ausginge, die Kulturpflanzen würden nach einem System geordnet sein, welches nicht dem ‚göttlich-natürlichen’ System entspräche, was doch wenig harmonisch sein würde)? In einem Brief an Fries aus dem Jahr 1865 interpretierte Eneroth diese Möglichkeit als Chance:

„Genom studiet af varietetsbildningen bör artbegreppet väl omsider kunne vinna något i klarhet; – detta är den förhoppning som, från vetenskaplig synpunkt, upprätthållet mig under de sju år jag egnat åt det arbete, hvad mödar, obanad såsom vägner vårit, Herr Professor säkerligen skäll rättvisligen erkänna.“

[Durch das Studium der Varietätsbildungen kann sicherlich andererseits der Artbegriff viel an Klarheit gewinnen; – es ist diese Hoffnung, die mich vom wissenschaftlichen Standpunkt während der sieben Jahre aufrecht gehalten hat bei der Arbeit, welches – ungebahnt wie die Wege waren, Herr Professor sicherlich wohlweißlich erkennt.][100]

Vermutlich wußte Eneroth um die Widrigkeiten, die Fries bereits ab Mitte der 1850er Jahre auszuhalten hatte: Der Fries-Schüler Nils Johan Andersson, [101] von Fries als Nachfolger und Vollender seiner Pflanzensystematik vorgesehen, neigte nach einer wissenschaftlichen Weltumseglung, die ihn auch auf die Galapagos-Inseln führte und nach einem Zusammentreffen mit dem englischen Biologen Joseph Dalton Hooker immer stärker der Auffassung eines Übergangs der Arten zu. Ab 1863 veröffentlichte Andersson– vermutlich als erster in Schweden – über die Verwandtschaftstheorien von Darwin und Hooker. [102] Fries bekämpfte in seinen ‚Botanischen Ausflügen’ (1864) diese für ihn untolerablen Theorien, die zu einer Artreduzierung führen konnten, als „für die empirische Speziesbestimmung ohne Bedeutung“,[103] kämpfte jedoch einsam und unverstanden. Trotz seiner Popularität war es ihm nicht gelungen, Schüler für sich zu gewinnen, die sein – nun rückständiges – Werk fortschrieben. [104]

Aus dem Studium der Varietätsbildung Klarheit über den Artbegriff zu gewinnen, wie Eneroth in dieser Situation vorschlug, war nicht abwegig, konnte doch eine genauere Kenntnis des Vererbungsprozesses klären, ob es innerhalb einer Art mögliche Grenzen der Mutation gibt. Andererseits war Eneroths Erklärung, nur die Hoffnung auf Klärung dieser Frage habe ihn in seinen Pomologiestudien (vgl. Abb. 56) aufrechterhalten, nicht ganz aufrichtig, den eigentlich ging es Eneroth ja um die Anwendbarkeit der Botanik und ihre Verbreitung im Volk. Doch er erhielt die erhoffte Zustimmung:

„Herr Professorns här ofvan syftade bref låt mig till min innerliga glädja erfarn, att jag genom mina ringa arbeten wunnit Herr Professorns bifall till mina försök att väcka kärlek för naturen, dess wård och förädling.“

[Herrn Professors obengenannter Brief ließ mich zu meiner innigen Freude erfahren, dass ich durch meine geringen Arbeiten Herrn Professors Beifall zu meinem Versuch gewonnen habe, die Liebe zur Natur, ihrer Pflege und Veredlung zu wecken.][105]

Ein weiterer zu Fries Auffassung kritischer Punkt in Eneroths Pomologie war die Frage der allgemeinen Verwendbarkeit. Eneroth war sich der Ambivalenz des Nützlichkeitsprinzips durchaus bewusst und wusste, dass es auch als Widerspruch zum wissenschaftlich-religiösen „Streben nach Wahrheit” verstanden werden konnte. Anlässlich Fries’ Ernennung zum Ehrendoktor der Philosophie sandte Eneroth im Januar 1865 seinem alten Lehrer eine Gratulation und nutzte die Gelegenheit, auf die eigenen pomologischen Forschungen zu sprechen zu kommen. Fries Gedanken aufgreifend, begründete Eneroth aus ihnen zeitgemäße Anforderungen an das Nützlichkeitsprinzip: Das „allgemein Menschliche”, welches Fries Schriften verrieten, lasse ihn hoffen, dass er Eneroths Wirken nicht vollständig missbillige. Aufgabe der Zeit und Eneroths Lebensaufgabe sei es, „der großen Masse die Wahrheiten der Wissenschaft zugänglich zu machen” – hier wusste er sich mit Fries einig. In seiner Arbeit versuche Eneroth daher, das richtige Maß zwischen Wahrheitssuche und Nützlichkeitsforderungen zu realisieren:

”Det gäller att i den reaction mot ”sänningen för sanningars skuld”, mot ”vetenskapen för vetenskapens skuld”, som utilitarismen är på wäg, […] det gäller att i den icke förlorna sanningen ur sigt allt under det man betalar sin tribut åt nyttan. Med en sådan uppfattning af tidens ande och tidens behof egnar jag mig åt dessa pomologiska sträfvande. Måtte jag ej hafva misstagit mig i denna uppfattning!”

[Es gilt, in der Reaktion auf „Wahrheit um der Wahrheit willen” und „Wissenschaft um der Wissenschaft willen”, da der Utilitarismus auf dem Vormarsch ist […], es gilt, die Wahrheit nicht aus dem Blickfeld zu verlieren, während man seinen Tribut an den Nutzen zahlt. Mit einer solchen Auffassung des Zeitgeistes und den Anforderungen der Zeit widme ich mich den pomologischen Bestrebungen. Möge ich mich in dieser Auffassung nicht geirrt haben!] [106]

Fries hatte das reine Nützlichkeitsdenken schon 1842 in seinem Aufsatz „Sind Naturwissenschaften ein Bildungsmittel?“ verurteilt. [107] Und in der Reichstagsdebatte 1862/63, in der über einen Zuschuss für Eneroths Pomologiewerk verhandelt wurde, polemisierte ein Kritiker des Vorhabens, dass auch Professor Fries Arbeit über Pilze die Leute nicht dazu bewegt habe, mehr Pilze zu essen, und dass kein Geld vorhanden sei, ein bloßes „Kunstwerk“ zu finanzieren. [108] Im Nützlichkeitsprinzip sah Eneroth jedoch nicht nur einen Tribut an den Zeitgeist; denn als ein Jahr später seine „Svensk Pomologi” erschien, interpretierte er darin das Nützlichkeitsprinzip als demokratischen Fortschritt:

”Man vill numera icke blott sanningen för sanningens skull, konsten för konstens skull – man vill allt det äfven för människors skull, för alla människors skull. […] Man vill icke längre veta af en vetenskap för snillena och en annan för den stora massan. Vetenskapens värld har demokratiserats.”

[Man will nunmehr nicht bloß die Wahrheit um der Wahrheit willen, die Kunst für die Kunst – man will all dies auch der Menschen wegen, aller Menschen wegen. […] Man will nichts mehr wissen von einer Wissenschaft für die Genies und einer anderen für die große Masse. Die Welt der Wissenschaft ist demokratisiert worden.] [109]

Einschränkend gab er allerdings zu, dass es auch darin zu Übertreibungen gekommen sei, und immer noch gelte, was immer gegolten habe: Arbeit müsse vor allem sittlich und religiös sein, dann würden die guten Früchte schon folgen. [110] Tatsächlich beklagte Eneroth ja auch die Entartungen eines reinen Wirtschaftsdenkens, [111] und insofern war sein Versuch, zwischen den Forderungen nach Verwendbarkeit und dem Wissenschaftsanspruch zu vermitteln, ganz ehrlich. Und doch versetzte er der „alten” Botanik – und darin auch Fries – einen schweren Hieb:

„Nog med schematierande, systematiserande – för en tid åtminstone! Det är växtlifvet, vi vilja lära känna, växtens lif i förhållande till de öfriga uppenbarelserna af lifvet, till de ämnen och krafter, hvaraf den beror, samt till människans lif först och sist. Mera arbete således med egna ögon in i växtlifvets verkstad; å andra sidan mera arbete i och för utredande af odlingens inflytande på naturen samt, i sammanhang därmed, mera arbete i och för växtkunskapens tillgodogörande inom det mänskliga lifvet.

„Genug mit Schematisieren, Systematisieren – für eine Zeit wenigstens! Es ist das Pflanzenleben, dass wir kennen lernen wollen, das Leben der Pflanzen im Verhältnis zu den übrigen Offenbarungen des Lebens, den Zielen und Kräften, auf denen es beruht, und vor allem zum Leben des Menschen. Mehr Arbeit also mit eigenen Augen in der Werkstatt des Pflanzenlebens, und andererseits mehr Arbeit in und für den zunehmenden Einfluss der Kultivierung auf die Natur und, im Zusammenhang damit, mehr Arbeit in und für die Nutzung der Pflanzenkunde im menschlichen Leben]. [112]

Die alte Botanik – das waren die endlosen Streitereien über Verwandtschaft, Ketten- und Radienmodelle, was doch nur wenig praktischen Nutzen brachte. Die neue Auffassung forderte verwertbares Wissens: Was sind die Wachstumsbedingungen der einzelnen Arten, wie ist ihre Kultivierung zu verbessern? Und den letzten Schlag brachte Eneroth Fries mit einem überraschenden Nebensatz bei:

„Vi hafva vid högskolorna lärostolar för växtvetenskapen. Sådan denna vid högskolorna bedrifves – sådan blir ock des allmänna vetenskapliga behandling i alla öfriga skolor. […] Våra förhållanden tillåta icke just många sådana som Darwin att uppträda.“

[Wir haben Lehrstühle für Pflanzenkunde an den Hochschulen. So wie diese an den Hochschulen betrieben wird – so wird auch die allgemeine wissenschaftliche Behandlung in allen übrigen Schulen sein. […] Unsere Verhältnisse lassen nicht gerade zu, dass Viele wie Darwin auftreten.][113]

Eneroth hatte dazugelernt. Er nahm das neue Nützlichkeitsdenken und Darwins Theorie der „Origin of Species“ (1859) auf und blieb dabei seinen alten Träumen treu: Der Mensch müsse sich als Teil der Natur begreifen, sich unterordnen und in der Kultivierungsarbeit die Natur durchdringen.

„All vetenskapens första och sista frågor : hvad, hvarför, hvadan, hvarthän … dessa frågor göra sig nu alltmer gällande inom kulturväxternas värld . Människan blyges icke längre för sitt eget verk. De tider, då man ansåg det ogudaktig att gå vår Herre i förväg, att fuska i hans yrke […] – de tiderna äro för länge sedan gångna. […] Männsikan vill ej längre vara »naturens herre«, »naturens öga«, dess »själfmedvetande«, med mindre än att hon får underlägga sig och ansvara för allt, äfven för växtvärlden, och detta ej blott på det gamla viset i de akademiska botaniska trädgårdarna; hon vill genomtränga hela kulturvärlden med sitt vetande.“

[Die ersten und letzten Fragen der Wissenschaft sind: was, wozu, wieso, wohin … diese Fragen machen sich nun in der Welt der Kulturpflanzen immer mehr geltend. Der Mensch schämt sich nicht länger für sein eigenes Werk. Die Zeiten, in denen man es für gottesbeleidigend hielt, unserem Herrn in den Weg zu kommen, in sein Werk zu pfuschen […] – diese Zeiten sind lange vorbei. […] Der Mensch will nicht länger »Herr der Natur« sein, »das Auge der Natur«, oder ihr »Selbstbewusstsein«, es sei denn, dass er sich unterordnen und alles verantworten will, auch für die Pflanzenwelt, und dies nicht nur auf die alte Weise in den akademischen Botanischen Gärten, er will die ganze Kulturwelt mit seinem Wissen durchdringen.] [114]

Eneroths Vorwort zur Pomologie lässt auch seine neue Kontaktaufnahme mit Fries in zweierlei Licht erscheinen. Denn wie Eneroth erwähnte, hatte der letzte Reichstag in Schweden den beiden schwedischen Hochschulen großzügig Mittel für Botanische Gärten gewährt, doch noch immer besaß Schweden keinen Botanischen Garten für Kulturgewächse. In England, Deutschland, Frankreich, Russland, ja sogar im Bruderland Norwegen verfüge man schon über solche Einrichtungen. Auch an Fries als Leiter des Botanischen Gartens an der Universität Uppsala, wandte sich Eneroth mit diesem Anliegen:

”Mången af de företeelser, som jag under mina forskningar stött på i fråga om de odlade varieteternas förhållande till underart, behöfder göras till föremål för noggranna praktiska pröfvningar och forskningar i botaniska trädgårdar för tillämpad wäxtläran. För sådana äro vi här i Sverge ännu icke rustad med tillgångar.”

[Viele der Erscheinungen, auf die ich während meiner Forschungen in Frage des Verhältnisses der kultivierten Varietäten zu den Unterarten gestoßen bin, müssen zum Gegenstand sorgfältiger praktischer Überprüfungen und Forschungen in botanischen Gärten für eine anwendbare Pflanzenkunde gemacht werden. Für so etwas sind wir hier in Schweden bislang nicht zureichend ausgerüstet.] [115]

Aber es war Eneroth nicht nur um den Traum eines Pomologischen Reichsgartens zu tun, seine Ehrerbietung vor Fries war echt, selbst wenn man einigen rhetorischen Pathos abrechnet:

„Särskildt wågar jag utbedja mig Herr Professorns benägna uppmärksamhet få ett ögonblick för förordet till andra delen. Efter nio års arbete i en riktning, som af mängdar ansetts såsom en ”wurm” var det mig ett behof att uttala den åskådning och de åsigt som drifvet och upprätthållit mig under det …tet. Herr Professorn skall möjligen finnas ett och annat illa tänkt eller ille sagdt, om Herr Professorns yttranden i det sista brefvet låta mig dock hoppas att Herr Professor gillar syftningen.
[…]
Jag wågar ej trötta med vidlyfligan […] Skulle Herr Professorn anse mig i [min rin-]gen mån genom det arbete, jag unde[r] de sista 11 åren framlagt, hafva afbetal[…] af den stora skuld, hvari jag står ti[ll] samhålle och lärare […].”

[Insbesondere wage ich Herrn Professors geneigte Aufmerksamkeit für einen Augenblick auf das Vorwort des zweiten Bandes zu richten. Nach neunjähriger Arbeit in einer Richtung, die von Vielen als die eines „Wurms” angesehen wird, war es mir ein Bedürfnis, die Überzeugung und die Ansicht auszudrücken, welche mich während der Arbeit treibt und aufrechterhält. Herr Professor wird möglicherweise das Eine oder Andere schlecht gedacht oder gesagt finden, wenngleich Herrn Professors Äußerungen im letzten Brief mich hoffen lässt, dass Herr Professor meine Zielsetzung billigt.
[…]
Ich wage nicht, mit weitläufigen [Ausführungen] zu ermüden. Herr Professor sollten mich so sehen, daß ich nach Kräften durch die Arbeit, die ich in den letzten 11 Jahren meine Arbeit geleistet habe, die große Schuld zurückbezahlt habe, in der ich bei der Gesellschaft und dem Lehrer stehe […]. [116]

Eneroths Verhältnis zu Fries war das eines Schülers, der den Volksbildungsauftrag seines akademischen Lehrers mit persönlichem Aufopferungswillen weitertrug; die Lehre selbst jedoch, die veraltete romantische Biologie, ersetzte er – wohl auch unter dem Einfluss der Dezendenztheorie, vor allem aber dem neuen Nützlichkeitsdenken entsprechend – durch Pomologie als eine Form der praktischen Botanik.

 

[1] Fries, Botaniska Utflygter I, 1853; Fries, Botaniska Utflygter II, 1852; Fries, Botaniska Utflygter III, 1864.

[2] „Inledning [Einleitung]                                                                                                             S. 1,
Allmän öfversigt af Vegetationens historia på jordklotet
[Allgemeine Übersicht der Vegetationsgeschichte auf dem Erdball]                                              S. 8,
Skandinaviska Florans gränser [Grenzen der skandinavischen Flora]                                         S. 22,
Villkoren för vegetationens utbredning i den olika ländarne
[Bedingungen der Pflanzenausbreitung in verschiedenen Ländern]                                            S. 30,
Om det olika medium, hvari växterna lefva
[Über die verschiedenen medien, in denen Pflanzen leben]                                                       S. 36,
Öfver lufttemperaturens inflytande på växtligheten
[Über den Einfluss der Lufttemperatur auf die Wüchsigkeit]                                                       S. 42,
Öfver jordens och hafvets temperatur [Über die Temperatur von Erde und Wasser]                    S. 64.
Öfver Luftens fuktighet och des inverkan på vegetationen
[Über die Luftfeuchtigkeit und ihre Einwirkung auf die Vegetation]                                              S. 71,
Öfver jordalfvens (physikaliska) beskaffenhet och inflytande på vegetationen
[Über die (physikalische) Beschaffenheit der Erd… und Ihren Einfluss auf die Vegetation]           S. 81,
Vegetationernas olikheter, beroende af vexternas egen natur.
[Die auf der Natur der Gewächse beruhenden Unterschiede der Vegetation]                              S. 88,
Schonen. De 25 vextgeografiska rikena. [Schonen. Die 25 Pflanzengeographischen Reiche]      S. 94,
Svenska vegetationens förhållande till s. Europas
[Das Verhältnis der schwedischen Vegetation zum südlichen Europa]                                      S. 146,
Framställning af Morphologien i allmänhet. [Vorstellung der Morphologie im Allgemeinen]         S. 162,
De vexter, som förekomma i Danm. på dra sidan Eidern, men ej i Sverige och Norrige
[Die Pflanzen, welche in Dänemark vorkommen, … aber nicht in Schweden und Norwegen]      S. 169,
Danmark naturförhållanden och vegetationen i allmänhet
[Dänemarks Naturverhältnisse und Vegetation im Allgemeinen]                                               S. 174,
Sveriges östliga och vestliga vegetation. [Schwedens östliche und westliche Vegetation]          S. 178,
Götha Rike. [Das Göthische Reich]                                                                                        S. 182,
Svea Rike. [Das Schwedische Reich]                                                                                     S. 187,
Norrige.[Norwegen]                                                                                                               S. 191.
Lappmarken [Das Lappgebiet]                                                                                               S. 192.
Jordtemperaturen. [Die Erdtemperatur]                                                                                  S. 194.”

[Eneroth, Professor E. Fries’ föreläsningar vårterminen 1844 (E. Fries Vorlesungen im Frühjahrstermin 1844), o.P. Manuskript MS 71-37, Hierta-Retzius-Arkivet, kungl. Vetenskapsakademien Stockholm, Übersetzung von mir].

[3] Olof Eneroth, Brief an Elias Fries vom 22.01.1865.

[4] Marklin, Catalogus disputation, 1856, S. 39.

[5] Fries, Botaniska utflygter I, 1853; S. 20. Vgl. Fries, Naturwissenschaften ein Bildungsmittel, 1844, S. 14f.

[6] Fries, Botaniska utflygter I, 1853, S. 22, 41. Vgl. Fries, Naturwissenschaften ein Bildungsmittel, 1844, S. 17, 34.

[7] Vgl. Kapitel 5.2, 5.3.

[8] „För många år sedan erfar jag en gång, att Herr Professorn trodde mig hafva öfvergifvet naturen för dikten“ [Olof Eneroth an Elias Fries, Brief vom 03.03. 1866, Übersetzung von mir].

[9] Vgl. Eriksson, Elias Fries och den romantiska Biologien, 1962.

[10] Der Direktor des botanischen Gartens Breslau, Nées von Esenbeck, zählte 1860 zu den gut 100 ausländischen Mitgliedern im Svenska Trädgårdsföreningen [Svenska Trädgårdsföreningens Årskrift 1860, S. XII], dessen Sekretär zu dieser Zeit Eneroth war. Wie Oken zählte er zu den bekannten Botanikern der Zeit [Regel, Prof. Dr. Nees von Esenbeck in Breslau, 1852, S. 257; Redaktion der Gartenflora, Denkmal für L. Oken, 1854, S. 414].

[11] Eriksson, Elias Fries och den romantiska Biologien, 1962, S. 27-37.

[12] Z.B. über den mit Fries und Eneroth bekannten Eduard Regel, der zur finanziellen Unterstützung „für unsern berühmten Nees von Esenbeck“ aufrief. [Regel, Prof. Dr. Nees von Esenbeck in Breslau, 1852].

[13] Vgl. Eriksson, Elias Fries och den romantiska Biologien, 1962, S. 41ff.

[14] Eneroth, Trädgårdsodling och naturförsköningskonst I, 1857, S. 9. Übersetzung von mir.

[15] Fries, Botaniska utflygter II, 1852, S. 15.

[16] Fries, Botaniska utflygter III, 1864, S. 6. Übersetzung von mir.

[17] „De biologiska forskningsarterna äro i bildningens vigtskål en nödvändig motvigt emot Mathematiska, som, ensidig uppfattade, kunna leda till mekanisk uppfattning af verldsalltet. Ty dessa, för att vara sin idé trogna, måste vara rent rationalisitiska, afse materien och dess krafter, de biologiska åter supranaturalistiska samt betrakta lifvet och dess i oändlighet vexlande uppenbarelser.” [Die biologischen Forschungsarten sind auf der Waage der Bildung ein notwendiges Gegengewicht gegen die mathematischen, welche, einseitig aufgefasst, zu einer mechanischen Auffassung des Weltalls führen können. Denn um ihrer Idee treu zu bleiben, müssen sie ganz rationalistisch sein, bezogen auf die Materie und ihre Kräfte; die biologischen dagegen supranaturalistisch und das Leben in seinen unendlich wechselnden Offenbarungen betrachten]. Fries, Botaniska utflygter I, 1853, S. 15f. Hervorhebung im Original, Übersetzung von mir.

[18] „Vi antaga nemligen trenne kunskapskällor, en kritisk i menskliga förnuftet, en gudomlig uppenbarelse i naturen och en annan i hjertat och samvetet. Naturvetenskapernas filosofi, grundlagd af Aristoteles och Baco, förenar religion och förnuft och sammanfaller så nära med den empiriska naturforskningen, att bådas framsteg äro gemensamma“. [Wir nehmen nämlich drei Erkenntnisquellen an: Eine kritische in der menschlichen Vernunft, eine göttliche Offenbarung in der Natur und eine Weitere im Herzen und dem Gewissen. Die Philosophie der Naturwissenschaften, basierend auf Aristoteles und Bacon, vereint Religion und Vernunft und fällt so nahe mit der empirischen Naturwissenschaft zusammen, dass deren aller Fortschritt gemeinsam ist]. Fries, Botaniska utflygter III, 1864, S. 4. Hervorhebung im Original, Übersetzung von mir.

[19] Es handelte sich um Schelling, Ideen zu einer Philosophie der Natur als Einleitung in das Studium dieser Wisenschaft, Jena; Leipzig 1797; Schelling, Von der Weltseele, eine Hypothese der höheren Physik zur Erklärung des allgemeinen Organismus, Hamburg 1798; Schelling, Erster Entwurf eines Systems der Naturphilosophie, Jena; Leipzig 1799 [Eriksson, Elias Fries och den romantiska Biologien, 1962, S. 6].

[20] Vgl. Polianski, Ästhetisierung der Pflanzenkunde, 2004, S. 228-241. Eriksson, Elias Fries och den romantiska Biologien, 1962, S. 5-10.

[21] Fries, Botaniska utflygter II, 1852, S. 143.

[22] Ebd., S. 146.

[23] Ebd., S. 142. Jede Grundeinheit ist durch ein spezifisches Verhältnis der Grundelemente Wasser, Luft, Licht und Hitze bestimmt [Eriksson, Elias Fries och den romantiska Biologien, 1962, S. 459].

[24] Fries, Botaniska utflygter II, 1852, S. 142f.

[25] Fries, Botaniska utflygter II, 1852, S. 144.

[26] Dies zeige z.B. der Vergleich von Wal und Fisch, oder von Schmetterling und Vogel.

[27] Fries, Botaniska utflygter II, 1852, S. 157.

[28] Ebd., S. 28.

[29] „Långt ifrån att anse lifvet som en högre stegring af den oorganiska naturens krafter, betraktar Biologien dessa som lifvets motsats […].“ [Weit entfernt davon, das Leben als eine höhere Steigerung der Kräfte der unorganischen Natur anzusehen, betrachtet die Biologie dieses als Gegensatz zum Leben …]. Fries, Botaniska utflygter I, 1853, S. 16. Übersetzung von mir.

[30] Fries, Botaniska utflygter II, 1852, S. 27.

[31] Eriksson, Elias Fries och den romantiska Biologien, 1962, S. 7.

[32] Fries, Botaniska utflygter II, 1852, S. 143. Übersetzung von mir.

[33] Eneroth, Handbok i Svensk Pomologi, I, 1896, S. 4.,

[34] Schelling, Verhältnis der bildenden Künste zu der Natur, 1860, S. 293ff.

[35] Ebd., S. 293.

[36] Natur ist „dem begeisterten Forscher allein die heilige, ewig schaffende Urkraft“ [Schelling, Verhältnis der bildenden Künste zur Natur, 1860, S. 293], Vollkommenheit ist nichts anderes als das schaffende Leben“ [Schelling, Verhältnis der bildenden Künste zur Natur, 1860, S. 294], Kunst ist „werkthätige Wissenschaft“ [Schelling, Verhältnis der bildenden Künste zur Natur, 1860, S. 299].

[37] Ebd., S. 299f.

[38] Ebd., S. 300.

[39] Ebd., S. 305.

[40] Eneroth, Trädgårdsodling och naturförsköningskonst I, 1857, S. 4ff. Vgl. Kapitel 2.1.

[41] Ebd., S. 11. Hervorhebung und Übersetzung von mir.

[42] Schelling, Verhältnis der bildenden Künste zu der Natur, 1860, S. 311.

[43] Eneroth, Trädgårdsodling och naturförsköningskonst I, 1857, S. 17. Übersetzung von mir.

[44] Eneroth, Litteratur och Konst II, 1876, S. 1-14.

[45] Schelling, Verhältnis der bildenden Künste zu der Natur, 1860, S. 321.

[46] Ebd., S. 314.

[47] Ebd., S. 320.

[48] Eneroth, Litteratur och Konst II, 1876, S. 3. Übersetzung von mir.

[49] Fries, Botaniska utflygter II, 1852, S. 156.

[50] Ebd., S. 23.

[51] Fries verwendet den Begriff Evolution selbst [Fries, Botaniska utflygter I, 1853, S. 55].

[52] Fries, Botaniska utflygter II, 1852, S. 27. Vgl. Eriksson, Elias Fries och den romantiska Biologien, 1962, S. 462.

[53] Fries, Botaniska utflygter III, 1864, S. 113-114. Vgl. Eriksson, Elias Fries och den romantiska Biologien, 1962, S. 446.

[54] Fries, Botaniska utflygter III, 1864, S. 114.

[55] Fries, Botaniska utflygter II, 1852, S. 24.

[56] Fries, Botaniska utflygter I, 1853, S. 55f.

[57] Eriksson, Elias Fries och den romantiska Biologien, 1962, S. 462.

[58] „Att en allmän harmoni genomströmmar hela naturen är icke något bildlikt eller blott poetiskt uttryck, utan en sträng vetenskaplig sanning […]“. [Fries, Botaniska utflygter II, 1852, S. 141. Übersetzung von mir].

[59] Ebd., S. 156. Vgl. Fries, Botaniska utflygter II, 1852, S. 28.

[60] Peetz, Schelling, 1991, S. 187.

[61] Vgl. Kapitel 2.6.

[62] „Och skönheten är sanningens uppenbarelse” [Eneroth, Trädgårdsodling och naturförsköningskonst I, 1857, S. 9. Übersetzung von mir].

[63] Frängsmyr, Svensk Idéhistoria II, 2000, S. 39.

[64] Fries, Naturwissenschaften ein Bildungsmittel, 1844. Zu Hornschuch vgl. Kapitel 4.2.1.
Im Folgenden zitiere ich aus dem schwedischen Original der 2. Ausgabe von 1853 und der deutschen Übersetzung von 1844. Meine Korrekturen der Übersetzung sind mit ‚[JS]’ gekennzeichnet.

[65] Fries, Botaniska utflygter I, 1853, S. 14.

[66] Ebd., S. 5-7.

[67] Ebd., S. 34. Vgl. Fries, Naturwissenschaften ein Bildungsmittel, 1844, S. 28.

[68] Fries, Botaniska utflygter III, 1864, S. 6.

[69] Fries, Botaniska utflygter I, 1853, S. 20. Hervorhebungen im Original.

[70] Fries, Naturwissenschaften ein Bildungsmittel, 1844, S. 14-15. Hervorhebungen im Original, Im Klammereinschub meine Übersetzung nach dem schwedischen Original, da dieser Passus in der deutschen Übertragung von 1844 weggelassen wurde. Vgl. Fries, Botaniska utflygter I, 1853, S. 19: Naturwissenschaft als „Gymnastik für Seele und Körper“.

[71] Fries, Botaniska utflygter I, 1853, S. 22. Vgl. Fries, Naturwissenschaften ein Bildungsmittel, 1844, S. 17.

[72] Fries, Botaniska utflygter I, 1853, S. 2. Vgl. Fries, Naturwissenschaften ein Bildungsmittel, 1844, S. V-VI.

[73] Fries, Botaniska utflygter I, 1853, S. 45. Vgl. Fries, Naturwissenschaften ein Bildungsmittel, 1844, S. 38.

[74] Fries, Botaniska utflygter I, 1853, S. 22. Vgl. Fries, Naturwissenschaften ein Bildungsmittel, 1844, S. 17.

[75] Fries, Botaniska utflygter I, 1853, S. 51. Vgl. Fries, Naturwissenschaften ein Bildungsmittel, 1844, S. 42.

[76] Fries, Botaniska utflygter I, 1853, S. 21. Vgl. Fries, Naturwissenschaften ein Bildungsmittel, 1844, S. 15.

[77] Fries, Botaniska utflygter I, 1853, S. 47f.

[78] Übersetzung von mir. Die deutsche Übertragung in Fries, Naturwissenschaften ein Bildungsmittel, 1844, S. 40 übersetzt „menskligheten” falsch als „Menschheit”.

[79] Fries, Botaniska utflygter I, 1853, S. 52. Vgl. Fries, Naturwissenschaften ein Bildungsmittel, 1844, S. 43.

[80] Eneroth, Trädgårdsodling och naturförsköningskonst I, 1857, S. 5. Übersetzung von mir. Vgl. Kapitel 2.1.

[81] Fries, Botaniska utflygter I, 1853, S. 42. Vgl. Fries, Naturwissenschaften ein Bildungsmittel, 1844, S. 35.

[82] Fries, Botaniska utflygter I, 1853, S. 10.

[83] Ebd., S. 48.

[84] Übersetzung von mir. Fries, Naturwissenschaften ein Bildungsmittel, 1844, S. 40-41 gibt als deutsche Übertragung „upplysning” einmal als „Erhebung”, ein andermal als „Vollkommenheit” anstelle des korrekten „Aufklärung“ bzw. „Erleuchtung“ wider.

[85] „Det är denn odlarens djupare kärlek till sin torfva, som skulle göra hans arbete i anletets svett till en glädje och en gudstjenst […]. Och det är denna kärlek, som skulle göra honom mottaglig för de sanningar och de sanningnes afspeglingar, som vetenskapen och konsten hafva att bjuda honom till mångfaldiga fördelar för hans egen utveckling samt hans jord och hans arbete” [Eneroth, Trädgårdsodling och naturförsköningskonst I, 1857, S. 10].

[86] „Hans kärlek till och arbete för sanningen och naturen måste vara utan sjelfviskhet, om han skall lyckas tränga in i naturens hemligheter” [Eneroth, Trädgårdsodling och naturförsköningskonst I, 1857, S. 7].

[87] Vgl. Kapitel 2.6.

[88] Eneroth, Trädgårdsodlingen och naturförsköningskonst I, 1857, S. 17.

[89] „[…] sitt första jordiska kall, att förädla sitt lands natur och uppdrifva dess vegetativa kraft“ [Fries, Botaniska utflygter I, 1853, S. 92. Übersetzung von mir].

[90] Ebd., S. 9-10.

[91] Fries, Naturwissenschaften ein Bildungsmittel, 1844, S. 4.

[92] „Ett folk utan ädlare frukter, utan behof däraf, utan kännedom därom är ett rått folk“ [Eneroth, Handbok i Svensk Pomologi II, 1866, Übersetzung von mir].

[93] „Men emellan konstens och den organiska naturens alster förblifver alltid den genomgripande skillnad, oaktad allt hvad snillet framsökt för att upphöja sina egna skapelser, att hos de förra, ju nogare och på ju närmare håll (såsom under förstoringsglas) de beskådas, desto flera bristfälligheter upptäckas; då naturens, ju längre de studeras, desto outtömligare finner man den konstrikhet och visdom, långt utöfver hvad man kann se och fatta, som i henne återspeglas, eller att öfver de förra blott hvilar en yttre glans, då i de sednare innebor en lefvande »själ«. Men hvilka otaliga grader åtskilja icke denna, ifrån plantans medvetslösa till menniskans ensamt full medvetna och derföre till ännu skönare utveckling mogna?“ [Fries, Botaniska utflygter I, 1853, S. 38. Vgl. Fries, Naturwissenschaften ein Bildungsmittel, 1844, S. 31-32.

[94] Vgl. Eneroth, Handbok i Svensk Pomologie II, 1866, Vorwort.

[95] Fries, Botaniska utfygter II, 1852, S. 24.

[96] Eneroth, Handbok i Svensk Pomologie I, 1866, Vorwort.

[97] Fries, Botaniska utflygter II, 1852, S. 28.

[98] Fries, Botaniska utflygter I, 1853, S. 99.

[99] Eneroth, Handbok i Svensk Pomologie II, 1866, Vorwort.

[100] Olof Eneroth, Brief an Elias Fries vom 22.01. 1865.

[101] Vgl. Kapitel 5.5.1.

[102] Eriksson, Fries och den romantiska biologien, 1962, S. 429-448.

[103] Fries, Botaniska utflygter III, 1864, S. 114. Übersetzung von mir. Vgl. Eriksson, Fries och den romantiska biologien, 1962, S. 446. Darwin erwähnt seinerseits auch Fries [Darwin, The Origin of Species, 1967, S. 63].

[104] Eriksson, Fries och den romantiska biologien, 1962, S. 430.

[105] Eneroth an Elias Fries, Brief vom 3.3. 1866, Übersetzung von mir.

[106] Olof Eneroth, Brief an Elias Fries vom 22.01.1865, Übersetzung von mir.

[107] Fries, Botaniska utflygter I, 1853, S. 10. Vgl. Fries, Naturwissenschaften ein Bildungsmittel, 1844, S. 5.

[108] Påhlmann, Eneroths Pomologi, 1939, S. 136-137.

[109] Eneroth, Handbok i Svensk Pomologie II, 1866, Vorwort.

[110] Ebd., Vorwort.

[111] Eneroth, Trädgårdsodling och Naturförsköningskonst II, 1859, S. 56.

[112] Eneroth, Handbok i Svensk Pomologie II, 1866, Vorwort. Hervorhebung im Original.

[113] Ebd., Vorwort.

[114] Ebd., Vorwort.

[115] Olof Eneroth, Brief an Elias Fries vom 23.08.1866. Übersetzung von mir.

[116] Olof Eneroth, Brief an Elias Fries vom 23.08.1866. Übersetzung von mir.

Daniel Müllers Grenzgänge in der Gartenkultur

Dieser Fachartikel ist in der Zeitschrift  stadt + grün (Heft 10/2009, S. 17-22) erschienen.

„Wie lieb ich euch, ihr zarten, heitern Wesen!“
Daniel Müllers (1812-1857) Grenzgänge in der deutschen und schwedischen Gartenkultur

In ein „Land der Bären“ sei er hineingeraten, „mitten unter Felsen und Eis“, räsonierte bereits René Descartes als Dauergast des schwedischen Königshauses. [1] Und noch in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts kämpfte manch schwedischer Gärtner mit dem nordischen Klima, um Nutz- und Zierpflanzen aus Kontinentaleuropa im Norden zu akklimatisieren und dem Gartenbau unter der skeptischen Landbevölkerung zum Durchbruch zu verhelfen. [2] Dabei waren sowohl Pflanzenimporte als auch der wissenschaftliche und personelle Austausch mit dem Ausland von entscheidender Bedeutung. [3]

Während im 19. Jahrhundert viele schwedischen Gärtner ihr Wissen durch Bildungsreisen und Arbeitsaufenthalte in Deutschland, England und Holland erweiterten, fanden deutsche Gärtner bisweilen in Schweden eine Anstellung. Unter diesen ragt der Pommersche Gärtner und Gartenautor Daniel Müller (Abb.1) als eine der erfolgreichsten und interessantesten Persönlichkeiten hervor. Seine Bedeutung für die schwedische Gartenkultur seiner Zeit ist in Schweden unumstritten, [4] über sein Leben und sein Wirken in Deutschland ist dagegen kaum etwas bekannt. Müllers Biografie und sein gedankenreiches Werk sind Gegenstand der folgenden Darstellung.

Lehrzeit in Stralsund und Greifswald

Müllers Großvater war ein Leutnant „Möller“ aus Schonen in Schweden gewesen, der sich in Schwedisch-Pommern niedergelassen hatte. [5] Müllers Vater, der eine erfolgreiche Handelsgärtnerei betrieb,[6] änderte den Familiennamen in „Müller“. [7] Joachim Daniel Andreas Müller wurde 1812 in Stralsund geboren, und noch in der Schulzeit „begannen die Blumen und die Beschäftigung mit denselben eine … überwiegende Gewalt über das Gemüth unseres Freundes auszuüben“. Unter diesem Eindruck übte er sich in der Poesie und trat nach dem Besuch des Gymnasiums mit 18 Jahren eine Gärtnerlehre bei seinem Vater an. [8]

Im Botanischen Garten Greifswald traf er auf Professor Christian Friedrich Hornschuch (1793-1850), der der sogenannten „romantischen Biologie“ anhing. Nach dieser im 19. Jahrhundert verbreiteten Auffassung glaubte man, alle Pflanzen gemäß einer „inneren Ordnung“ in einem harmonischen und natürlichen System zueinander in Beziehung setzen zu können. Hornschuch hatte mit den berühmten Botanikern Nees von Esenbeck, Link u. a. in Berlin gearbeitet und während einer botanischen Reise nach Schweden den schwedischen Kollegen Elias Fries kennen gelernt. Neben seiner eigenen Forschung übersetzte er schwedische botanische Schriften (darunter mehrfach Elias Fries) und gab ab 1845 das „Archiv skandinavischer Beiträge zur Naturgeschichte” heraus. [9]

Hornschuch übertrug dem jungen Daniel Müller die gärtnerische Leitung des Botanischen Gartens und empfahl ihm, sich in die Pflanzenmorphologie zu vertiefen. [10] Zwischen 1836 und dem Frühjahr 1838 hörte Müller daher die Vorlesungen über Naturgeschichte und Botanik an der Greifswalder Universität und befreundete sich dabei mit dem nur drei Jahre jüngeren Kommilitonen Ferdinand Jühlke (1815-1893) (Abb. 2). Dieser resümierte:

„Diese Periode führte uns enger zusammen. Wir bearbeiteten wöchentlich gegenseitige Fragen, die M. für mich und die ich für ihn stellte. Diese Arbeiten kamen entweder hier oder in Greifswalde vor einem Kreis von Freunden zur kritischen Erörterung und gedenke ich noch oft und gerne dieser frischen Zeit um so mehr, als sie nicht ohne Einfluß auf unsern beiderseitigen Lebensplan geblieben.“ [11]

Im Botanischen Garten Uppsala und als Vereinsgärtner in Stockholm

Auf Hornschuchs Empfehlung erhielt Müller 1838 das Angebot, unter Prof. Göran Wahlenberg den berühmten Botanischen Garten Uppsala zu betreuen (Abb. 3). [12] Doch bevor er 1839 die Stelle antrat, heiratete er die Lehrertochter Clarissa Louise Nernst (1808–1878) aus Rügen [13] und bereiste Deutschland, Dänemark und Holland zu Studienzwecken. [14]

Es kam jedoch bald zu Spannungen zwischen Professor Wahlenberg und seinem ambitionierten Gärtner. Zwar lobte Wahlenberg Müllers Einsatz um die Topfpflanzenkultur im Botanischen Garten, [15] verbat sich jedoch dessen Äußerungen in botanischen Fragen:

„… in der Botanik ist Daniel Müllers Name gänzlich unbekannt, und würden wir seine Meinungsäußerung nicht einmal unterordnen, sondern als ungebührlich ganz fortlassen. Eine halbe oder ungenügende Wissenschaft ist im botanischen Garten ebenso gefährlich als anderswo.” [16]

Da Müller außerdem durch die „Unwissenheit eines zweiten Gärtners … wesentlich in der Ausführung seiner Pläne zur Hebung des Gartens gehindert“ worden sei, [17] gab er nach nur zwei Jahren seine Stellung auf und folgte einem Ruf in den noch jungen ‚Schwedischen Gartenverein’ als Lehrer der gerade eröffneten Gärtnerschule und als Gärtnermeister des Vereinsgartens. Das Gelände in der ‚Drottninggatan’ im Zentrum von Stockholm ist heute der Garten des ‚City Conference Center’ (Abb. 4).

Nach Müllers Zeichnungen entstanden die vereinseigenen Gewächshäuser, wurden Ausstellungen durchgeführt und Pflanzenversuche angestellt. Die Gärtnerschule gewann unter seiner Leitung hohes Ansehen. [18] Im Auftrag und mit finanzieller Unterstützung des ‚Schwedischen Gartenvereins’ erkundete Müller im Sommer 1844 Neuerungen auf dem Gebiet der Gartenkultur in Norddeutschland. [19] Auf Kosten des schwedischen Königshauses unternahm er 1846 eine Studienreise nach St. Petersburg [20] und eine weitere zum Naturforschertreffen nach Kopenhagen. [21]

Als Vorsitzender des „Gartenbauverein[s] für Neuvorpommern und Rügen“ schlug Jühlke seinen Freund Müller 1848 als Ehrenmitglied vor. [22] Jühlke schätzte Müllers Tüchtigkeit [23] und seinen Einsatz für die schwedische Gartenkultur. [24]

1848 gehörte Müller zu den Gründern von „Stockholms Trädgårdsmästareförening“ [Stockholms Gärtnermeisterverein] und erhielt den Vorsitz im bald in „Stockholms Gartnersällskap“ umbenannten Verein, der Vorträge zum Gartenbau, Exkursionen und Pflanzenschauen organisierte [25] und sich hauptsächlich an Berufsgärtner wandte. Heute ist der Verein Schwedens ältester Gartenverein. [26] 1849 machte sich Müller auf Reimersholm in Stockholm mit der Handelsgärtnerei „Charlottenburgs handelsträdgård“– der ersten ihrer Art in Schweden – selbständig. [27]

Nach Wahlenbergs Tod wurde Müller 1851 vom neuen Direktor Elias Fries (1794-1878) zurück nach Uppsala gerufen. Fries veranlasste Müllers Berufung zum botanischen Gärtner im königlichen Staatsdienst. [28] Unter Müllers Händen wuchs die Anzahl der kultivierten Pflanzenarten auf etwa 8.000-9.000 an. [29] Die alte Pflanzenaufstellung im Garten passte er dem Fries’schen System für die Verwandtschaftsbeziehungen der Pflanzen an. [30]

Die Bestimmung der Pflanze

Müllers theoretische Arbeiten geben einen seltenen Einblick in die Gedankenwelt eines Gärtners in dieser Zeit.

Seine auf Schwedisch verfassten Vorlesungen über „Das Verhältnis der Kunst zur Natur oder der gegenwärtige Standpunkt der Gartenkunst unter seinen Geschwistern“ (1847) sowie über „Die Natur als Künstlerin“ (1846) [31] lassen erkennen, dass zu seiner Lektüre neben John Milton und Matthias Claudius auch gartentheoretische und ästhetische Werke (Henry Home, Immanuel Kant, Friedrich Schiller, Hirschfeld und Sckell) zählten.

So trat er 1855 in einer Abhandlung zur „Bestimmung der Pflanze“ der verbreiteten Auffassung entgegen, die Pflanzen seien allein zum Nutzen des Menschen geschaffen:

„Auch die Pflanzen sollen, wenn auch auf eine uns unbekannte Weise, ihr Leben genießen, und dieses scheint mir ein Hauptzweck ihres Daseins zu sein. Wenn sie dann gleichzeitig die atmosphärische Luft in dem Zustand erhalten, dass Thiere fortfahren können zu athmen und zu leben, wenn sie den Thieren und Menschen zur Nahrung dienen, wenn sie der Industrie nutzen, wenn sie die Erde schmücken und den Menschen mit ihrer Schönheit erfreuen, wenn sie zu uns reden von der Weisheit des Schöpfers und seinem unendlichen Ideen-Reichthum, wenn sie ein zusammenhängendes Reich bilden, welches der Systematiker zu einem schönen Ganzen zusammen zu stellen weiß und auch in dieser Hinsicht die bewundernswürdige Ordnung in der Natur uns entgegentritt, so erfüllen die Pflanzen, wie alles in der Natur, gleichzeitig mehre Zwecke. Aber ein Hauptzweck ihrer Erschaffung sind sie selbst“. [32]

Bemüht, einem anthropozentrischen Naturbegriff zu entgehen, konstatierte Müller nicht nur ein vom Menschen unabhängiges Existenzrecht aller Lebewesen, sondern stellte auch den Begriff des pflanzlichen Individuums in Frage:

„Aber nimmt man einen Zweig von einem altgewordenem Baume, und wenn er von der Art ist, die sich leicht bewurzelt, wendet ihn als Steckling an oder impft ihn auf eine gleichartige jüngere Wurzel: dann ist mit den Ursachen auch das Alter gehoben und das Individuum ist wieder jung und lebensfrisch in einem anderen Baume geworden. Und so lebt das Individuum fort, so lange die Bedingungen seines Lebens existieren und wir es werth halten, dasselbe, auf ungeschlechtlichem Wege, beständig wieder in seiner Jugend darzustellen“. [33]

Seine für einen Gärtner und auch Gartentheoretiker ungewöhnlichen Darstellungen resultierten aus der intensiven Beschäftigung mit der ‚natürlichen Ordnung der Natur’, einer Frage, der er sich ja bereits in seiner Lehrzeit unter Hornschuch gewidmet hatte. [34] Sicher hatte die Tätigkeit unter Wahlenberg und Fries seinen Blick für pflanzensystematische Fragen und damit zusammenhängend das Problem der biologischen Entwicklungsgeschichte geschärft. Am Vorabend der darwinschen Evolutionstheorie konzentrierte sich Müller jedoch weniger auf eine „Idee der Pflanze“ und ihre Entwicklungsprozesse, als auf ethische und metaphysische Fragen, die sich aus der Vorstellung einer Natur, die auch ohne den Menschen auskommen konnte, ergaben:

„Die Geologie z.B. lehrt uns, dass selbst auf unsrer Erde ganze Schöpfungen in vielen Jahrtausenden bestanden haben, bevor der Mensch hier erschien, und folglich waren sie nicht seinetwegen da.“ [35]

Die Idee des Überlebenskampfes überführte Müller in das Gegenbild einer stetigen, für ihn harmonischen Einheit der Natur: „Das Fortbestehen des großen Ganzen ist die friedliche Lösung allen Streites in der Natur“. [36]

Eine innerhalb fester Grenzen verlaufende Entwicklung („keine Pflanze darf aus sich selbst heraustreten und in die Form einer andern übergehen“) akzeptierte Müller. Ja, gerade in der Zielstrebigkeit der Entwicklung – die er zum Beispiel in den Pflanzen zu erkennen meinte, „deren Bestimmung es zu sein scheint uns durch die Schönheit ihrer Blumen und Blätter zu erfreuen“ – machte er „das Wollen einer höheren Weisheit“ aus. [37]

Aus der Überzeugung einer planvollen Weltentwicklung verlieh er auch der Zähmung der Natur eine besondere Bedeutung: Wo sich der Mensch niedergelassen habe, habe die Natur ihre wilde Schönheit verloren. Tausendjährige Wälder seien verwüstet, die bunte Vegetationsdecke zerstört worden und es habe eines dauernden Kampfes mit den wilden Tieren bedurft, die angebauten Pflanzenkulturen zu schützen. Die solcherart verheerte Natur müsse sich nun unter der Pflege des Menschen „ in einer veredelten, höhern Schönheit darstellen, welche überall von dem denkenden, ordnenden Menschen zeugt“. [38]

In der Frage, ob „jede Veränderung durch die Kultur eine unnatürliche Verunstaltung“ sei, wie es viele Botaniker sähen, oder im Gegenteil „eine Veredlung“, wie es die Gärtner annähmen, neigte Müller zur Position der Gärtner. Seine Begründung lag nicht nur in einer Wertschätzung ästhetischer Pflanzenschöpfungen wie der Rose, sondern in der Gewissheit, dass die Kultivierung nicht unnatürlich sei: „Die Veränderungen sind in der Natur durch die Natur und folglich naturgemäß entstanden“. [39]

Südlich des Botanischen Gartens Uppsala legte er im Auftrag der ‚Ökonomischen Gesellschaft’ ein zwei Hektar großes Gelände als Baumschule mit Parkbäumen und Obstgehölzen an – wofür er von der Gesellschaft mit einer Goldmedaille ausgezeichnet wurde [40] –  um dort die Teilnehmer des Lehrerseminars in der Gartenkultur unterweisen lassen zu können. [41] Die Lehrer sollten ihre Kenntnisse in die Volksschulen tragen, um eine sittliche und physische Gesundung der Bevölkerung zu bewirken.

Der Gärtner und die Dichterinnen

Uppsala war damals eine Stadt von etwa 8000 Einwohnern und – vielleicht noch mehr als Stockholm – intellektuelles Zentrum Schwedens. Müllers zählten zwar nicht direkt zum Salonleben der Stadt, [42] hatten aber gute Freunde in diesen Kreisen. Neben Elias Fries waren dies die Schriftstellerinnen Fredrika Bremer (1801-1865) (Abb. 5), Thekla Knös (1815-1880) und Lotten von Kraemer (1828-1912).

1855 nahmen Müllers für kurze Zeit Thekla Knös bei sich auf, die kurz zuvor ihre Mutter verloren hatte. Zusammen hatten „die kleinen Knöser“ einen viel besuchten Salon unterhalten, zu dessen Stammgästen unter anderem die berühmten Dichter Geijer und Atterbom gezählt hatten. [43] Nun wohnte Thekla für kurze Zeit in Müllers Wohnhaus im Botanischen Garten, und besuchte mit Fredrika Bremer Professor Fries Vorlesungen. Mit den Müllers brachte Knös 1855 die schwedischen Gedichtsammlung „Maiglöckchen. Ein Sagenkranz“ und als Gemeinschaftswerk mit Müllers und Bremer das „Vierblättrige Kleeblatt“ (Abb. 6), ebenfalls eine schwedische Gedichtsammlung, heraus.

Bremer hat in einem ihrer bekanntesten Romane die Salonatmosphäre dieser Zeit festgehalten und zum Teil überdeutlich ihre Zeitgenossen darin porträtiert. Elias Fries tritt als liebenswerter „Professor Methodius“ auf, der unermüdlich an der Fort- und Umschreibung seines „Systems“ arbeitet und möglicherweise ist in der Beschreibung des Pfarrers und seiner Frau eine literarische Bearbeitung der Müllers aufgehoben. [44]

Als Pendant zu seinen wissenschaftlichen Erörterungen geben Müllers Gedichtsammlungen einen Einblick in seine Gedankenwelt. Viele Titel kreisen um die Pflanzen, andere behandeln die Liebe zu seiner Frau, aber auch Tod, Trennung und Heimweh. Diese Gedichte waren sicher für einen weiten Bekanntenkreis herausgegeben worden, vielleicht noch mehr für die Autoren selbst. Ihr Wert liegt daher mehr in ihrer Eigenschaft als Zeichen der Liebe und Freundschaft der Verfasser, denn als große Literatur.

Das gartentheoretische Standardwerk

Wirklich bekannt aber wurde Müller durch seine Veröffentlichungen zur Gartenkunst. Seine Gartenidee schlug sich in dickbändigen Werken sowie zahlreichen Artikeln in Fachzeitschriften nieder. Auf vielen praktischen Gebieten der Gartenkultur meldete sich Müller zu Wort: dem Obst- und Blumenbau, der Baumzucht, Forstwirtschaft, Botanik, Gewächshaus- und Innenraumvegetation, nicht zuletzt auch in Gartenbau, Gartenkunst und Landesverschönerung (Abb. 7).

Müllers dreibändiges Werk „Trädgårdsskötsel“ [Gartenpflege], das 1848 mit dem Untertitel „Anweisung, Gärten anzulegen und zu pflegen“ erschien und 1858-1863, sowie 1886-1888 wiederaufgelegt wurde, gilt als einflussreichstes Gartenbuch Schwedens in seiner Zeit! [45] In seiner Zielsetzung und Bedeutung war es Gustav Meyers ‚Lehrbuch der schönen Gartenkunst’ vergleichbar, erschien jedoch bereits 13 Jahre früher. Sein Hauptwerk legte Müller enzyklopädisch an, systematisch geordnet nach Abteilungen, Kapiteln und Paragraphen. Wahrscheinlich war das Werk als Lehrbuch für die Gärtnerschüler konzipiert, die Müller im Schwedischen Gartenverein unterrichtete. [46]

Im ersten Band der „Trädgårdsskötsel“ behandelte Müller in verschiedenen Kapiteln allgemeine Kompositionsregeln sowie einzelne Gestaltungselemente wie Blumen, Wege, Rasenflächen, Plätze und Wasser. Der zweite Teil des Werks befasste sich mit der praktischen Umsetzung, der dritte ergänzte Listen zur Pflanzenverwendung. Mit vielen Abbildungen versehen informierte das Werk über die Anlage von den in Schweden so wichtigen Wintergärten, den obligatorischen Teppichbeeten, Blumenarrangements und der Gestaltung kleinerer Hausgärten mit einer für die Mitte des 19. Jahrhunderts charakteristischen Wegeführung.

Eine Besonderheit zeichnete Müller dabei aus: Er unterschied nicht nur den „französischen“ geometrischen Stil vom „englischen“ landschaftlichen Stil’, sondern behandelte auch Anlagen im so genannten ‚deutschen Stil’. Darunter verstand Müller landschaftliche Gärten, die spiegelsymmetrisch zu einer Mittelachse konzipiert waren. Es war dies eine ganz unübliche Bezeichnung, die neben Müller nur wenige schwedische Gartenautoren verwendeten. In Deutschland war der Terminus wohl eher unbekannt, obwohl die Forderung nach einem eigenen deutschen Stil schon von Hirschfeld erhoben worden war.

Von anderen schwedischen Gartenautoren wurde der Begriff zwar kritisiert, er setzte sich jedoch als allgemeine Bezeichnung für landschaftliche Gartenkunst des 19. Jahrhunderts in Schweden soweit durch, dass er bis vor wenigen Jahrzehnten noch gebräuchlich war. Freilich in einer abwertenden Konnotation, denn weder war ‚deutsch’ in Schweden seit dem zweiten Weltkrieg ein Gütesiegel, noch galt dies für die als Teppichgärtnerei und Brezelwegekunst verpönten Gärten des Biedermeier.

Müllers Lehrbuch wurde noch bis wenigstens 1905 in der Ausbildung der Gärtnermeister im ‚Schwedischen Gartenverein’ eingesetzt, ein schlagender Beleg für seine Jahrzehnte währende Bedeutung. [47] Er selbst hatte mit seinen Verbindungen und fachlichem Können Aussicht auf eine glänzende Karriere. Was allein fehlte war der Nachweis seiner praktischen gartenkünstlerischen Kompetenz.

Die Gelegenheit dazu ergab sich mit einem Auftrag einer patriotischen Gesellschaft in Visby mit dem eigenwilligen Namen ’Die Freunde des Badens’, einen botanischen Garten anzulegen (Abb. 8). Auch diese Anlage besteht, wenngleich in veränderter Form, bis heute. [48]

Es war eine der letzten Aufgaben Müllers. 1857 wurde Uppsala von einer Choleraepidemie heimgesucht. Allein von den Mitarbeitern des Botanischen Gartens verstarben zwölf Personen. Fries kam davon, Müller nicht. Sein Grab befindet sich auf dem alten Friedhof in Uppsala. Das Schicksal seiner Familie ist unbekannt, sein Grabstein wurde von „Freunden der Gartenkultur“ aufgestellt (Abb. 9).

Ein klarer Kopf?

Wie unterschiedlich Müllers Wirken beurteilt wurde, davon legen zwei Nekrologe Zeugnis ab, die kurz nach seinem Hinscheiden von Berufskollegen verfasst wurden. Der schwedische Gartenautor Olof Eneroth (1825-81) (Abb. 10) verfasste 1858 einen doppelbödigen Aufsatz für die Zeitschrift des „Schwedischen Gartenverein(s)“. Zwar pries Eneroth den Kollegen als liebenswert, fleißig und als Mann, der die Gärtnerei mit seiner Seele ausgeübt habe. Er beschrieb Müller als „Autodidakten und den mit dem Spaten in der Hand aufgewachsenen Arbeiter“ und lobte, die gegenwärtige Zeit brauche solche Männer: [49]

„Müller liebte seinen Beruf. Er war seine Lebensaufgabe. Von seinem Garten aus sah er die Welt und diese erklärte sich ihm gerade in und durch Gartenarbeit“.[50]

Doch dem Doktor der Philosophie Eneroth erschien Müller nur als ein Mann der Tat, pflichtbewusst, unermüdlich – und dabei vollständig in seiner Gartenwelt gefangen:

„Müller war ein wissenschaftlicher Instinkt, der nicht zur Selbstbestimmung neigte und daher auch nicht zu vollständiger Macht und Klarheit. Er wurde in einem Garten geboren und wuchs dort auf. Er war Gärtnermeister von Geburt. Irgendein anderer Beweis seiner Gelehrsamkeit als der eines Gärtnermeisters wurde niemals von ihm gefordert“.[51]

Vermutlich spielte auch eine ordentliche Portion Neid in diese Beschreibung eines Mannes hinein, der es in Eneroths Augen beruflich und privat leichter gehabt hatte, und der es wohl noch weiter gebracht hätte, wäre er nicht so unvermittelt aus dem Leben geschieden. Und so betonte Eneroth Müllers „deutschen Fleiß und den warmen Sinn, der die Deutschen so oft auszeichnet“, und damit auch dessen Fremdheit in Schweden. [52]

Wie anders das Bild, welches Jühlke von seinem „geliebten Freunde“ zeichnete, dem er sich „ueber ein viertel Jahrhundert […] in ächter Freundschaft im Lernen, Wirken und Schaffen, eng und fest für dieses Leben verbunden“ gefühlt hatte.:

„Müller war ein philosophisch gebildeter, klarer Kopf und vereinigte mit einer großen Summe von wissenschaftlichen Kenntnissen jenen seltenen praktischen Takt, den wir mit Ueberzeugung als die Basis bezeichnen müssen, auf welcher sich sein fruchtbares Wirken als Gärtner und Schriftsteller für sein zweites Vaterland – Schweden – so erfolgreich aufbaute und zu großen Hoffnungen berechtigte.“ [53]

Eine Uppsalaer Zeitung würdigte ebenfalls „Müller’s große Verdienste um die Schwedische Horticultur im allgemeinen und um den botanischen Garten der Universität Upsala im besonderen“. Sein Hinscheiden sei ein unersetzlicher Verlust nicht allein für den Lehrsitz und dessen Gemeinwesen, denen er unermüdlich seine Kräfte gewidmet hatte, sondern für ganz Schweden, welches in ihm einen für sein Fach höchst seltenen, ausgezeichneten und kundigen Mann verloren habe. [54]

Müllers bis zuletzt tiefe Sehnsucht nach dem Land und den Freunden der Heimat geht aus einem Brief hervor, den er zwei Monate vor seinem Tod an Jühlke schrieb:

„Einmal noch in Deiner Nähe zu leben und zu wirken war auch lange mein sehnlichster Wunsch, auch hoffte ich er sollte einmal in Erfüllung gehen – diese Hoffnung habe ich jetzt aufgegeben. Ich danke aber Gott dafür, danke ihm recht von Herzen dafür, dass er uns zusammenführte, dass er uns zur Freundschaft für einander schuf und uns einander bis dahin erhielt. Die wenigen Jahre unserer ersten Freundschaft sind nicht ohne Einfluß auf unser ganzes Leben geblieben und ich erinnere mich ihrer recht oft mit inniger Freude und Dank. Dir war es vergönnt im Vaterlande zu bleiben; Du weißt es vielleicht nicht was für ein Wohllaut im Worte Vaterland liegt, denn Du hast dasselbe nie für immer verlassen. Ich – – o ja ich habe meine neue Heimath lieb gewonnen, ich bin hier geliebt und geachtet über Verdienst und Würde, aber dennoch komme ich mir oft fremd vor. Die Natur ist hier schön, der kurze Frühling und Sommer eine wahre Festzeit, aber es fehlt dem Frühling jene Milde, es fehlt der Luft das weiche anschmiegende, was sie daheim so lieblich macht. Ich finde die schwedische Sprache kurz, klar und schön, aber sie macht immer erst den Umweg durch den Kopf, bevor sie mir in’s Herz dringt. Doch ich will nicht ungerecht sein, sondern dankbar, recht von Herzen dankbar“.

Müller verstand sich selbst – bei aller Geschäftstüchtigkeit – als „Kultivateur“ an der Welt und verband dies mit einem sympathischen Gottvertrauen. So führte er in dem Gedicht „An meine Blumen“ aus:

„Ihr tausend kleine, liebliche Gestalten,
Die täglich sich zu neuem Reiz’ entfalten,
Wie lieb ich euch, ihr zarten, heitern Wesen!
Wie mag ich gern in euren Zügen lesen!

[…]

Im kindlichen Vertraun blickt ihr nach Oben
Zu dem, der euch vom Staub’ zum Licht’ erhoben;
Und sendet er den Sturm, dass er euch knicke,
So lächelt Hoffnung noch in eurem Blicke.“ [55]

 

[1] Weischedel, Wilhelm, 34 große Philosophen in Alltag und Denken. 16. Auflage, München 1990, S. 141.

[2] Vgl. Schnitter, Joachim, Anguis in Herba: Gartenkultur und die Veredlung der Welt. Das Lebenswerk des schwedischen Agitators Olof Eneroth (1825-1881), unveröffentlichte Dissertation an der Universität der Künste, Berlin 2009.

[3] Vgl. Schnitter, Joachim, Svenska Trädgårdsföreningen 1832-1911. Der ‚Schwedische Gartenverein’ in seiner Beziehung zur deutschen Gartenkultur, in: Die Gartenkunst 1 (2001), S. 34-52.

[4] Nolin, Catharina, Till stadsboernas nytta och förlustade, Stockholm 1999.

[5] Zwischen 1648 und 1815 regierte Schweden in Pommern nördlich der Peene.

[6] Jühlke: Daniel Müller. Nekrolog. In: Hamburger Garten- und Blumenzeitung. 13. Jahrgang. Hamburg 1857, S. 566-570, hier S. 567.

[7] Franzén, Olle: Joachim Daniel Andreas Müller. In: Svenskt Biografiskt Lexikon, Band 26, Stockholm 1987-1989,  S. 108-111, hier S. 109.

[8] Jühlke: Daniel Müller, S. 567.

[9] Mauritz Dittrich: Christian Friedrich Hornschuch (1793 bis 1850) als Botaniker (Ein Beitrag zu seiner Biographie). In: Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald: Festschrift zur 500-Jahrfeier der Universität Greifswald. Band II. Greifswald 1956, S. 540-547. Für den Hinweis auf diese Schrift danke ich Angela Pfennig.

[10] Jühlke, Daniel Müller, S. 567.

[11]:Jühlke, Daniel Müller, S. 566f.

[12] Hornschuch, Christian Friedrich, Beskrifning öfver Undervisnings-anstalten för Trädgårdsmästare vid Botaniska Trädgården i Greifswald, in: Svenska Trädgårdsföreningens Årsskrift (1840), S. 68-72, hier S. 31.

[13] Franzén, Daniel Müller, S. 109.

[14] Hornschuch,  Botaniska Trädgården i Greifswald, S. 31.

[15] Wahlenberg: Einige Erläuterungen über die neuern und neuesten Verbesserungen im botanischen Garten zu Upsala. Von Herrn Prof. G. Wahlenberg, Director des botanischen Gartens zu Upsala. In: Neue allgemeine deutsche Garten- und Blumenzeitung (6) 1850, S. 148-162, hier S. 154.

[16] ebenda S. 157.

[17] Jühlke, Daniel Müller, S. 568.

[18] Franzén, Daniel Müller, S. 109.

[19] Müller, Daniel, Anteckningar under en resa i norra Tyskland sommaren 1844, till inhemtande af Trädgårds-odlingens framsteg, af Dan. Müller. In: Svenska Trädgårdsföreningens Årsskrivft 1845, S. 128-141.

[20] Svenska Trädgårdsföreningens Årsskrivft 1847, S. 91-119].

[21] Müller, Daniel, Beobachtungen während einer Reise nach Kopenhagen im Juli 1847.Mitgetheilt von Herrn Daniel Müller, Gärtner am Gartenbau-Verein zu Stockholm. In: Neue allgemeine deutsche Garten- und Blumenzeitung. Vierter Band. Hamburg 1848, S. 323-328.

[22] Vorstand des Gartenbau-Vereins für Neuvorpommern und Rügen, Dritter Jahresbericht, 1848, S. 4f.

[23] ebenda, S. 9.

[24] Jühlke, Daniel Müller, S. 568.

[25] A.P. Andersson: Stockholms Gartnersällskap. Anförande vid sällskapets 50-årsfest den 6. februari 1898. In: Svenska Trädgårdsföreningens Tidskrift 1898, S. 22-26, 42-45, hier S. 23

[26] www. gartnersallskapet. se

[27] Jühlke, Daniel Müller, S. 568.

[28] Jühlke, Daniel Müller, S. 568.

[29] Müller, Der botanische Garten zu Upsala. In: Hamburger Garten- und Blumenzeitung. Hamburg 1853, S. 337-339, hier S. 339

[30]Jühlke, Daniel Müller, S. 568.

[31] Freundlicher Hinweis von Catharina Nolin. Vgl. Nolin, stadsboernas nytta , S. 341.

[32] Müller, Daniel, Die Bestimmung der Pflanze. In: Hamburger Garten- und Blumenzeitung 1855, S. 241-248, hier S. 248.

[33] Müller, Daniel, Versuch zur Beantwortung einer Preisfrage der k. Leopold.-Carolin.-Academie der Naturforscher. Ausgesetzt von Sr. Durchlaucht, dem Fürsten Anatol Demidoff, zur Feier des Allerhöchsten Geburtstages ihrer Majestät der Kaiserin Alexandra von Russland, am 17. Juni a. St. 1854; bekannt gemacht den 21. Juni 1853. Von Daniel Müller, botanischem Gärtner zu Upsala, in: Neue allgemeine deutsche Garten- und Blumenzeitung (1855), S. 1-20, hier S. 20.

[34] Jühlke, Daniel Müller, S. 567f.

[35] Müller, Daniel, Die Bestimmung der Pflanze, in: Hamburger Garten- und Blumenzeitung (1855), S. 241-248, hier S. 242.

[36] ebenda S. 245.

[37] Müller: Die Veränderung der Pflanzen durch die Kultur, Von Daniel Müller, botanischem Gärtner zu Upsala, in: Neue allgemeine deutsche Garten- und Blumenzeitung (1855), S. 49-56, 97-104, hier S. 51.

[38] Müller, Daniel, Ackerbau und Gärtnerei. In: Hamburger Garten- und Blumenzeitung 1855, S. 433-441, hier S. 441.

[39] Müller, Daniel, Die Veränderung der Pflanzen durch die Kultur. Von Daniel Müller, botanischem Gärtner zu Upsala, in: Neue allgemeine deutsche Garten- und Blumenzeitung (1855), S. 49-56, 97-104., hier S. 51.

[40] Franzén, Daniel Müller, S. 110. Vgl. Jühlke: Daniel Müller, S. 569.

[41] Müller, Daniel, Trädgårdsskötselns inflytande på åkerbruket, in: Svenska Trädgårdsföreningens Årsskrifvt (1856), S. 92-103, hier S. 96.

[42] Mansén, Elisabeth, Konsten att förgylla vardagen: Thekla Knös och romantikens Uppsala, Lund 1993, S. 110f.

[43] ebenda, S. 56

[44] Bremer, Fredrika, Hertha oder Geschichte einer Seele: Skizze aus dem wirklichen Leben von Friederike Bremer. Stuttgart 1857.

[45] Ebenda, S. 53, S. 86.

[46] ebenda, S. 341.

[47] Schnitter, Joachim, Svenska Trädgårdsföreningen, S. 34-52.

[48] www. dbw.nu/tradgard/index. htm

[49] Eneroth, Olof: P. Neijdel, D. Müller, M. Af Pontin. In: Svenska Trädgårdsföreningens Årsskrift 1858, S. 80-93, hier S. 89.

[50] ebenda, S. 89. Übersetzung von mir.

[51] ebenda S. 88. Übersetzung von mir.

[52] ebenda, S. 87.

[53] Daniel Müller an Ferdinand Jühlke, Brief vom 18.Juli 1857. In: Jühlke, Daniel Müller, S. 566f.

[54] Jühlke, Daniel Müller, S. 568f.

[55] Müller, Daniel u. Luise Müller, Gedichte von Daniel Müller und seiner Frau Louise, geborne Nernst,
Stockholm 1844, S. 2.

Warburgs Garten auf dem Kösterberg

„Ein gleich bleibend sicherer Bezugspunkt in allen Wirrnissen“ – Zu Geschichte und Denkmalwert von Warburgs Garten auf dem Kösterberg

Fachartikel in: Hubertus Fischer, Joachim Wolschke-Bulmahn (Hg.), Gärten und Parks im Leben der jüdischen Bevölkerung nach 1933, München 2008, S. 385-413.

   

Der Garten der Familie Warburg auf dem Kösterberg in Hamburg-Blankenese ist in der Öffentlichkeit wenig bekannt. Kein Wunder, denn als Privatgarten der Warburgs war dieser Garten in den gut 100 Jahren seines Bestehens nicht öffentlich zugänglich. Davon ausgenommen sind der sogenannte „Römische Garten“, ein Gartenteil, das 1951 in die öffentliche Hand überging und heute ein Aushängeschild historischer Gartenkunst in Hamburg ist,[1] sowie ein schmaler Parkstreifen, der ebenfalls seit dieser Zeit Teil des öffentlichen Elbhöhen-Wanderwegs ist. Angefangen mit dem „Römischen Garten“ ist auch der flächenmäßig viel größere Rest des Gartens in den letzten Jahren zunehmend in der Fachliteratur thematisiert, bisweilen sogar in der Tagespresse gestreift worden. [2] Dennoch ist die Kenntnis der Gartengeschichte des Kösterbergs, wie dieses Areal in Blankenese genannt wird, noch immer lückenhaft.[3] Im Auftrag des gegenwärtigen Eigentümers[4] habe ich im vergangenen Jahr für ein Hamburger Büro für Landschaftsarchitektur einen Teil der Geschichte des Kösterbergs untersucht.[5] Weit von einer vollständigen Quellenauswertung entfernt, hoffe ich dennoch, die in verschiedenen Veröffentlichungen beschriebenen Geschichte dieses Gartens durch einige neue Archivfunde umfassender darstellen zu können, als dies bisher geschehen ist. Der gartenhistorische und zeitgeschichtliche Befund[6] wirft darüber hinaus Fragen zum Denkmalwert auf, deren Beantwortung auch für andere historisch bedeutsame Orte von Bedeutung sein könnte.

Interessiert sich ein Gartenhistoriker für einen Garten im vornehmen Stadtteil Blankenese, so zieht er sicher auch das Übersichtswerk „Die Elbchaussee, Ihre Landsitze, Menschen und Schicksale“ von Paul Theodor Hoffmann aus dem Jahr 1937 heran. In seinem Standardwerk schilderte Hoffmann die Besitzungen des Hamburger Geldadels an dieser legendären Straße, an der sich die Parks und Villen wie Perlen auf einer Schnur reihten. Auf der Übersichtskarte in diesem Werk fanden sich all die bekannten Anwesen von Caspar Voght und Senator Jenisch, Baur, Rainville, den Godefroys, Sievekings, und anderen Gestalten aus der Blütezeit des Hamburger Seehandels, durch den sie direkt oder indirekt reich geworden waren. Auch die Geschichte der weniger bekannten Besitzung des „Kösterbergs“, am Westrand Blankeneses gelegen, fand Aufnahme in Hoffmanns Buch, wenn sie auch aufgrund ihrer geographischen Lage nicht mehr auf der Übersichtskarte dargestellt wurde. Hoffmanns dazugehörige Ausführungen umfassten etwas mehr als 100 Jahre, beginnend mit der ersten bekannten gärtnerischen Gestaltung des Ortes aus der Zeit von 1794. Unvermittelt und ohne nähere Angaben schloss Hoffmann die Geschichte des Anwesens im Jahr 1897 mit dem Hinweis, es wäre damals „anderweitig verkauft“ worden[7] und überging damit die seinerzeit jüngsten 40 Jahre der Entwicklung des Gartens. Hoffmanns Zurückhaltung, die er bei der Geschichtsschreibung anderer Gartenanlagen selten übte,[8] scheint mir bedeutsam, denn natürlich waren ihm die damaligen Eigentümer bekannt: Die Bankiers der Familie Warburg, seit Jahrhunderten im Finanzgeschäft tätig und überaus erfolgreich. Noch acht Jahre zuvor hatte Hoffmann in einem opulenten Band über Altona eben diese Familie als eine der wichtigsten der Stadt, ihre Villa auf dem Kösterberg als Beispiel besonders gelungener Architektur gerühmt. [9] Hoffmanns Verschwiegenheit entsprang wohl kaum dem Respekt vor der Privatsphäre einer der einflussreichsten Familien des Landes, sondern war vielmehr Ausdruck des gesellschaftlichen Klimas in Deutschland: Hoffmann hatte seine nationalistische Gesinnung demonstriert, als er 1934 die Literatursammlung „Blut und Rasse im deutschen Dichter- und Denkertum“ herausgebracht hatte.[10]

Als Reaktion auf die zunehmende antisemitische Hetze sahen sich Warburgs bereits 1938 gezwungen, Deutschland zu verlassen. Damit wäre die Geschichte ihres Gartens auf dem Kösterberg beinahe zuende gewesen. Denn während für die wenigsten Juden Deutschland auch nach 1945 noch Heimat sein konnte, führte Eric Warburgs ungebrochene Verbundenheit zur deutschen Vergangenheit seiner Familie dazu, dass große Teile des Anwesens durch kluges und vorrausschauendes Handeln bewahrt blieben und die Tradition der Warburgs auf dem Kösterberg bis heute andauert.

I.    Die Vorgeschichte im 19. Jahrhundert (1794-1896)

Die Vorgeschichte des Anwesens ähnelt der zahlreicher anderer Anwesen in Altona und Blankenese. Als Ausflugs- und Wohngebiet hatte der Elbhang mit seiner damals kahlen, bisweilen schroff abfallenden Geestkante schon Mitte des 17. Jahrhunderts einige Bedeutung.[11] Ob es auf dem Kösterberg wie an einigen anderen Orten am Elbufer in dieser Zeit einen kleinen Lustgarten gegeben hat, ist nicht belegt. Rätselhaft allerdings sind die Reste barocker Steinskulpturen, die sich 1937 dort fanden und deren Herkunft bis heute im Dunkeln liegt.[12]

Die großen, zum Teil bis heute erhaltenen Parks der reichen Kaufleute, die von ihren Anwesen an der Elbchaussee den weiten Blick auf den Fluss und die Schiffe genossen, stammen größtenteils jedoch aus der Zeit um 1800, so auch der „Kösterberg“: 1794 hatte der Hamburger Auktionator Hinrich Jürgen Köster (1748-1805) zwei sandige, mit Heide bewachsene Erhebungen, den „Baven Groot Notenberg“ und den „Baven Both Stieg Berg“ aus öffentlicher Hand erworben [13] und darauf ein einfaches, strohgedecktes [14] Landhaus mit einem weitem Rundblick erbaut.[15] Die frühesten erhaltenen Abbildungen des Gebäudes zeigen dieses Mitte des Jahrhunderts, als dort eine anscheinend gut besuchte Gastwirtschaft betrieben wurde.[16]

Das Gestänge auf dem Dach dieses Hauses gehörte zum sogenannten „optischen Telegraphen“, einer Reihe in Sichtentfernung aufgestellter Signalmasten, über die Nachrichten aus Cuxhaven über verschiedene Relaisstationen bis nach Hamburg übermittelt wurden.[17] Aus dieser Zeit stammen auch einige Bleistift- und Federskizzen vom Kösterberg, die eine Vorstellung des Geländes geben, auf dem die kahlen Sand- und Heideflächen langsam verschwanden und mit Gehölz- und Wiesenflächen überzogen wurden.[18]

Unter den folgenden Besitzern, die alle 10-20 Jahre wechselten, ist der Altonaer Kaufmann[19] Johann Carl Semper zu nennen, ein Bruder des berühmten Architekten Gottfried Semper. Unter Johann Carl Semper wurde das Gelände ab 1856 mit wertvollen Bäumen, Rhododendren und Findlingsgruppen parkartig gestaltet.[20] Von dem auf Familie Semper folgenden Besitzer des Kösterbergs erwarb der Bankier Moritz M. Warburg 1897 dann das Anwesen.

II.    Die Arrondierung und frühe Gestaltung des Anwesens unter Moritz M. Warburg (1897-1910)

Moritz M. Warburg (1838-1910) stammte aus einer alten und weitverzweigten jüdischen Familie, die im 17. Jahrhundert ins freie Altona gezogen war und mit der Privatbank „M.M. Warburg & Co.“ zu bedeutendem Reichtum gebracht hatte. Bis ins 19. Jahrhundert hinein waren den jüdischen Bewohnern Hamburgs bestimmte Viertel in der Neustadt zugewiesen worden, wo allein sie sich einmieten durften. Der Erwerb von Haus- oder Grundbesitz war Juden gänzlich untersagt, bis diese Verbote 1814 infolge der französischen Besatzung Hamburgs aufgehoben worden waren.[21] Die große finanzielle und gesellschaftliche Blütezeit des Hauses Warburg aber begann nach 1868, als Hamburg den jüdischen Bewohnern der Stadt die vollen Bürgerrechte zuerkannte. Bald zählten Warburgs die wichtigsten Männer des Reiches zu ihren Bekannten und es gibt viele Anekdoten über Finanzgeschäfte mit den Rothschilds und Zusammenkünfte mit Fürst Bismarck. Geradezu legendär ist die Geschichte des sogenannten „Silberzuges“, eines mit Silberbarren beladenen Waggons, der 1856 auf Veranlassung der Warburgs aus Wien nach Hamburg rollte war und so die Kreditwürdigkeit der Hansestadt wiederherstellte.[22] Die Stadt hatte noch weiteren Grund zur Dankbarkeit, denn Moritz M. Warburg hatte sich auch in wohltätigen Stiftungen engagiert, das „Israelitische Krankenhaus“ und die „Talmud-Thora-Schule“ gegründet.[23]

Im Jahr der erwähnten jüdischen Gleichberechtigung (1868) war das Bankhaus in die repräsentative Ferdinandstraße gezogen, einen Katzensprung entfernt vom Hamburger Rathaus und der Binnenalster, wo das Haupthaus der Privatbank noch heute steht. 1897 kaufte Moritz M. Warburg dann den Kösterberg vom Hamburger Bankier Carl Bromberg und erwarb wohl um 1906 auch den Besitz des östlich gelegenen Nachbarn, des Kaufmanns und Mitbegründers der Holstenbrauerei Anton Julius Richter.[24]

Richter hatte um 1880 das etwa 4 ½ ha große Gelände arrondiert und die dort belegenen Acker- und Heideflächen zu einem Landschaftspark gestaltet. An einem südlich gelegenen Teil hatte Richter – wohl in Erinnerung an Italien, dass er häufig besucht hatte – Zedern (Libocedrus decurrens), Zypressen (Chamacyparis pisifera filifera, Chamacyparis pisifera squarrosa) und eine girlandenartig geschnittene Thujahecke (Thuja occidentalis) setzen lassen.[25] Hatten die Warburgs noch dreißig Jahre zuvor überhaupt keinen Grund besitzen dürfen, so nannten sie nun eines der schönsten Grundstücke im vornehmen Blankenese ihr Eigen und dokumentierten auf diesem alten Kaufmannssitz ihre Position in der Hamburger Gesellschaft. In den nächsten Jahren wurde das Anwesen als Familienstammsitz ausgebaut. Zunächst bewohnte die Familie das alte Wohnhaus, nun „Arche Noah“ benannt, weil sie aussah, als wäre sie nach der Sintflut auf dem Höhenrücken eines Berges gestrandet. Da Moritz aber eine große Kinderschar sein eigen nannte, fünf Söhne und zwei Töchter, die ihrerseits ebenfalls Familien hatten, reichte die „Arche“ nicht aus. Der Architekt Martin Haller errichtete daher schon 1897 einen Steinwurf von der Arche entfernt ein neues, repräsentatives Wohngebäude im Empire-Stil, das „Weiße Haus“ genannt.[26]

Die Gestaltung des Geländes legte man in die Hand von Rudolf Jürgens (1850-1930), der 1897 bereits die Planung der Allgemeinen Gartenbau-Ausstellung in den Hamburger Wallanlagen durchgeführt hatte – ein hinsichtlich der Topographie annähernd vergleichbares Terrain – und auch in der Gestaltung von Villengärten versiert war. Über Jürgens genaue Tätigkeit für die Warburgs ist wenig bekannt, doch scheint er auch nach dem Tod des Familienoberhaupts Moritz M. Warburg weiterhin auf dem Anwesen tätig gewesen zu sein.[27] Der Kösterberg – unter dieser Bezeichnung wurde das gesamte Anwesen einschließlich des ehemals Richterschen Grundstücks verstanden – war nun Mittelpunkt des Familienlebens geworden. Moritz Schwiegertochter Anna Warburg (1881-1966) vermerkte dazu:

„Der Sommer 1898, den ersten den wir in dem neuen, comfortablen Haus verlebten, während Paul und Nina [Paul war ein Sohn von Moritz, Nina seine Ehefrau. JS.] mit Familie in dem alten wohnten, wird allen in schönster Erinnerung bleiben. Zuerst die Verlobung (Olgas) [eine Tochter von Moritz. JS.], gleichzeitig die Ankunft der lieben New Yorker Kinder und Enkel, dann die Ankunft von Mary und Aby, und als später Fritz dazu kam, der seltene Fall, dass einmal – nach 8 Jahren – alle Kinder fröhlich zusammen waren. In dem schönen Haus und dem herrlichen Park entwickelte sich ein heiteres Leben. An Besuch fehlte es nicht. Der [!] Glanzpunkt des Sommers bildete Olga und Pauls Hochzeit, die am 16. August 1898 auf dem Kösterberg stattfand. Ganz herrlich war der Polterabend, den Abends zuvor Paul und Nina in der »Arche Noah« veranstalteten. Das Haus stellte eine Bauernwirtschaft vor. Die Wirtin (Nina), der Wirt (Paul), die Kellnerinnen (Alice und Luise), der Kellner (Felix) alle in Bauerntracht bedienten die Gäste. Die Aufführung von »Tante Lotte« v. Stinde, von Mary und Aby meisterhaft aufgeführt, war ein Hochgenuss“.[28]

III.    Die Blütephase des Familienstammsitzes unter Max M. Warburg (1911-1938)

Der hier mit seiner Gattin ein Lustspiel zum Besten gebende Aby Warburg ( 1866-1929) war als ältester Sohn der Familie eigentlich zum Erben von Moritz bestimmt gewesen. Legendär ist das Versprechen, welches sich Aby – im zarten Alter von 13 Jahren – und sein jüngerer Bruder Max M. (1867-1946) gegeben hatten: Aby wollte sein gesamtes Erbe an Max dafür abtreten, dass dieser ihm zeitlebens alle Bücher kaufte, die er haben wollte. Tatsächlich wurde die Abmachung eingehalten: Während Aby sich in Florenz, später in Hamburg höchst erfolgreich der Kunstwissenschaft verschrieb, übernahm Max nach dem Tode des Vaters die Bankgeschäfte.

Da Aby sich aber nicht nur ein paar Bücher, sondern nach und nach eine der besten kunsthistorischen Bibliotheken des Landes zulegte, hatte Max ihm, wie dieser später zum Besten gab, eine „sehr großen Blankokredit“ ausgestellt.[29]

Die Geschichte Aby Warburgs, seines neuen kunstwissenschaftlichen Ansatzes, seiner Bibliothek, welche in ihrem anregenden Bau in der Heilwigstraße zu einem geistigen Zentrum Hamburgs und Deutschlands und zur Keimzelle des bis heute bestehenden Warburg-Institute in London wurde, würde eine ganze Vortragsreihe benötigen und kann hier nur gestreift werden.[30] Für die ab 1911 folgende Gestaltung des Warburgparks sollte jedoch nicht unerwähnt bleiben, dass die Affinität zu Italien, die schon das Richtersche Anwesen geprägt hatte, durch Aby neu belebt wurde.

Nach dem Tode des Vaters errichtete Max M. Warburg östlich der Arche das sogenannte „Rote Haus“, ein Backsteinhaus im Neorenaissance-Stil.[31]

Passend zum südländischen Flair, den vor allem die arkadengeschmückte Loggia vor dem „Roten Haus“ auszeichnete, ließ Max Warburg ab 1913 von seiner Obergärtnerin Elsa Hoffa (1885-1964) [32] den südlichen Bereich des Richterschen Grundstücks zu einem einmaligen Beispiel der regelmäßigen Gartengestaltung in Hamburg umformen. Hoffa ersetzte die zum Teil etwas ungelenk wirkenden Rundwege Richters durch die achsiale Komposition des sogenannten „Römischen Gartens“ – bestehend aus der offenen „Römischen Terrasse“ mit der eindrucksvollen Girlandenhecke und dem mit kleinteiligen Buchsornamenten gegliederten „Rosengarten“. Heydorn hat auf die besondere Schwierigkeit hingewiesen, die sich daraus ergab, dass sich eine achsiale Komposition durch das Terrain nur parallel zum Elbhang anlegen ließ, während der Blick ganz natürlich senkrecht dazu den Elbstrom suchen musste. Die Planerin begegnete diesem Problem effektvoll mit der Girlandenhecke, die gleichzeitig den Blick lenkte und Fenster offen ließ.[33] Südlich schloss sich ein etwa kreisförmiges Freilufttheater an. Hoffa leitete dabei zeitweilig einen Stab von 17 Gärtnern und Helferinnen. Von Max Warburg erhielt sie eine zehnprozentige Gehaltszulage – die sogenannte „Ärger-Prämie“ – als Ansporn, ihn niemals mit Problemen zu behelligen. [34]

Mit dem römischen Garten als schimmerndem Kleinod der Reformgartenkunst in einem der eindrucksvollsten privaten Landschaftsgärten Blankeneses hatten Warburgs Garten- und Familiengeschichte geschrieben. Leider scheinen keine aussagekräftigen Planunterlagen über die Gestaltung der landschaftlichen Gartenpartien überliefert, doch glücklicherweise hat einer der renommiertesten Fotografen seiner Zeit – Albert Renger-Patzsch (1897-1966) – den Park 1928 in hochwertigen Aufnahmen festgehalten. Diese Gesamtheit der Aufnahmen wurde vor etwa zehn Jahren wiederentdeckt [35] und war kürzlich in der Hamburger Kunsthalle ausgestellt.

Die Sommerferien waren Zeiten der Zusammenkunft für die zahlreichen Kinder und Enkel der Familie auf dem Kösterberg. Die kleineren Kinder warfen sich zum Herumtoben in die sogenannte „Kösterberg-Uniform“, so dass sie sich keine Sorgen um schmutzige Kleidung machen mussten.[36]

Wie Warburgs in ihrem Privatpark, den sie auch gern mit illustren Gästen teilten, ihren guten Geschmack und ihre Großzügigkeit feierten, lässt die Beschreibung einer Nichte Max Warburgs in Ihren Lebenserinnerungen deutlich werden:

„In späteren Jahren gaben Max Warburg und seine Frau beliebte Feste auf dem Kösterberg, zu denen alles, was in Hamburg Namen, Geld oder Geist hatte, eingeladen wurde. Tante Alice, in königlicher Haltung wie eine regierende Fürstin, immer hell und sehr elegant gekleidet, empfing ihre Gäste in dem runden Salon hoheitsvoll kühl, und jeder stand voller Bewunderung, mit welch’ künstlerischem Sinn und Geschmack der Raum eingerichtet und die Blumen in riesigen Vasen zusammengestellt waren. An kleinen Tischen draußen auf der Terrasse gab es das Souper, später Tanz mit einer Musikkapelle, manchmal auch Aufführungen in dem Freilichttheater, das ganz unten am Fuße des Gartens lag, und zum Schluß zog alles mit brennenden Fackeln durch den Park“.[37]

Bei aller respekteinflößenden geistigen und finanziellen Potenz dieser Familie scheint eine recht ungezwungene Atmosphäre im Umgang miteinander geherrscht zu haben. Diese Seite zeigte sich in den zahlreichen Kosenamen, die sich die Geschwister gaben – da war das Ehepaar Paul Warburg (1868-1932) und Nina Warburg, geb. Loeb (1870-1945), zusammen bloß „Panina“ genannt,[38] oder der nicht besonders attraktiv aussehende Fritz Warburg (1879-1964), respektlos als „das Walroß“ betitelt;[39] da war die Unbefangenheit, mit der man sich in lächerliche Kostüme warf, Theater spielte, sich der Horde von Kindern zuwandte, die dort gemeinsam aufwuchsen, sich über die altbackene „Tante Malchen“ (1831-1911) lustig machte;[40] da war der treuherzige Blick Abys, der die Hände nach finanziellen Zuwendungen seines Bruders ausstreckte,[41] und nicht zuletzt die liebevoll arrangierten und beschrifteten großformatigen Fotoalben, die Anna Warburg 1937 zur Erinnerung an die Zeit auf dem Kösterberg anfertigte.[42] Diese Details lassen den Kösterberg im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts neben seiner repräsentativen Funktion ebenbürtig als einen Hort der Familie, Freundschaft und Entspannung erscheinen.

Ingrid Warburg-Spinelli beschrieb das Gefühl ihrer Kindheit auf dem Kösterberg rückblickend mit den Worten: „So verliefen diese ersten Jahre meines Lebens in der ruhigen, sicheren Atmosphäre eines großbürgerlichen Familienlebens. Man hatte das Gefühl, es würde ewig so weitergehen“.[43]

Natürlich war dieser Eindruck einer heilen Welt idealisiert. Das Bankhaus Warburg hatte zum Beispiel in die deutsche Rüstungsindustrie investiert und sich finanziell an der Niederwerfung des Boxer-Aufstandes in China beteiligt.[44] Bis 1938 scheint sich an der friedlichen Situation auf dem Kösterberg selbst indessen wenig geändert zu haben. Dass sich dieser Park dadurch, dass er einer jüdischen Familie gehörte, auf irgendeine Weise hervorgehoben hätte, lässt sich bis zu diesem Zeitpunkt nicht erkennen. Der bemerkenswerte Familienzusammenhalt, der seinen Ausdruck in den großen Wohnhäusern und Familienzusammenkünften fand, war wohl weniger eine Reaktion auf Jahrhunderte der Separation von den nichtjüdischen Bürgern („in der Familiengeschichte der Warburgs gab es ohnehin keine Erinnerung an das Ghetto“),[45] als auf die Stellung der Warburgs zwischen orthodoxen Juden und dem deutschen Establishment:

„Deutlich spürbar war in jenen Jahren der Stolz unserer Familie, die sich seit Jahrzehnten deutsch und vor allem in Hamburg dazugehörig fühlte und endlich mehr oder weniger gleichberechtigt am sozialen, wirtschaftlichen und politischen Leben Deutschlands teilhaben zu dürfen glaubte“.[46]

Zusammen mit dem Reeder Albert Ballin (1857-1918) von der HAPAG, einem der einflussreichsten Männer Hamburgs, hatte Max Warburg einige Unterredungen mit Kaiser Wilhelm II gehabt; Max und Aby hatten als Soldaten gedient, Max Sohn Eric (1900-1990) war Kriegsfreiwilliger im ersten Weltkrieg gewesen, Max hatte an den Versailler Friedensverhandlungen teilgenommen, war 1903-1919 Mitglied der Hamburger Bürgerschaft, bis 1933 im Generalrat der Reichsbank. Max Bruder Paul stand bei der Einrichtung der amerikanischen Zentralbank Pate. [47] Bis 1933 waren die Hamburger Warburgs eine feste Größe im politischen und kulturellen Leben der Stadt.

Ungetrübt konnte jedoch seit 1933 auch das Dasein auf dem Kösterberg nicht sein. Ob allerdings Ingrid Warburg-Spinellis Blick auf den Kösterberg als einer „Insel, die aber jetzt kein Ghetto, kein Gefängnis mehr ist“,[48] erst in der Jahrzehnte später erfolgten Retrospektive oder schon ab 1933 entstanden ist, wird kaum zu beantworten sein. Die spätere Vertreibung aus Deutschland musste wohl dazu führen, dem Kösterberg einen hohen emotionalen Wert zu verleihen.

IV.    Zugriff der Nationalsozialisten (1938-1945)

Das scheinbar ungetrübte Harmonie auf dem Kösterberg war vorbei, als Max Warburg während eines Besuches in New York, kurz vor den Pogromen des 9. Novembers 1938, entschied, nicht ins nationalsozialistische Deutschland zurückzukehren. Der verlassene Kösterberg wurde daraufhin von der Stadt Hamburg konfisziert und oblag wie auch andere Anwesen des Elbhanges dem Architekten für die Neugestaltung der Hansestadt Konstanty Gutschow (1902-1978). In Fragen der Landschaftsgestaltung arbeite diesem der Landschaftsarchitekt Max K. Schwarz (1895-1963) aus Worpswede zu. Seit 1941 hatte sich Schwarz mit der Aufgabe zu befassen, „einen Gesamtzusammenhang aller Blankeneser Parke zustandekommen“ zu lassen. Explizit wurden die Anwesen „von Schinkel, Warburg und Münchmeyer“ genannt. An den Begehungen nahmen neben Schwarz und Gutschow auch Bürgermeister Carl Vincent Krogmann (1889-1978) von der NSDAP teil.[49] Diese Planungen sind als Teil der Pläne Adolf Hitlers zu verstehen, Hamburg entsprechend seiner Bedeutung als größter deutscher Seehafen mit Kolossalbauten zu bestücken und das „Gesicht Hamburgs von der Alster weg zum Elbstrom zu wenden“.[50] Max K. Schwarz berichtete in einem Besprechungsprotokoll:

„Teile dieser Parks, besonders durchgehende Wander- und Spazierwege sollen der Öffentlichkeit erschlossen werden. Bestimmte andere Teile sind so abzuschließen, dass sie nur gegen Eintritt betreten werden können. Endlich bleiben eine Reihe von Enklaven innerhalb dieser Parks, die dem öffentlichen Zutritt entzogen sind. Bei den Abgrenzungen der Enklaven usw. ist sehr darauf zu achten, dass sie nicht ins Auge fallen und dennoch wirksam sind“.[51]

Vermutlich wollte man sich noch ein paar Sahnestücke für Parteifreunde vorbehalten. In den geplanten öffentlichen Bereichen verschrieb man sich gestalterisch dagegen einem „Zug ins Große“:

„Bei diesen Parks sind wesentliche Eingriffe notwendig. Vor allen Dingen ist es unerlässlich, dass die Täler alle vom Baumwuchs befreit werden und als Wiesen über die Uferwege hinweg am Elbufer ausklingen, die plastisch interessante Geländeoberfläche der hängigen Parks soll herausgearbeitet werden. Grosse Einzelbäume, Baumpaare und Baumgruppen sind freizustellen. Es ist viel daran gelegen, große Rasenpläne zu erzielen, auf denen die herausgearbeiteten, besonders schönen Bäume voll zur Wirkung gelangen. Vielfach ist es auch erforderlich, weite Durchblicke auf die Elbe zu schaffen.
[…] Durch Herrn Bürgermeister Kroogmann [!] wurde angeregt, dass ich den Park Warburg in Bezug auf seine spätere Verwendung als Umgebung des Führerhauses in einem Gestaltungsvorschlag durcharbeite“.[52]

Schwarz war bis 1922 „begeisterter Soldat“ bei den sogenannten „Annabergstürmern“ gewesen und gilt als überzeugter Vertreter der Blut-und Boden-Ideologie.[53] Die Einverleibung des Warburg-Anwesens in städtischen Besitz und seine geplante Umwidmung dürfte er also begrüßt haben. Man kam überein, zunächst einen Höhenschichtplan für das Gelände zu erstellen und darauf die Parkgrenzen, Wege und hervorragende Baumgruppen zu verzeichnen.[54] Gutschows handschriftliche Vermerke auf dem Bericht machen deutlich, dass er an einem zügigen Ablauf des Planungsverfahrens interessiert war,[55] ebenso wie Bürgermeister Kroogmann.[56] Kriegsbedingt wurde aber die Nahrungsmittelversorgung in Hamburg immer schwieriger, so dass sich Schwarz bald hauptsächlich Fragen der Obsterzeugung zuwenden musste.[57] So zogen sich die Vorarbeiten bis in den Februar 1943.[58] In späteren Berichten war von dem Parkprojekt keine Rede mehr. Spätestens nach den flächendeckenden Zerstörungen der „Operation Gomarrha“ im Juni 1943 war an eine Weiterbearbeitung der Blankeneser Parks nicht mehr zu denken. Zu den anvisierten Durchforstungen, einem Aufmaß oder einem zeichnerischen Entwurf ist es daher vermutlich nie gekommen.

V.    Anknüpfungen und Neuanfänge unter Eric und Fritz Warburg (1945-1995)

Die tatsächlichen Nutzungs- und Gestaltungsentwicklungen auf dem Kösterberg lagen während der Kriegszeit allerdings komplett anders und wurden kürzlich in einem Aufsatz von Lorenz dargestellt.[59] War auch der Kösterberg gemeinsamer Sammelpunkt der Warburgs gewesen, so war das Anwesen eigentumsrechtlich jedoch schon vor 1933 geteilt worden: Das Grundstück der „Arche“ (8.401 qm, Kösterbergstraße 58/60) gehörte Eric Warburg. Als sogenanntes „Feindvermögen“ war es 1942 unter die Verwaltung der „Allgemeinen Verwaltungsgesellschaft m.b.H.“ (A.V.G.) gestellt worden. Der darauf befindliche Wasserturm war während des Krieges zu einer Flakstellung umgebaut worden. [60] Das viel größere Areal des „Weißen Hauses“ (41.052 qm, Kösterbergstr. 62) hatte Fritz Warburg aus dem Nachlass seines Vaters 1925 erworben. Da Fritz als schwedischer Staatsbürger den Schutz der Neutralität genoss, konnte es nicht konfisziert werden, wohl aber wurde ein Teil 1939 unter Zwang der NS-Behörden an die Hansestadt Hamburg „verkauft“. Das verbleibende Grundstück wurde kraft privaten Auftrages ebenfalls von der A.V.G. verwaltet.[61] Den dritten Teil des Areals, mit dem „Roten Haus“ und dem „Römischen Garten“ der repräsentativste Teil, hatte Max M. Warburg 1939 „käuflich“ an die Stadt Hamburg abtreten müssen.[62] Zunächst nutzte die Wehrmacht das Gesamtareal, Ende 1943 richtete die Stadt Hamburg auf den Grundstücken des „Weißen“ und des „Roten Hauses“ die Nordwestdeutsche Kieferklinik und das Reservelazarett VIII ein, ab 1944 wurden auch die Arche und die unweit befindliche Gärtnerei belegt. Ab Februar 1945 wurde das Anwesen zudem für den Gemüseanbau benutzt. Bei Kriegsende beherbergten hölzerne und steinerne Baracken zusätzlich Soldaten, Flüchtlinge und Bombengeschädigte.

Wenige Tage nach der deutschen Kapitulation kehrte Eric Warburg – mittlerweile Lt. Col. der US Army – nach Hamburg zurück und suchte den Kösterberg auf. In seinen Lebenserinnerungen schilderte er den erschütternden Anblick seines Elternhauses:

„… Inzwischen war die deutsche Wehrmacht mit dem Lazarett ausgezogen, aber sie hatte den ganzen Besitz in einem grauenhaften Zustand zurückgelassen. Die Häuser waren innen völlig ausgeleert. Auf den Wiesen standen Dutzende von Baracken, die im Kriege Verwundeten und jetzt Flüchtlingen und Bomben-Evakuierten als Unterkunft dienten. Viele der kleineren Rhododendronsträucher waren von den Wehrmachtwagen kaputtgefahren; überall Unkraut; Schlingpflanzen bis in die Baumkronen; die Römische Terrasse ein Kartoffelacker; der Rasen ungeschoren; die Hecken ausgewachsen“.[63]

Zusätzlich zu dem Elend der Nachkriegszeit, welches auch die heile Welt des Kösterberges heimgesucht hatte, musste er jedoch fürchten, dass die britische Armee das Gelände für ihre eigene Verwendung requirieren würde. Bereits im Sommer 1945 entwickelte er daher Pläne, einer Beschlagnahme „durch eine neue und in ihrer moralischen Dignität kaum zu bezweifelnde Nutzung zuvorzukommen“, wie Lorenz nachvollziehbar interpretiert. [64] Diese fand er in der Widmung des Besitzes als temporären Aufenthalt für sogenannte „D.P.’s“ [displaced persons: Zwangsvertriebe].[65] In einem Schreiben an die britische Militärregierung führte er daher aus, dass das „American Joint Distribution Committee“ (im Folgenden kurz „Joint“) – die einflussreichste international agierende jüdische Organisation, in der sein Onkel Felix Warburg eine wichtige Rolle spielte[66] – das Ansinnen an ihn herangetragen hätte, den Kösterberg in diesem Sinne zu nutzen. Diplomatisch versicherte er, dass die Familie Warburg, ohne der Militärregierung vorschreiben zu wollen, wie sie mit dem Anwesen verfahren solle, dieses Ansinnen außerordentlich begrüßen würden.[67] Die Einzelheiten eines möglichen Arrangements sollte die A.V.G. übernehmen, eine „Organtochter“ des Bankhauses „Brinckmann Wirtz & Co KG“, welches seinerseits im Zuge nationalsozialistischer „Arisierung“ die Rechtsnachfolge des Bankhauses M.M. Warburg & Co. angetreten hatte.[68] Alle diese alten Verbindungen nutzend gelang es Eric Warburg, die britische Militärregierung für sein Ansinnen zu gewinnen. Am 6. September 1945 erteilte die Militärregierung ihre Zustimmung.[69] Die Ex-Wehrmachtsangehörigen, die auf dem Gelände untergekommen waren, mussten dieses verlassen. [70] Da sich auch die Kieferklinik bereit erklärte, ihren Standort zu verlegen, hatte Eric Warburg kurz nach Kriegsende praktisch die Rückerstattung des gesamten Geländes erreicht.[71]

Der „Joint“ plante, dass die Heiminsassen auf dem Kösterberg eine landwirtschaftliche Ausbildung erhalten sollten, eine sogenannte „Hachschara“, und lud zu diesem Zweck die nach England emigrierte Obergärtnerin Hoffa ein. Diese kam der Einladung zwar nicht nach, die Ausbildung fand aber dennoch statt, denn bereits um den Dezember 1945 befand sich eine 30-köpfige Gruppe junger Hachschara-Leute auf dem Anwesen.[72] Inzwischen war man übereingekommen, das Warburg Anwesen als Kinderheim für jüdische D.P.’s zu nutzen. Da die Hachschara-Gruppe jedoch ablehnte, das Gelände für die ersten Kinder, die aus dem ehemaligen Konzentrationslager Bergen-Belsen kommen sollten, zu räumen, entschloss man sich dazu, eben jener Gruppe die Betreuung der Kinder anzuvertrauen.[73] Im Januar 1946 kamen die ersten 105 Kinder über Bergen-Belsen auf den Kösterberg, alle im Alter zwischen fünfzehn und sechzehn Jahren, und aus verschiedenen Konzentrationslagern befreit oder aus ihren Verstecken hervorgekommen. Im April 1946, bereits nach vier Monaten, wanderte diese Gruppe nach Palästina aus.[74] Die zulässige Höchstbelegung des Anwesens war auf 175 Personen festgelegt.[75] Den Versuch des Wohnungsamtes Hamburg, in Sichtweite der Holocaust-Opfer in die noch vorhandenen Baracken entlassene deutsche Soldaten einzuweisen, konnte Eric durch Beschwerde über seinem Cousin Edward M. Warburg (1908-1992), Major der US. Army, unterbinden, womit die Nutzung nun faktisch ausschließlich beim „Joint“ lag.[76]

Abbildung 7: Schild des „American Joint Distribution Committee“: Warburg Childrens Healthcamp auf dem Kösterberg, zwischen 1945 und 1948 (aus: Itzhak Katzenelson Holocaust and Jewish Resistance Heritage Museum, www. infocenters.co.il/gfheng.htm, 08.08. 2006).

Die zweite Gruppe von etwa 60 Kindern im Alter von 13 bis 15 Jahren war einzeln oder in kleinen Gruppen nach Bergen-Belsen und von dort zwischen April und Mai 1946 auf den Kösterberg gekommen, wo sie fast ein ganzes Jahr verblieben. Sie verließen das Kinderheim im März 1947 und wanderten einen Monat später nach Israel aus.[77] Die dritte Gruppe von etwa 150 Kindern kam zwischen März 1947 und März 1948 auf den Kösterberg, viele von ihnen zwischen vier und fünf Jahren alt und in Begleitung von Betreuern und Pflegepersonal, die nach zionistischen Jugendorganisationen zusammengefasst waren.[78]

Viele der Kinder wurden von Mitgliedern der „Jewish Brigade“, einer nationalen britischen Militäreinheit, die bis 1946 existierte, in die britische Besatzungszone geschmuggelt, denn nur von hier war die Einwanderung nach Palästina relativ unproblematisch.[79] Da das Ziel des Aufenthaltes im Warburg Childrens Health Home die Übersiedlung nach Palästina war – der „Joint“ stand dem Zionismus nahe – wurden die Kinder nicht nur medizinisch und pädagogisch betreut, sondern auch mit der Hebräischen Sprache und Kultur vertraut gemacht.[80] Außerdem erhielten sie militärisches Training.[81] Da die Kinder aus verschiedenen Ländern stammten – die meisten aus Polen, Russland und Ungarn – war die Verständigung äußerst schwierig.[82] Unter den Erzieherinnen war übrigens Re’uma Schwarz, die spätere Ehefrau Ezer Weizmanns, der 1993 israelischer Staatspräsident wurde. Neben dem Schulbetrieb standen den Kindern auch eine Schneider-, Leder- und eine Elektro- bzw. Mechaniker-Werkstatt zur Verfügung, sowie eine große Gärtnerei. [83]

Obwohl die Vorbereitung auf die Ausreise nach Israel auch gärtnerische Kenntnisse beinhalten sollte, scheint die diesbezügliche „Ausbildung“ weniger Bedeutung gehabt zu haben, als der sprachlich-kulturelle Unterricht. Das Gelände des Kösterbergs wurde allerdings in seiner landschaftlichen Schönheit wahrgenommen:

„Die Häuser lagen neben einem wunderschönen Waldstück, in dem Ausflüge und Picknicks stattfanden, wann immer das Wetter es erlaubte. Das Schwimmbecken, das zerstört worden war […], wurde renoviert und so zum Mittelpunkt des Vergnügens für alle Kinder. Manchmal mieteten [die Erzieherinnen, J.S.] Betty und Re’uma für ein paar Zigaretten und etwas Geld ein Ausflugsschiff. Dann wanderten alle, Erwachsene und Kinder, über einen Pfad bis ans Ufer der Elbe, bestiegen das Schiff und fuhren den ganzen Tag auf dem Fluss hin und her. […] Manchmal machten sie auch Ausflüge nach Hamburg, in den Zoo oder in den Botanischen Garten. Das aber nur selten, da der Antisemitismus noch immer deutlich zu spüren war und man die Berührung mit der deutschen Bevölkerung nach Möglichkeit vermied“.[84]

Als der „Joint“ 1948 verlauten ließ, sich vom Kösterberg zurückziehen zu wollen – im Mai war der Staat Israel gegründet worden und jeder Jude konnte nun unmittelbar nach Israel einwandern – kamen Fritz Warburg in Stockholm und Eric in Amerika überein – Max war inzwischen verstorben – die Aufnahme von Kindern im Weißen Haus und im Roten Haus dennoch fortzusetzen. Lorenz urteilt, dies sei als Reaktion auf die Möglichkeit geschehen, einen Zugriff deutscher Behörden auf das Gelände zu unterbinden.[85] Der „Joint“ gab das Areal zum 1. September 1949 an Eric und Fritz Warburg zurück. Das Weiße Haus stiftete Fritz dem Deutschen Roten Kreuz, welches dort auf seinen Wunsch 1950 das „Elsa-Brandström-Haus“, eine Bildungsstätte und ein Mutter-und-Kind-Kurheim einrichtete.[86] Er selbst ging mit seiner Frau nach Israel.

Weder Fritz noch Eric Warburg scheinen eine Wiederherstellung des gesamten Anwesens von Moritz M. Warburg angestrebt zu haben. Vermutlich in enger Absprache miteinander kamen sie mit der Hansestadt Hamburg überein, die jeweils südlich gelegenen Parkbereiche der Stadt quasi kostenlos zu überlassen: Die Stadt gelangte damit in den Besitz des Römischen Gartens einschließlich des Naturtheaters und erhielt überdies die Gelegenheit, den als „Elbhöhenwanderweg“ bezeichneten öffentlichen Spazierweg fortzuführen. Schon Bürgermeister Max Brauer (1887-1973) soll noch vor dem Krieg den Wunsch gehabt haben, einen öffentlichen Elbhöhenweg zwischen Blankenese und Wittenberg anzulegen.[87] Dass man damit auch die Planung Gutschows aufgriff, wurde nicht thematisiert. Im Gegenzug erhielten beide Warburgs die Genehmigung zur Parzellierung und Bebauung ihrer Grundstücke, die daraufhin eine deutliche Wertsteigerung erfuhren. Damit wurde der räumliche und funktionale Zusammenhalt dieses garten- und kulturhistorisch wertvollen Gartens aufgegeben.

VI.    Warburgs Garten heute: Ein gleich bleibend sicherer Bezugspunkt in allen Wirrnissen?

Die durch den Verkauf der Baugrundstücke erzielte Summe nutzte Eric Warburg zur Kapitalaufstockung bei der Bank Brinckmann Wirtz, deren aktiver Teilhaber er 1956 wurde. Eric, der eine kleine Privatbank unter seinem Namen auch in den USA betrieb, wohnte in den nächsten Jahren etwa zur Hälfte der Zeit in Amerika und den Rest der Zeit in der Arche. Seine Familie – eine Frau und drei Kinder – kamen über die Sommerferien auf den Kösterberg. Insbesondere seine Frau hatte – wie die überwältigende Mehrheit der deutschen Juden – große Probleme bei dem Gedanken, in Deutschland zu wohnen.[88] Im Unterschied zu den meisten deutschen Juden hatte Eric Warburg kein Familienmitglied im Konzentrationslager verloren, besaß private Verbindungen zur gesellschaftlichen Oberschicht des Adels, in der Viele den Nazis kritisch gegenübergestanden hatten und hatte zudem geschäftliche Interessen in Deutschland zu vertreten. Sein Festhalten an Deutschland ist so erklärlich, rief aber in der Verwandtschaft oft Unverständnis hervor. In der Frage um die Aussöhnung zwischen Deutschen und Juden erwarb er sich durch seine Wiederkehr große Verdienste. Wie sein Vater und Großvater engagierte er sich in wohltätigen Projekten wie dem Israelitischen Krankenhaus, dem Institut für die Geschichte der Juden, der Hebräischen Universität [89] und engagierte sich an der Seite von Marion Gräfin Dönhoff (1909-2002) bei der Verteilung der Care-Pakete aus Amerika. Wieder zählte ein Warburg zum Bekanntenkreis der politischen Elite.

Für seinen Einsatz für die deutsch-amerikanische Freundschaft wurde er 1988 als erster Preisträger mit dem Erich-M.-Warburg-Preis geehrt. Bundespräsident Richard von Weizsäcker überbrachte dem damals bereits Schwerkranken den Preis persönlich auf sein Anwesen auf dem Kösterberg.[90]

Es scheint, als habe Eric Warburg versucht, an die Ereignisse vor der Vertreibung anzuknüpfen: „Erich hütet die Vergangenheit und die Tradition“, erkannte seine Cousine Ingrid bei einem Besuch.[91] So stattete er einen Raum des Bankhauses in der Ferdinandstraße mit alten Stichen und Fotographien aus der Familiengeschichte aus, trug wie sein Vater eine Nelke im Knopfloch, übernahm sogar kleine Gesten von ihm.[92] Der Kösterberg war wieder temporäre Anlaufstelle für die Geschwister und Verwandten, die ihn dort immer wieder besuchten.[93] Ingrid Warburg-Spinelli resümierte:

„Wenn ich an den Kösterberg zurückdenke, an den Blick aus meinem Fenster auf den Fluß und die vorüberziehenden Schiffe, die in alle Welt, auch nach England und Amerika zu meinen Verwandten fuhren, dann kommt mir dieser Ort noch heute wie eine Insel, ein gleichbleibend sicherer Bezugspunkt in allen Wirrnissen, wie ein Stückchen Ewigkeit vor“.[94]

Diese emotionale Bindung an den Garten scheint auch für Eric Warburg gegolten zu haben:

„Auf dem Weg zu unserem Haus zeigte Erich uns im Garten unsere geliebte Buche, für die er einen Baumspezialisten hatte kommen lassen. Der stellte dann fest, daß das Regenwasser in dem großen Stamm schädlich war und brachte ein Rohr an, durch das das Wasser ablaufen kann. Erich war auch sehr stolz, daß es ihm gelungen war, die blühenden Rhododendronbüsche zu verpflanzen. Seine Sorge um den Garten berührte mich ganz besonders“.[95]

Auf Ihre eigene Art bezeugte auch Marion Gräfin Dönhoff Eric Warburgs Verbundenheit zu seinem Garten: „…und übers Wochenende werden die Gartenwege instandgebracht. Wehe, wer sich zu dieser Zeit dem Grundstück nähert, der wird sogleich angestellt; die Lehrlinge seiner Bank wissen ein Lied davon zu singen“.[96]

Allerdings konnte sich diese Sorge nur noch auf einen Teil des alten Anwesens beziehen. 1968 hatte Eric das „Rote Haus“ einschließlich Grundstück für 1,5 Millionen Mark ebenfalls dem Verein Elsa-Brandström-Haus überlassen, der es bis 1999 unterhielt. Als der Betrieb unwirtschaftlich wurde und das Anwesen wieder veräußert werden sollte, machte Erics Sohn Max Moritz von seinem vertraglich festgelegten Vorkaufsrecht Gebrauch.[97] Seit dieser Zeit sind wesentliche Teile des alten Parks wieder in Familienbesitz: Das „Rote Haus“, die „Arche“ und ein Teil des nun parzellierten Areals um das „Weiße Haus“, welches noch immer vom Verein „Elsa-Brandström-Haus“ genutzt wird.

Max Moritz Warburg nahm 1970 die deutsche Staatsbürgerschaft an. Als Nachfolger seines Vaters in der Familienbank gelang es ihm 1991, den alten Namen der Bank wiederzuerlangen und diese zur zweitgrößten Privatbank Deutschlands zu machen.[98] M.M. Warburg & Co. in der Ferdinandstraße spielt auch im Hamburger Kulturleben ein bedeutende Rolle – die Warburg-Bank rief kürzlich die Stiftung zur Finanzierung der neuen Elbphilharmonie ins Leben, eines modernen Konzertgebäudes, welches schon jetzt als künftiges Wahrzeichen der Hansestadt gefeiert wird.[99]

In den letzten Jahrzehnten haben die ausgedehnten Buchenbestände auf dem Kösterberg an Höhe zugenommen.  Verhandlungen zwischen Familie Warburg und der Hansestadt Hamburg über  die Interpretation der 1952 vertraglich zugesicherten Freihaltung von Elbsichten  werden aufgrund der Erstellung eines forstökologischen Gutachtens vielleicht bald Ergebnisse zeitigen. Vielleicht wird in diesem Zuge auch eine tiefe Sicht von der Loggia des Roten Hauses auf die Elbe hergestellt werden. Auch Spaziergänger des öffentlichen Wanderweges würden dann wohl das „Rote Haus“ wie ein auf grünen Wellenbergen schwimmendes Schiff wahrnehmen und auch die alte „Arche“ bestaunen können. Der Zusammenhang mit dem weithin bekannten „Römischen Garten“ indessen wird wohl nur Wenigen bewusst sein. Wichtige Teile des einstigen Familiengartens der Warburgs sind wohl unwiederbringlich voneinander getrennt.

Bei aller Bedeutung, die das Gelände einst hatte, gibt es gute Argumente, dem einst bedeutenden Gartenensemble heute keinen Denkmalwert zu attestieren: Die alten Gebäude sind verändert, die Fläche zerstückelt und teilweise mit Wohnhäusern bebaut, die historische Gestaltung wenig bekannt und heute kaum ablesbar. Ein kürzlich erstelltes Gutachten stuft daher nur die „Arche“ und die ihr zugeordneten Freiflächen als denkmalwürdig ein.[100] Als zusammengehöriges Ensemble ist der alte Garten der Warburgs heute nicht existent.

Trotz dieser schwerwiegenden Argumente scheint mir indessen ein Denkmalwert auch der Flächen beim Roten Haus und beim Weißen Haus gegeben. Konstitutive Elemente des alten Warburg-Gartens wie die alten Villen, Teile des Baumbestandes und des Wegesystems sind erhalten. „Arche“ und „Rotes Haus“ sind wieder gemeinsam in Familienbesitz und als Teile eines gemeinsamen Gartens erlebbar. In mit Unterbrechungen über 100-jähriger Tradition bewohnen Warburgs weiterhin den Kösterberg.

Dass der Kösterberg nicht nur für Warburgs bis heute ein Ort der Erinnerung ist, wird an den sogenannten „Kindern von Blankenese“ deutlich – den überlebenden jüdischen Kindern, die das „Warburg Childrens Health Home“ besucht haben. Einigen dieser heute noch lebenden Kinder ist die Erinnerung an diesen Ort so wichtig, dass sie auf Einladung des „Vereins zur Erforschung der Geschichte der Juden in Blankenese“ in zwei Gruppen, 2005 und 2006, nach 60 Jahren in Blankenese zusammengekommen. Wichtiger Teil des für die Gäste organisierten Programms war jeweils auch eine Einladung Max Warburgs auf den Kösterberg.

Von der besonderen Bedeutung der Zeit auf dem Kösterberg berichten viele dieser „Kinder“ noch heute. Einige Berichte konnte ich im persönlichen Gespräch während des zweiten Treffens 2006 erfahren, viele andere sind in den kürzlich in deutscher Übersetzung erschienenen „Erinnerungen an das jüdische Kinderheim in Blankenese“ niedergeschrieben.[101] Dvora Schiffron erinnert sich beispielsweise an den wunderbaren Anblick, der sich den Kindern bei ihrer ersten Ankunft auf dem Kösterberg bot:

„Ein kleines Paradies, schöner als alles, wovon wir geträumt hatten, empfing uns. Die Baracken und die verlassenen Lager tauschten wir gegen ein wunderschönes Haus mit einem verzauberten Garten, umgeben von beeindruckenden Hügeln“.[102]

„Unter dem Einfluss des schönen Hauses, in dem ich nun war und des Flusses in seiner Nähe“, so Dvora Schiffron weiter, träumte sie dann vom Haus und Garten ihrer Eltern:

„Mein erstes Heim nach dem Krieg brachte mich zum Haus meiner Kindheit zurück, das es nicht mehr gibt. Mein ganzes Leben lang versuche ich, es wieder herzurichten – in meiner Familie und in meinem Haus in Israel“.[103]

Renia Kochmann beschrieb 1995, wie ihr das Kinderheim Blankenese durch Liebe und Menschlichkeit zwischen Lehrern und Kindern „einen Teil meiner verlorenen Kindheit“ wiedergegeben habe:

„Es war meine schönste Zeit. Es ist eine der Perioden in meinem Leben, an die ich mich am besten erinnere. […] In Blankenese lernte ich, die Natur zu schätzen und mich an ihr zu freuen. Ich liebte es, im Garten umherzugehen und mich an den Blumen satt zu sehen. Dort entdeckte ich die Freude und das Lachen wieder“.[104]

Für die „Kinder von Blankenese“ wurde der Kösterberg nach den erlebten Schrecken gerade wegen seiner „Insellage“, die schon Familie Warburg geschätzt hatte, zu einer Heimat, zu „jüdischem Territorium“, sie wähnten sich „fast schon in Erez Israel“.[105] Alisa Beer schreibt von einer Zeit „zwischen den Zeiten“, der Abkehr von den furchtbaren Erlebnissen und dem beginnenden Verständnis für das, was Kindheit sein kann. „Das wurde uns das erste Mal in Blankenese möglich“.[106]

Das israelische „Katzenelson Holocaust and Jewish Resistance Heritage Museum“ bringt im Internet derzeit 276 historische Fotografien aus der Zeit des „Warburg Childrens Health Home“ zur Ansicht,[107] welche – ebenso wie die im Archiv des Vereins zur Erforschung der Geschichte der Juden in Blankenese gesammelten Fotos [108]– die Bedeutung des Kösterbergs für etwa 300 der Kinder, die der Schoah entgangen waren, auch visuell deutlich werden lassen.

Angesichts der gleichermaßen von Aufbau, Zerstörung, Neuanfang und Wiederanknüpfung geprägten Geschichte des Kösterbergs glaube ich, dass es Aufgabe der Gartendenkmalpflege ist, auch die denkmalgeschichtlich verheerenden Einwirkungen der Enteignung (1939) und der Parzellierung (1952) in diesen künstlerisch und zeitgeschichtlich wertvollen Gartenresten denkmalgerecht, d.h. dauerhaft ablesbar zu erhalten. Dazu gehörte dann zwar der Schutz der Rudimente, der noch immer beeindruckenden und flächenmäßig großen Reste des Gartens, ohne aber dessen Einheit als Symbol einer imaginierten „heilen Welt“ wiederherstellen zu wollen. So wie etwa die im Krieg zerstörte Hamburger Nikolaikirche als Ruine einen besonderen Wert für die Stadt darstellt, so dokumentiert Warburgs Garten – zerschnitten, verbaut, als künstlerisches Gesamtkonzept verloren – gerade in seinen „Wunden“ in hervorragender Weise die Brüchigkeit deutsch-jüdischen Zusammenlebens im 20. Jh. Der Kösterberg stellt hierin die manchmal unterschätze Form eines Gartendenkmals dar, die sie mit manch anderen Anlagen teilen mag.

 

VII.    Literaturverzeichnis

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Radziewsky, Elke von, Römischer Garten unter norddeutschem Himmel, in: Hamburger Architektenkammer (Hg.), Architektur in Hamburg: Jahrbuch 1994, S. 164-171.

Schifron, Dvora, Das Haus in Blankenese, in: Verein zur Erforschung der Geschichte der Juden in Blankenese (Hg.), Kirschen auf der Elbe. Erinnerungen an das jüdische Kinderheim Blankenese 1946-1948. Übersetzt aus dem Hebräischen von Alice Krück und durchgesehen von Michael K. Nathan, Klaus Schümann Verlag, Hamburg 2006, S. 148-150.

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Schubert, Ingrid A., Rudolf Jürgens (1850-1930), in: Adrian v. Buttlar und Margita Marion Meyer (Hg.),Historische Gärten in Schleswig-Holstein, Verlag Boyens & Co., Heide in Holstein, 1996, S. 662.

Schümanns Hamburger: Hamburg Band 12: Das Gemeinwohl der Stadt: Die Stiftungen, Klaus Schümann Verlag, Hamburg 2006.

Schütt, Ernst Christian, Chronik Hamburg, Bertelsmann Lexikon Verlag, Gütersloh/ München 1991.

S., C., Garten Warburg, Blankenese, in: Die Gartenschönheit 9.8, 1928, S. 321.

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sd, Warum schloß das Brändström (!)-Haus? 16 Mitarbeiter klagen gegen den Verein, in: Hamburger Abendblatt Nr. 33 vom 9. Februar 1999, S. 15.

Tadmor, Jizchak, Die Geschichte des Kinderheimes Blankenese von Januar 1946 bis März 1948, in: Verein zur Erforschung der Geschichte der Juden in Blankenese (Hg.), Kirschen auf der Elbe. Erinnerungen an das jüdische Kinderheim Blankenese 1946-1948. Übersetzt aus dem Hebräischen von Alice Krück und durchgesehen von Michael K. Nathan, Klaus Schümann Verlag, Hamburg 2006, S. 26-59.

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Verein zur Erforschung der Geschichte der Juden in Blankenese (Hg.), Kirschen auf der Elbe. Erinnerungen an das jüdische Kinderheim Blankenese 1946-1948. Übersetzt aus dem Hebräischen von Alice Krück und durchgesehen von Michael K. Nathan, Klaus Schümann Verlag, Hamburg 2006.

Verwaltungsrat des Gartenbauvereins für Hamburg, Altona und Umgebung: Bericht des Verwaltungsrates über das Vereinsjahr 1929/30, in: Gartenbau-Verein für Hamburg, Altona und Umgegend (Hg.), Jahres-Bericht 1929/30, Hamburg, 1930, S. 5-15.

Voigt, J[oh]. F[riedrich], Geschichtliches über die Gärten um Hamburg, Verlag von Hermann Grüning, Hamburg 1869.

Wagner, Karl: Gartenmöbel und Sitzplätze, Die Gartenschönheit 12.5, 1931, S. 86-88.

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Walden, Hans, Stadt – Wald: Untersuchungen zur Grüngeschichte Hamburgs, (Beiträge zur hamburgischen Geschichte, Band 1), Hg. Burghart Schmidt und Hans Walden, DOBU Verlag, Hamburg 2002.

Warburg, Eric M., Zeiten und Gezeiten: Erinnerungen, Privatdruck, Hamburg 1982.

Warburg-Spinelli, Ingrid, Erinnerungen. Die Dringlichkeit des Mitleids und die Einsamkeit, nein zu sagen, Luchterhand Literaturverlag, Hamburg 1991.

Wessel, Horst A., Die optische Telegraphenlinie von Hamburg nach Cuxhaven, in: Klaus Beyrer und Birgit-Susann Mathis (Hg.), Soweit das Auge reicht. Die Geschichte der optischen Telegraphie; eine Publikation des Museums für Post und Kommunikation Frankfurt am Main (27.4.-30.7. 1995), Braun Verlag, Karlsruhe 1995, S. 205-220.

 VIII.    Quellenverzeichnis

Archiv Denkmalamt Hamburg, Blankenese 222, Kösterbergstr. 60, Landhaus Köster

Denkmalschutzgesetz FHH vom 03. September 1973, zuletzt geändert am 04.04. 2006 [Freie und Hansestadt Hamburg, Kulturbehörde: www. fhh.hamburg.de/stadt/Aktuell/behoerden/kulturbehoerde/zz-stammdaten/ladbare-dateien/denkmalschutz/denkmalschutzgesetz,property=source.pdf, vom 29. Juli 2006].

Itzhak Katzenelson Holocaust and Jewish Resistance Heritage Museum, www.gfh.org.il/eng/, vom 22.08.2006.

Privatarchiv Max M. Warburg, Hamburg [PAW]: „Kösterbergalbum“ [Foto- und Textband] für Max Warburg, von Anna Warburg, 05.06. 1937.

Staaatsarchiv Hamburg [StAHH]: 322-3 Architekt Konstanty Gutschow, A 159, Band 1

StAHH: Altona und Umgebung. Blankenese – Private Gebäude [151-6, 7/]

Stiftung Elbphilharmonie, Die Elbphilharmonie kommt [2006 (Info-Faltblatt ohne Ort und Jahr)]

Verein zur Erforschung der Geschichte der Juden in Blankeneses, Kinder von Blankenese zu Gast in Blankenese, www.viermalleben.de/4xleben/children.htm, 22.08.2006

 

 

 

[1] Vgl. Martina Nath-Esser (Hg.), Hamburg Grün: Die Gärten und Parks der Stadt, L&H Verlag, Hamburg 1998 (S. 44);

Ronald Clark, Gärten 1998/99: Der Reiseführer zu privaten und öffentlichen Parks und Gärten in Deutschland, Callwey Verlag, München 1998 (S. 140-141). 1988 bewertete eine Informationsbroschüre der Umweltbehörde den Römischen Garten neben dem Ohlsdorfer Friedhof, dem Stadtpark und dem Jenischpark als Beispiele zeitgeschichtlicher Dokumente, die zugleich Gartenkunstwerke seien (Umweltbehörde der freien und Hansestadt Hamburg und Staaatliche Pressestelle Hamburg, Hamburg – Eine Stadt öffnet sich der Natur, Dingwort, Hamburg 1988, S. 7).

[2] Volker Detlef Heydorn, Der römische Garten in Blankenese – eine verkommene Parkruine.
In: Blankenese. Monatszeitschrift des Blankeneser Bürgervereins e.V., Ausgabe C1, 35. Jg. Nr. 9, Hamburg-Blankenese, September 1982.

Frank Pieter Hesse, Der Römischer Garten in Blankenese, in: Was nützet mir ein schöner Garten…: Historische Parks und Gärten in Hamburg, Patriotische Gesellschaft von 1765 und Verein der Freunde der Denkmalpflege e.V. (Hg.), VSA-Verlag, Hamburg 1990, S. 46-52.

Charlotte Schoell-Glass, Die historische und kunsthistorische Bedeutung des Römischen Gartens am Kösterberg, unveröffentlicht, Hamburg 1991.

Sabine Diefenbach und H.O. Dieter Schoppe, Parkpflegewerk Römischer Garten in Hamburg-Blankenese, Schoppe, Hamburg, 1991.

Elke von Radziewsky, Römischer Garten unter norddeutschem Himmel, in: Hamburger Architektenkammer (Hg.), Architektur in Hamburg: Jahrbuch 1994, S. 164-171.

Ron Chernow, Die Warburgs. Odyssee einer Familie, [aus dem Amerikanischen von Karl A. Kleber], Siedler Verlag, Berlin 1994.

Oliver Breitfeld, Campagna am Elbhang. Der Römische Garten in Hamburg-Blankenese. Christians Verlag, Hamburg 2003.

Oliver Breitfeld (Hg.), Albert Renger-Patzsch. Parklandschaften. 60 Fotos für die Warburgs, ConferencePoint Verlag, Hamburg, 2005.

Ina Lorenz, Ein Heim für jüdische Waisen. AJDC Warburg Children Health Home Blankenes (1946-1948), in: Marion Kaplan und Beate Meyer (Hg.), Jüdische Welten. Juden in Deutschland vom 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart [Festschrift für Monica Richarz], Wallstein Verlag, Göttingen, 2005, S. 336-358.

[3] Bislang fehlt es an einer vollständigen Durchsicht des den Kösterberg betreffenden Quellenmaterials aus der Zeit zwischen 1897 und 1938 im Londoner Warburg Institut. In der zeitgenössischen Fachpresse bis zum ersten Drittels des 20. Jahrhunderts gibt es nur spärliche Angaben zum Garten:

Voigt, J[oh]. F[riedrich], Geschichtliches über die Gärten um Hamburg, Verlag von Hermann Grüning, Hamburg 1869, S. 32.

Holtz, Gruppe Hamburg [Exkursionsbericht der DGG], in: Deutsche Gesellschaft für Gartenkunst (Hg.), Die Gartenkunst: Zeitschrift für Gartenkunst und verwandte Gebiete, Band IX No. 7, Verlag der Gebrüder Borntraeger, Berlin 1907, S. 11 (vgl. www.garden-cult.de);

C.S, Garten Warburg, Blankenese, in: Die Gartenschönheit 9.8, 1928, S. 321 (vgl. www.garden-cult.de);

Karl Wagner, Gartenmöbel und Sitzplätze, Die Gartenschönheit 12.5, 1931, S. 86-88 (vgl. www.garden-cult.de);

Karl Wagner, Über Sonnenuhren, Die Gartenschönheit 14.6, 1933, S. 116-118 (vgl. www.garden-cult.de)

In den Jahresberichten des Gartenbauvereins für Hamburg, Altona und Umgegend der Jahre 1895-1947 wurden nur einige wenige Arbeiten Rudolf Jürgens genannt, Elsa Hoffas Arbeit dagegen wurde überhaupt nicht erwähnt, obwohl doch beide Mitglieder im genannten Verein gewesen waren.

[4] Für die Möglichkeit, auf das private Archiv der Familie Warburg in Hamburg [PAW] zurückgreifen und aktuelle Fotos des Gartens anfertigen zu können, danke ich Herrn Max Marcus Warburg.

[5] Es handelt sich um das Büro Lichtenstein Landschaftsarchitekten in Hamburg. Für die Möglichkeit zur Verwendung von Bild- und Textmaterial aus dem Büroarchiv danke ich Herrn Daniel Lichtenstein.

[6] Für ihre Hilfe bei der Quellenerschließung danke ich den Mitarbeitern des Altonaer Museums, des Denkmalamtes Hamburg, des Hamburger Staatsarchivs, hier insbesondere Herrn Thöle und Herrn Eckart Krause vom Fachbereich Philosophie und Geschichtswissenschaft der Uni Hamburg, dessen enzyklopädisches Gedächtnis und Engagement eine große Aufmunterung ist. Herr Martin Schmidt vom „Verein für die Erforschung der Geschichte der Juden in Blankenese“ erschloss mir wertvolle Bild- und Textquellen. Dem „Itzhak Katzenelson Holocaust and Jewish Resistance Heritage Museum“ in Israel bin ich für die Erlaubnis zur Verwendung Ihres Bildmaterials zu Dank verpflichtet. Herrn Heino Grunert von der Hamburger Behörde für Bildung und Sport bin ich für fruchtbare Diskussionen über theoretische und praktische Aspekte des Denkmalschutzes im Umgang mit Warburgs Garten dankbar.

[7] Paul Theodor Hoffmann, Die Elbchaussee. Ihre Landsitze, Menschen und Schicksale, Verlag Broschek & Co., Hamburg, 1937, S. 300.

[8] Ebd., S. 58, 80, 94.

[9] Paul Theodor Hoffmann, Neues Altona 1919-1929: Zehn Jahre Aufbau einer Deutschen Grosstadt/ dargest. im Auftr. des Magistrats der Stadt Altona von Paul Th. Hoffmann, Diederichs Verlag, Jena, 1929, S. 240- 243, 571.

[10] Paul Theodor Hoffmann, Blut und Rasse im Deutschen Dichter- und Denkertum, Hoffmann & Campe Verlag, Hamburg, 1934.

[11] Sylvia Borgmann, Altona: Elbgärten, in: Adrian v. Buttlar, Margita Marion Meyer (Hg.),Historische Gärten in Schleswig-Holstein, Verlag Boyens & Co., Heide in Holstein, 1996, S. 110-131, hier S. 111.

[12] PAW: Anna Warburg, Kösterbergalbum für Max Warburg, 1937.

[13] PAW: Kösterbergalbum, 1937.

[14] PAW: Kösterbergalbum, 1937 [Anna Warburg gibt an, hier einen Artikel Paul Theodor Hoffmanns in der „Norddeutschen Illustrierten“ wiederzugeben. Es ist mir nicht gelungen, diesen Artikel ausfindig zu machen].

[15] Hoffmann, Elbchaussee, 1937, S. 296.

[16] Werbedruck (1) für die Gastwirtschaft Hennigsen, Lithographie von Charles Fuchs, um 1840 (StAHH, 151-6; 7/1071)

Werbedruck (2) für die Gastwirtschaft Hennigsen, um 1840 (aus Chernow, Die Warburgs, 1994, S. 614)

[17] Horst A. Wessel Die optische Telegraphenlinie von Hamburg nach Cuxhaven, in: Klaus Beyrer und Birgit-Susann Mathis (Hg.), Soweit das Auge reicht. Die Geschichte der optischen Telegraphie; eine Publikation des Museums für Post und Kommunikation Frankfurt am Main (27.4.-30.7. 1995), Braun Verlag, Karlsruhe 1995, S. 205-220.

[18] Kösterberg d. 8 / Julÿ 1839. Bleistiftzeichnung von C.W. Lüdert (Altonaer Museum, 1913/23 a),
Kösterberg 1839 Julÿ. Bleistiftzeichnung von C.W. Lüdert (Altonaer Museum, 1913/23b),
Kösterberg 1839 Julÿ. Bleistiftzeichnung von C.W. Lüdert (Altonaer Museum, 1913/23c),

Kösterberg 1850-1854, Federzeichnung von J.J. Faber (Altonaer Museum 1937/137g).

Zeitgenössische Beschreibungen nennen den Ort „Kösters Garten“ [Emilie von Berlepsch, Eine Tour nach dem Kösterberg im Jahre 1798; neu abgedruckt im Beiblatt der Altonaer Nachrichten, 8.4. 1853, Nr. 28. Zitiert nach Hoffmann, Die Elbchaussee, 1937, S. 285, 334] oder erwähnen er liege „in einer von malerischen Spaziergängen durchschnittenen Hölzung“ [Hoffmann, Der hamburgische Tourist, 1852, S. 100, zitiert nach Hans Walden, Stadt – Wald: Untersuchungen zur Grüngeschichte Hamburgs, (Beiträge zur hamburgischen Geschichte, Band 1), Hg. Burghart Schmidt und Hans Walden, DOBU Verlag, Hamburg 2002, S. 476].

[19] PAW: Kösterbergalbum, 1937.

[20] Hoffmann, Elbchaussee, 1937, S. 298f.

[21] Chernow, Die Warburgs, 1997, S. 18-20

[22] Ebd., S. 28, 44.

[23] Ebd.,S. 36.

[24] Breitfeld, Campagna am Elbhang, 2003, S. 13, 16. Entgegen den wiederkehrenden Angaben in der Literatur hat Warburg das Richtersche Grundstück nicht schon 1897 erworben: Dies Gelände wurde 1905 parzellenweise zum Verkauf angeboten (siehe „Parzellirungsplan der Grundgüter des Herrn Julius Richter in Blankenese“ [Original im StAHH, Plankammer, Blankenese]). Eine im Denkmalamt Hamburg befindliche Kopie vom Lageplan einiger geplanter Nebengebäude (Garage und Hühnerstall) im Garten Moritz Warburg, auf 1906 datiert, weist den Grenzabstand der geplanten Bebauung zum Nachbargrundstück „J. Richter“ aus [Denkmalamt, Blankenese 222, Kösterbergstr. 60].

[25] Ebd., S. 15.

Diefenbach/ Schoppe, Parkpflegewerk Römischer Garten, 1991, S.8.

Heydorn, Der Römische Garten, 1982, S. 9.

[26] Breitfeld, Parklandschaften, 2005, S. 88.

[27] Eine knappe Aufstellung über Jürgens berufliche Tätigkeit listet seine Arbeit für die „Parkanlage M.[oritz] M. Warburg, [Parkanlage] Paul Warburg, [Parkanlage] Max Warburg“, sämtlich in „Blankenese-Kösterberg“ gelegen [Verwaltungsrat des Gartenbauvereins für Hamburg, Altona und Umgebung: Bericht des Verwaltungsrates über das Vereinsjahr 1929/30, in: Gartenbau-Verein für Hamburg, Altona und Umgegend (Hg.), Jahres-Bericht 1929/30, Hamburg, 1930, S. 5-15, hier S. 7. Vgl. Ingrid A. Schubert, Rudolf Jürgens (1850-1930), in: Adrian v. Buttlar und Margita Marion Meyer (Hg.),Historische Gärten in Schleswig-Holstein, Verlag Boyens & Co., Heide in Holstein, 1996, S. 662]. Es handelte sich also vermutlich um dasselbe Areal, welches Moritz M. Warburg arrondiert hatte, nach seinem Tod aber in die Hände seiner Söhne übergegangen war. Unklar ist dabei, warum der Name Fritz Warburgs, der das „Weiße Haus“ besaß, in dieser Aufstellung nicht genannt wurde.

[28] PAW: Kösterbergalbum, 1937.

[29] Chernow, Die Warburgs, S. 50.

[30] Siehe hierzu als Einstieg: Horst Bredekamp, Michael Diers und Charlotte Schoell-Glass (Hg.), Aby Warburg. Akten des internationalen Symposiums Hamburg 1990, VCH, Acta Humaniora, Weinheim 1991.

[31] Breitfeld, Parklandschaften, 2005, S. 88.

[32] Breitfeld, Campagna am Elbhang, 2003, S. 26, 37, 92.

[33] Heydorn, eine verkommene Parkruine, 1982, S. 10.

[34] Breitfeld, Campagna am Elbhang, 2003, S. 28.

[35] Breitfeld, Parklandschaften, 2005, S. 7.

[36] Ingrid Warburg-Spinelli, Erinnerungen. Die Dringlichkeit des Mitleids und die Einsamkeit, nein zu sagen, Luchterhand Literaturverlag, Hamburg 1991, S. 34.

[37] Olga Lachmann, Eine Kindheit vor 1914: Erinnerungen von Olga Lachmann geb. Warburg (1898-1965), in: Hamburgische Geschichts- und Heimatblätter, Band 9, Heft 2, S. 40. Vgl. Breitfeld, Campagna am Elbhang, 2003, S. 32f, 93.

[38] PAW, Kösterbergalbum, 1937, o.S.

[39] Chernow, Die Warburgs, 1994, S. 120.

[40] PAW, Kösterbergalbum, 1937, o.S. und Chernow, Die Warburgs, 1994, S. 209.

[41] Chernow, Die Warburgs, 1994, S. 357.

[42] PAW, Kösterbergalbum, 1937.

[43] Warburg-Spinelli, Erinnerungen, 1991, S. 42.

[44] Chernow, Die Warburgs, 1994, S. 122.

[45] Warburg-Spinelli, Erinnerungen, 1991, S. 42.

[46] Ebd., S. 42.

[47] Chernow, Die Warburgs, 1994, S. 145, 209, 268ff.

[48] Warburg-Spinelli, Erinnerungen, 1991, S. 283.

[49] StAHH, 322-3 Architekt Konstanty Gutschow, A 159, Band 1, Tätigkeitsbericht und Besprechungsniederschriften des landschaftlichen und gärtnerischen Sachverständigen Max Schwarz 1941-1943. hier: Bericht vom 02.10. 1941.

[50] Ernst Christian Schütt, Chronik Hamburg, Bertelsmann Lexikon Verlag, Gütersloh/ München 1991, S. 471.

[51] StAHH, 322-3 Architekt Konstanty Gutschow, A 159, Band 1, Tätigkeitsbericht und Besprechungsniederschriften des landschaftlichen und gärtnerischen Sachverständigen Max Schwarz 1941-1943. hier: Bericht vom 02.10. 1941.

[52] Ebd., hier: Bericht vom 02.10. 1941.

[53] Gert Gröning und Joachim Wolschke-Bulmahn, Grüne Biographien: Biographisches Handbuch zur Landschaftsarchitektur des 20. Jahrhunderts in Deutschland, Patzer Verlag, Berlin/ Hannover 1997, S. 357-358.

[54] StAHH, 322-3 Architekt Konstanty Gutschow, A 159, Band 1, Tätigkeitsbericht und Besprechungsniederschriften des landschaftlichen und gärtnerischen Sachverständigen Max Schwarz 1941-1943, hier: Bericht vom 24.10. 1941.

[55] Ebd., hier: Bericht vom 25.11. 1941, S. 2.

[56] Ebd., hier: Bericht vom 13.10. 1942, S. 2.

[57] Ebd., hier: Bericht vom 23.02. 1942.

[58] Ebd., hier: Bericht vom 12.02. 1943, S. 3.

[59] Ina Lorenz, Ein Heim für jüdische Waisen. AJDC Warburg Children Health Home Blankenes (1946-1948), in: Marion Kaplan und Beate Meyer (Hg.), Jüdische Welten. Juden in Deutschland vom 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart [Festschrift für Monica Richarz], Wallstein Verlag, Göttingen, 2005, S. 336-358. Für die Übersendung dieses Artikels danke ich Dr. Martin Schmidt. Weitere Informationen zur Geschichte des Anwesens und einige Dokumente zur Entstehung des Heims finden sich in: Verein zur Erforschung der Geschichte der Juden in Blankenese, Kirschen auf der Elbe, 2006.

[60] Ebd., S. 339f.

[61] Ebd., S. 340.

[62] Ebd., S. 340.

[63] Eric M. Warburg, Zeiten und Gezeiten: Erinnerungen, Privatdruck, Hamburg 1982, S. 250f.

[64] Lorenz, Heim für jüdische Waisen, 2005, S. 337.

[65] Jizchak Tadmor, Die Geschichte des Kinderheimes Blankenese von Januar 1946 bis März 1948, in: Verein zur Erforschung der Geschichte der Juden in Blankenese (Hg.), Kirschen auf der Elbe. Erinnerungen an das jüdische Kinderheim Blankenese 1946-1948. Übersetzt aus dem Hebräischen von Alice Krück und durchgesehen von Michael K. Nathan, Klaus Schümann Verlag, Hamburg 2006, S. 26-59, hier S. 33.

[66] Chernow, Die Warburgs, 1994, S. 213.

[67] Wortlaut des in englischer Sprache verfassten Schreibens zitiert bei Lorenz, Heim für jüdische Waisen, 2005, S. 338.

[68] Lorenz, Heim für jüdische Waisen, 2005, S. 338f.

[69] Ebd., S. 342.

[70] Ebd., S. 344.

[71] Ebd., S. 343.

[72] Tadmor, Geschichte des Kinderheimes Blankenese, S. 35. Lorenz schreibt von 35 Personen [Lorenz, Heim für jüdische Waisen, S. 344f].

[73] Tadmor, Geschichte des Kinderheimes Blankenese, S. 35.

[74] Ebd., S. 36.

[75] Lorenz, Heim für jüdische Waisen, S. 344.

[76] Ebd., S. 345.

[77] Tadmor, Geschichte des Kinderheimes Blankenese S. 36f.

[78] Ebd., S. 37.

[79] Ebd., S. 49.

[80] Ebd., S. 39.

[81] Elijahu Ben Jehuda, Im Auftrag der Jewish Brigade, in: Verein zur Erforschung der Geschichte der Juden in Blankenese (Hg.), Kirschen auf der Elbe. Erinnerungen an das jüdische Kinderheim Blankenese 1946-1948. Übersetzt aus dem Hebräischen von Alice Krück und durchgesehen von Michael K. Nathan, Klaus Schümann Verlag, Hamburg 2006, S. 60-63, hier S. 63.

[82] Ebd., S. 52.

[83] Lorenz, Heim für jüdische Waisen, S. 351-353.

[84] Tadmor, Geschichte des Kinderheimes Blankenese, S. 55.

[85] Lorenz, Heim für jüdische Waisen, S. 354-358.

[86] Ebd., S. 358.

[87] Breitfeld, Campagna am Elbhang, 2003, S. 35.

[88] Chernow, Die Warburgs, 1994, S. 706-708.

[89] Ebd., S. 712.

[90] Ebd., S. 857f.

[91] Warburg-Spinelli, Erinnerungen, 1994, S. 283.

[92] Chernow, Die Warburgs, S. 844.

[93] Ebd., S. 847, 851, 853.

[94] Warburg-Spinelli, Erinnerungen 1991, S. 42.

[95] Ebd., S. 282.

[96] Marion Gräfin Donhoff, Eric M. Warburg: Ohne Rachegefühle die Geschichte miterlebt und gestaltet, in: Kulturforum Warburg (Hg.), Warburg und die Warburgs, Band 3 der Warburger Schriften, Herrmann Hermes Verlag, 1988, S. 123-127, hier S. 126. [aus: „Die Zeit“, vom 14. April 1980].

[97] sd, Warum schloß das Brändström (!)-Haus? 16 Mitarbeiter klagen gegen den Verein, in: Hamburger Abendblatt Nr. 33 vom 9. Februar 1999, S. 15.

[98] Chernow, Die Warburgs, 1997, S. 858f.

[99] Stiftung Elbphilharmonie, Die Elbphilharmonie kommt [2006 (Info-Faltblatt ohne Ort und Jahr)]

[100] „Denkmalwert des Ensembles Kösterbergstr. 60“ vom 14.12. 2005 [Kulturbehörde Hamburg, Denkmalamt, K 432].

[101] Verein zur Erforschung der Geschichte der Juden in Blankenese (Hg.), Kirschen auf der Elbe. Erinnerungen an das jüdische Kinderheim Blankenese 1946-1948. Übersetzt aus dem Hebräischen von Alice Krück und durchgesehen von Michael K. Nathan, Klaus Schümann Verlag, Hamburg 2006.

[102] Dvora Schifron, Das Haus in Blankenese, in: Verein zur Erforschung der Geschichte der Juden in Blankenese (Hg.), Kirschen auf der Elbe. Erinnerungen an das jüdische Kinderheim Blankenese 1946-1948. Übersetzt aus dem Hebräischen von Alice Krück und durchgesehen von Michael K. Nathan, Klaus Schümann Verlag, Hamburg 2006, S. 148-150, hier S. 148.

[103] Ebd., S. 150.

[104] Renia Kochmann, Ein Brief von Renia Kochmann, in: Verein zur Erforschung der Geschichte der Juden in Blankenese (Hg.), Kirschen auf der Elbe. Erinnerungen an das jüdische Kinderheim Blankenese 1946-1948. Übersetzt aus dem Hebräischen von Alice Krück und durchgesehen von Michael K. Nathan, Klaus Schümann Verlag, Hamburg 2006, S. 159-160.

[105] Jehuda Margalit, Ferne Tage, in: Verein zur Erforschung der Geschichte der Juden in Blankenese (Hg.), Kirschen auf der Elbe. Erinnerungen an das jüdische Kinderheim Blankenese 1946-1948. Übersetzt aus dem Hebräischen von Alice Krück und durchgesehen von Michael K. Nathan, Klaus Schümann Verlag, Hamburg 2006, S. 168-171, hier S. 168.

[106] Alisa Beer, Das Geschenk, in: Verein zur Erforschung der Geschichte der Juden in Blankenese (Hg.), Kirschen auf der Elbe. Erinnerungen an das jüdische Kinderheim Blankenese 1946-1948. Übersetzt aus dem Hebräischen von Alice Krück und durchgesehen von Michael K. Nathan, Klaus Schümann Verlag, Hamburg 2006, S. 175-176.

[107] Itzhak Katzenelson Holocaust and Jewish Resistance Heritage Museum, www.gfh.org.il/eng/, 22.08.2006.

[108] Mein besonderer Dank für die unbürokratische Übersendung dieses Bildmaterials und den Hinweis auf die Website des „Itzhak Katzenelson Holocaust and Jewish Resistance Heritage Museum“ gilt Dr. Martin Schmidt vom „Verein zur Erforschung der Geschichte der Juden in Blankenese“. Auf der Website des Vereins sind ebenfalls Informationen und Bildmaterial zu den „Kindern von Blankenese“ veröffentlicht.[Verein zur Erforschung der Geschichte der Juden in Blankeneses, Kinder von Blankenese zu Gast in Blankenese, www.viermalleben.de/4xleben/children.htm, 22.08.2006]

„Unter dem grünen Deckmantel“

Per Olof Emanuel Eneroth (1825-1881)

Vortrag vor der Deutschen Gesellschaft für Gartenkunst und Landschaftskultur, Landesverband Hamburg/Schleswig-Holstein im Dezember 2007

   

„Es mag vermessen klingen, wenn man sagt,
man wolle das Volk lehren zu wollen.
Aber wie das auch klingt, – ich habe etwas Derartiges gewählt
und ich will es.
Ich habe gewählt, als Gartenmann verkleidet Ästhetik zu pflanzen,
habe Ästhetik
in jeden einzelnen Apfelbiss gelegt“

(Olof Eneroth, 1864)

Er galt seinen Zeitgenossen als „Vater der schwedischen Pomologie“, „warmherziger Volksschulfreund“ und engagierter Förderer der Gartenkultur. Aus ärmlichen Verhältnissen stammend, erarbeitete sich Per Olof Emanuel Eneroth einen Doktortitel in Philosophie, künstlerische und wissenschaftliche Auszeichnungen und die Freundschaft vieler Größen aus dem schwedischen Geistesleben wie der Schriftstellerin Fredrika Bremer, dem Botaniker Elias Fries und dem Schulreformer Thorsten Rudenschöld. Als Lehrer einer bedeutenden Gärtnermeisterschule, Gartendirektor der schwedischen Eisenbahn, als Gartengestalter, -berater und -autor ist seine Bedeutung für die Entwicklung der schwedischen Gartenkultur unbestritten. Als Pomologe besaß er in seiner Zeit auch in Deutschland einen guten Ruf. Der Vortrag basierte auf Joachim Schnitters im Juni 2009 abgeschlossener Dissertation über Leben und Werk dieses hart gesottenen Idealisten voller Widersprüche.

Sein Leben oszillierte zwischen dem Bedürfnis nach einer künstlerischen Existenz und der Arbeit an der Popularisierung der Gartenkultur, mit allen Hoffnungen auf Demokratisierung und Bildung, die sich in dieser Zeit bei Vielen damit verknüpfte. Verdienste erwarb er sich dabei neben seinen pomologischen Arbeiten vor allem als einer der wichtigsten Autoren zu Schulgärten.

In Schulgärten sah Eneroth ein wirksames Mittel, Kinder zu verantwortungsvollen „Kultivateuren“ der Natur zu bilden. Arbeit an der Natur begriff er als Instrument einer wechselseitigen Veredelung von Mensch und Natur im Prozess. In diesem Sinne kann sein künstlerisch anspruchsvollster Schulgartenplan als Nukleus der Kultivierung interpretiert werden, von dem ausgehend eine neue Gesellschaft heranwachsen sollte.

Sein Bildungshunger hatte ihn an die Universität Uppsala geführt, doch verachtete er das „Schreibtischleben“ und die „Salonbildung“. Mit theatralischem Gestus entschied er sich daher zu einem Leben als Gärtner – und bereitete gleichzeitig seine Doktorprüfung vor. Doch mit freiheitlichem Pathos trat er noch am Tag seiner Promotion erneut eine Arbeit als Gärtner an. Unter beispiellosem Einsatz gelang es ihm, 5000 Obstgehölze in 1500 Varietäten auf verschiedenen Privatgütern aufpfropfen zu lassen und ihre Verträglichkeit im schwedischen Klima zu beobachten. Ohne staatliche Unterstützung bereitete er so die Errichtung eines pomologischen Reichsgartens vor; eine Hoffnung, die sich ihm jedoch nie erfüllte.

Doch der „Mann mit den seelevollen Augen“ war in seiner Arbeit auch zynisch und berechnend. Sich selbst verstand er gleichzeitig als Märtyrer und als ‚Schlange im Gras’. Mit der Beförderung der Gartenkultur wollte er unbemerkt die geistige Bildung des Volks vorantreiben: „Als Gartenmann verkleidet“ habe er es „gewählt, Ästhetik zu pflanzen, Ästhetik in jeden Apfelbiss gelegt“. Gegenüber Gutsbesitzern, die seinen fachlichen Rat einholten, sah er sich in einer ähnlichen Rolle: Auf diese wollte er unbemerkt „in der Volkserziehungsfrage“ einwirken und sie zur Finanzierung von Schulen und Schulgärten überreden. Eneroths Aufeinandertreffen mit dem wohlhabenden Baron Seth Adelswärd zeigt, mit welcher Hartnäckigkeit der dichtende Gärtner ‚widerspenstige’ Gutsbesitzer bearbeitete. Gleichzeitig bombardierte er die Öffentlichkeit mit kleineren und größeren Schriften zu Gartenbau, Volksschule, Kunst und Literatur, mit Zeitungsartikeln und Gedichten.

Wohl auch infolge einer chronischen Nervenüberreizung, die zunehmend sein Sehvermögen beeinträchtigte, wich seine in jüngeren Jahren optimistische Haltung in den 70er Jahren der Resignation. Dennoch arbeitete er in autobiographischen Aufzeichnungen daran, dass das Bild eines Auserwählten Gottes und eines ‚Eremiten in seiner Zelle’ auch die Nachwelt übernehmen würde.

In seinem Testament bestimmte er eine überraschend hohe Summe der Stiftung einer „Professur in der Lehre des Zusammenhanges zwischen Naturgesetzen und der geistigen und körperlichen Natur des Menschen“. Ein halbes Jahrhundert später war gemäß seinem Willen die Stiftungssumme durch Verzinsung so weit angewachsen, dass der bis heute bestehende Olof-Eneroth-Lehrstuhl für Psychologie an der Universität Stockholm eingerichtet werden konnte.

Eine Welt im Kopfe: Überlegungen zum Naturbegriff

Dieser Fachartikel ist in der Zeitschrift „Die Gartenkunst“ (Heft 1/2003, S. 1-3) erschienen.

„Andeutungen“, „fragmentarische Beiträge“, „Observations“, „Réflexions critiques“, Anmerkungen“ und „Gedanken“: Die Titel der historischen Gartenliteratur spiegeln oft ein Bewusstsein um die Schwierigkeit, hinsichtlich der Naturgestaltung zu allgemeingültigen Aussagen zu gelangen. Diese Schwierigkeit basiert vor allem auf der Stellung der Gartenkunst zwischen zwei Zentralthemen der europäischen Begriffsgeschichte: Natur und Kultur. Erik A. de Jong konstatiert 1997, Garten und Park hätten „als erste Berührungspunkte zwischen Kultur und Natur immer eine wichtige Rolle gespielt, nicht zuletzt als Katalysatoren der Ideen über, des Verlangens  nach, und der Wahrnehmung von Natur und Landschaft im Allgemeinen“.[1] Für die Geisteswissenschaften birgt diese zentrale Position der Gartenkunst eine besondere Möglichkeit, historische Natur- und Kulturauffassungen aus gartentheoretischen Schriften zu erfassen und in ihrem Verhältnis zu zeitgenössischen Diskursen zu verorten. Leider diskutiert die gartenhistorische Forschung selten Begriffs- oder diskursgeschichtliche Themen, welche die Gartenkunst in ihrem Zusammenhang zum Beispiel mit der Philosophie oder der schönen Literatur hervortreten ließe.[2] Die folgende Darstellung thematisiert – ohne den geringsten Anspruch auf Vollständigkeit – zwei konträre Interpretationsweisen des Naturbegriffes aus der Philosophie und den wiederkehrenden Versuch ihrer Synthese in der Gartentheorie.[3]

 

Der Begriff Natur (physis) ist in der europäischen Antike erstmals von Homer überliefert, der ihn am pflanzlichen Wachsen orientiert: Natur bezeichnet dort das Werden einer Pflanze, das Sich-selbst-hervorbringen. Physis ist demnach dynamisch zu verstehen, als aktiver und autonomer Prozess. Im lateinischen natura (von nasci = geboren werden) liegt dagegen eher ein Passivum. Ob Natur als passiv und damit abhängig (Natura naturata: die geschaffene Natur) oder aktiv und autonom (Natura naturans: die schaffende Natur) gedacht wird, ist von besonderer Bedeutung für die Interpretation kulturellen und insbesondere künstlerischen Tuns.

Wird die Entwicklung nach selbstimmanenten Gesetzen bzw. Kräften als Totalität gedacht, wird Natur also als aktiv und allumfassend gedeutet, so kann Natur mit dem – ähnlich vieldeutigen – Begriff der Gottheit verschmelzen (Pantheismus) oder ihn ersetzen (Naturalismus). Da ein so umfassend gedachter Naturbegriff jedoch Gefahr läuft, zur Worthülse zu verkommen – wenn Alles Natur ist, kann nichts Spezifisches mehr damit bezeichnet werden – wird Natur häufig in eingeschränkter Bedeutung als Gegensatz zu anderen Begriffen benutzt. Die im konkreten Fall gemeinte Bedeutung von Natur erschließt sich dann durch den jeweiligen Komplementärbegriff: z.B. Geist, Kultur, Technik oder Kunst. In diesen Fällen steht Natur für ein quasi statisches Element, dessen ewiger Selbstreproduktion der Mensch ein ‚höheres’ Schaffen entgegensetzt. Gemeinsam setzen diese eingeschränkten Bedeutungen den Menschen als Gegenüber der Natur voraus, die damit als Umwelt gedacht wird. (Diese Gegenüberstellung liegt freilich jeder Reflexion über Natur zugrunde, welche ja immer das Bewusstsein von Natur als von uns Verschiedenem erfordert.)

Natur bezeichnet also entweder einen Negativbegriff bzw. eine Restmenge, die sich einer eigentlichen Definition entzieht; oder Natur drückt eine Totalität aus, welche der Mensch im Bewusstsein seiner selbst nicht begreifen kann. In beiden Fällen ist Natur unfassbar und bleibt dennoch ein unverzichtbarer Bezugspunkt der Kunstwissenschaften. Da „die unterschiedlichen Naturbegriffe von jeweils anderen Selbstentwürfen des Menschen getragen“ sind, spiegelt die Entwicklung des Naturbegriffes letztlich nur menschliches Selbstverständnis wider.[4] Der künstlerisch handelnde Mensch zwischen Natur als Ganzem und Natur als Verschiedenem steht daher im Mittelpunkt der hier vorgebrachten Überlegungen.

In der griechischen Antike bildet sich ein zunehmendes Bewusstsein der Trennung von Mensch und Natur in einer fortschreitenden Abstraktion des Naturbegriffes von der Materie ab: Nach der Abkehr von mythischen Weltmodellen suchen Naturphilosophen wie Thales und Anaximander den Urgrund der Natur in ‚Grundsubstanzen’ wie Wasser oder Luft. Pythagoras schließlich glaubt, in den Zahlen das Wesen der Dinge zu erkennen.[5]

In der christlichen Tradition wird die Trennung des Menschen von der Natur sogar zur Forderung erhoben: Paulus und Augustinus sehen in der Überwindung des ‚natürlichen’ Menschen – des irdischen, fleischlichen Menschen – eine Bedingung, um für Gottes Geist empfänglich zu sein.[6] Wenn dieser Standpunkt auch scheinbar den Abstand zwischen Mensch- und Naturbegriff vergrößert, so bereitet er doch gerade in seiner wertenden Natursicht einer Auffassung den Boden, welche die beiden Begriffe enger aneinander binden will.

In der europäischen Aufklärung wird Natur positiv gewertet und zum Vernunftprinzip erhoben.[7] Durch die Ableitung ethischer, sozialer und ästhetischer Kriterien aus der Natur soll es gelingen, die als schmerzlich erlebte Kluft zwischen Mensch und Natur zu verringern. Deutlich wird dieses Bestreben in der Literatur ebenso wie in der Gartenkunst, die beide im 18. Jahrhundert von herausragender Bedeutung sind. Insbesondere die Gartenkunst  kann in diesem Zusammenhang als repräsentative Erscheinung des Zeitgeistes gesehen werden:[8] Die durch die Literatur verbreitete Anschauung einer Kongruenz zwischen Natur und Mensch wird im 18. Jahrhundert zu einem Antrieb der sogenannten ‚Gartenrevolution’. Anstelle der bis dahin üblichen geometrischen Formensprache orientieren sich die Gartenplaner nun an der ‚natürlichen Landschaft’, die es im sogenannten Landschaftsgarten künstlerisch zu steigern gilt. Von Anfang an ist die ‚Befreiung der Pflanzen von der Herrschaft der Schere’ auch Symbol einer geforderten Befreiung des Menschen von absolutistischer Herrschaft und einer Hinwendung zu ‚natürlichen’ gesellschaftlichen Verhältnissen.

Eben diese natürlichen Verhältnisse fordert auch Jean-Jacques Rousseau, dessen Gesellschaftskritik Natur als unanfechtbare Instanz für das menschliche Zusammenleben setzt. In der „Julie, ou la Nouvelle Héloïse“ (1761) sowie dem „Émile ou de l’éducation“ (1762) entwirft Rousseau die Utopie eines Lebens nach den Gesetzen der Natur in einem landwirtschaftlichen Betrieb bzw. einem Garten. Gerlinde Volland hat darauf hingewiesen, dass Rousseaus Julie ihren Garten mit kaum merklichen Manipulatonen formt, der Garten erscheint unberührt-chaotisch. (Ähnlich willkürlich und planlos verfahre Charlotte als Gartengestalterin in Goethes 1809 erschienenen „Wahlverwandtschaften“.) Der weibliche Umgang mit Natur erscheint als Kinderspiel und als dem männlich planerischen Verfahren unterlegen.[9] Im Gegensatz von Aktiv und Passiv wurde eben auch eine Analogie zu Maskulinum und Femininum gesehen. Als „Mensch“ wird bis in die frühe Neuzeit hinein oft der Mann verstanden, als körperlich wie geistig Zeugenden, während Natur in Analogie zur Frau „das Andere“ meint.

Auch Rousseau formuliert die Kongruenz zwischen Mensch und Natur: „Man veredelt die Pflanzen durch die Zucht, und die Menschen durch die Erziehung.“[10] Für den Menschen als Teil von Gottes Schöpfung sei das Ziel menschlicher Erziehung – und implizit menschlichen Daseins überhaupt – „das [Ziel] der Natur selbst“.[11] Rousseaus Bekenntnis scheint darauf hinzudeuten, dass es zwischen Mensch und Natur eigentlich keinen Widerspruch geben muss.

Doch welches ist das gemeinsame Ziel von Mensch und Natur? Auch in der Zeit der Gartenrevolution stehen sich die aus dem Aktiv-Passiv-Gegensatz stammenden Auffassungen gegenüber: Ist die Natur selbst die größte Künstlerin, der alle menschlichen Künste nachzueifern haben, oder ist es dem Menschen gegeben, die Natur künstlerisch zu überhöhen? Wenn ja, durch welche Kunst?

Kurzzeitig verbreitet sich die Ansicht, der Gartenkunst komme eine Sonderstellung vor anderen schönen Künsten zu, da sie mit der Natur selbst arbeite (Thomas Whately, 1770)[12] und damit unmittelbarer die Sinne anspreche (Hirschfeld, 1775)[13]. Nicht zufällig in dieser Zeit, welche auf die Gartenkunst die größten Hoffnungen zur Menschenbildung setzt, formuliert Goethe, Kunstwerke seien ihm „die höchsten Naturwerke von Menschen“.[14] Mit diesem Modell, dem Menschen als schöpferischen Teil einer schöpferischen Natur scheint die Aufhebung des Widerspruches gelungen.

Die aus dem Bereich der Gartenliteratur vermutlich konsequenteste Weiterentwicklung einer solchen Anschauung entfaltet der Schwede Olof Eneroth.[15] Ab den 1850er Jahren propagiert er eine eigene natur-pädagogische Veredelungstheorie. Nach Eneroth kann der Menschen durch Erziehung veredelt werden, die geistige Bildung ebenso beinhaltet wie gärtnerische. Diese Veredelung sieht er äquivalent zu der Pflanzenveredelung durch Züchtung oder der künstlerischen Steigerung der Landschaft mit gärtnerischen und architektonischen Mitteln. Doch Eneroth geht über eine bloß äußerliche Kongruenz zwischen Natur und Mensch hinaus, beide können sich wechselseitig veredeln: In der künstlerischen Steigerung der Natur entwickelt der Mensch sich selbst und steigert als Teil der allumfassenden Natur diese wiederum.[16] Die Vorstellung einer sich selbst durch Kultivierung erhöhenden Natur geht insoweit über das Goethe-Zitat hinaus, als sie Natur als Prozess interpretiert. Analog zu Hegels „Phänomenologie des Geistes“ (1807) kann Eneroth die Einheit als Bewegung zwischen zwei Polen denken, in diesem Fall Mensch und Natur.[17]

Große Durchsetzungskraft ist diesem Denken jedoch nicht beschieden: Erik A. de Jong stellt fest, dass „Natur“ und „Kunst“ als Begriffspaar in den theoretischen Abhandlungen des neunzehnten und zwanzigsten Jahrhunderts allmählich verschwinden und ein Vakuum hinterlassen, welches im zwanzigsten Jahrhundert durch die Darstellung von Kunst und Natur als Gegensatzpaar gefüllt wird.[18] Überhaupt würde uns eine „schlüssige“, allumfassende Natur-Theorie heute eher skeptisch machen: „Je deutlicher sich die Einsicht herausbildete, das alles Denken und Erkennen sprachlich geprägt und damit an die Vieldeutigkeit der Sprache gebunden ist, desto seltener glaubte man […], zu letzten und eindeutig formulierbaren Gewißheiten vorzudringen. […] Daß die Philosophie imstande sei, ihre eigene Geschichte […] auch nur zu integrieren, glaubt heute ernsthaft wohl niemand mehr.“, bemerkt Günter Figal 1996.[19]

Heute scheint klar, dass die Frage nach Natur eine Frage nach dem Menschen ist. Gerhard Strauß’ „Lexikon der Kunst“ vermerkt in seiner Neufassung 1987-1994 unter „Natur“:
„Kunstwerke können […] auf die Sinneserfahrung insofern aktivierend wirken, als zu fast allen Zeiten Naturerscheinungen so gesehen (oder überhaupt erst bewußt wahrgenommen wurden), wie es durch Kunstwerke (und die ihnen zugrunde liegenden Vorstellungen von Natur) vorgeprägt worden ist. Insofern ist die menschliche Geschichte Teil der Naturgeschichte, des Werdens der Natur zum Menschen […].“[20]

In der Diskussion um das Verhältnis von „Kunst“ und „Natur“ sollten daher die Anführungszeichen immer mitgedacht werden, wollen wir eine Verständigung zwischen verschiedenen Disziplinen wie etwa der Gartendenkmalpflege und dem „Natur“schutz.[21] „Natur“ kann neben vielen anderen Bedeutungen eben auch als „Ökosystem“ oder als mehr oder weniger gestaltete „Landschaft“, im Extremfall als „Garten“ verstanden werden. Das bedeutet allerdings nicht, dass wir uns deswegen von unseren mehr oder minder unreflektierten Empfindungen zur Natur lösen sollten, denn „ […] was ist der ganze Ruhm des scharfsinnigsten Zweiflers gegen das Leben eines Mannes, der eine Welt in seinem Kopfe und die ganze Natur in seiner Einbildungskraft trug?“[22]

[1] Erik A. de Jong: Gegensatz oder Zusammenhang? Gedanken zum Verhältnis zwischen Natur und Kunst in der klassischen Gartentheorie, S. 239 In: Die Gartenkunst. Heft 2, 1997, Worms 1997, S. 239-254

[2] Eine in den letzten Jahren entstandene, hinsichtlich ihres literarischen Horizontes herausragende Arbeit, [Michael Gamper „Die Natur ist republikanisch“. Zu den ästhetischen, anthropologischen und politischen Konzepten der deutschen Gartenliteratur im 18. Jahrhundert. Würzburg 1998] ist daher an einer philosophischen Fakultät entstanden.

[3] Dieser Beitrag basiert auf dem Essay „Natur“ des Verfassers, online veröffentlicht im „Berliner Index“ des Graduiertenkollegs „Praxis und Theorie des künstlerischen Schaffensprozesses“ der Universität der Künste, Berlin, 2002

[4] Lothar Schäfer: Zur Geschichte des Naturbegriffs, S. 11. In: Barbara Baumüller, Ulrich Kuder, Thomas Zoglauer (Hrsg): Inszenierte Natur. Landschaftskunst im 19. und 20. Jahrhundert. Stuttgart 1997, S.7-17

[5] Frank-Peter Hansen: Einleitung, S. 33f. In: Philosophie von Platon bis Nietzsche. [ Digitale Bibliothek Band 2], Directmedia Publishing. Berlin 1998, S. 32-76

[6] Paulus: 1 Korinther 2:14
Aurelius Augustinus: Die Bekenntnisse. Aus dem Lateinischen übertragen von Georg Rapp. Stuttgart 1838, S. 77

[7] Wolfgang Riedel: Natur. S. 147. In: Volker Meid (Hrsg): Literaturlexikon. Begriffe, Realien, Methoden. Band 14, Gütersloh/München 1993, S. 146-148

[8] Vgl. Michael Niedermeier: Goethe und die „Revolution“ in der Gartenkunst seiner Zeit, S. 10f. In: Gärten der Goethe-Zeit. Hrsg. Harri Günther. Leipzig 1993, S. 9-27

[9] Gerlinde Volland: Weibliche Naturbeherrschung – ein Widerspruch in sich? Die Gartengestalterin in der Literatur um 1800. In: Die Gartenkunst, Heft 2/2000, Worms 2000, S. 179-186

[10] Jean-Jacques Rousseau: Emil oder Über die Erziehung. Frei aus dem Französischen übersetzt von Hermann Denhardt. Neue Ausgabe, Band 1, Leipzig, o. J, S. 10

[11] Ders. S. 16

[12] Thomas Whately: Observations on Modern Gardening Illustrated  by Descriptions. Londen 1770 (Deutsch 1771). Entnommen aus: Clemens Alexander Wimmer: Geschichte der Gartentheorie. Darmstadt 1989, S. 169

[13] Christian Cay Lorenz Hirschfeld: Theorie der Gartenkunst. Leipzig 1775. Entnommen aus: Gamper, S. 52

[14]Goethe, italienische Reise, zitiert nach Volland, S. 180

[15] Per Olof Emanuel Eneroth (1825-1881), einer der wichtigsten Garten- und Pädagogikautoren Schwedens, gilt auch als „Vater der schwedischen Pomologie“

[16] Olof Eneroth: Trädgårdsodling och Naturförsköningskonst (Band I) [=Gartenkultur und Naturverschönerungskunst]. Stockholm 1857, S.85

[17] Georg Wilhelm Friedrich Hegel : Sämtliche Werke. Kritische Ausgabe. Band II: Phänomenologie des Geistes. Hrsg. Johannes Hoffmeister. 5. Auflage, Leipzig 1949, S. 136

[18] de Jong, S. 251

[19] Günter Figal: Der Sinn des Verstehens. Stuttgart 1996, S. 11

[20] Lexikon der Kunst: Natur, S. 3. Digitale Bibliothek Band 43: Lexikon der Kunst, S. 22642 (vgl. LdK Bd. 5, S. 109) (c) E. A. Seemann

[21] Erik A. de Jongs Aufforderung, „Natur und Kunst in ihrem Wechselspiel gelten zu lassen“ bzw. seine Beobachtung von „feinsinnigen Abstufungen zwischen Natur und Kunst, die wir in […] Gärten antreffen“ (Erik A. de Jong, 1997, S. 252) erscheint mir als typisch gartendenkmalpflegerische Position signifikant (Dafür spricht auch die Aufnahme einer überarbeiteten Fassung dieses Artikels in: Naturschutz und Denkmalpflege. Wege zu einem Dialog im Garten. Hrsg. Ingo Kowarik, Erika Schmidt, Brigitt Sigel. Zürich 1998.) De Jong lässt offen, ob Natur in ihrer ästhetischen Qualität als akzeptierter Zerfall menschlicher Gestaltung oder in ihrer ökologischen Qualität, z.B. als Leistungsfähigkeit des Naturhaushaltes, verstanden wird.

[22] Friedrich Wilhelm Joseph Schelling: Ideen zu einer Philosophie der Natur, S. 10. Digitale Bibliothek Band 2: Philosophie, S. 35641 (vgl. K.F.A. Schelling (Hrsg):  Schelling- Sämtlich Werke. Stuttgart 1856-1861, Bd. 1, S. 108)