Die folgende Analyse von behandelt die erstmals 1894 erschienene Erzählung „Der schwarze Mönch“ des russischen Schriftsellers Anton Tschechow. Die Analyse ist in französischer Sprache in dem Ausstellungskatalog „Des Jardins & Des Livres“, hg. von Michael Jakob, Genf 2018, S. 390-391, erschienen. Das Buch wurde 2018 mit dem René Perchère-Literaturpreis für französischsprachige Werke aus den Bereichen Garten und Landschaft ausgezeichnet.
Was denkt, wie empfindet ein psychisch Kranker? Kann er das Ausmaß seiner Verwirrung erkennen? Folgen seine Vorstellungen einer ihm allein verständlichen Logik und lassen sie sich textlich darstellen? In der 1894 erschienenen Erzählung „Der schwarze Mönch“ geht der Schriftsteller und Arzt Anton Tschechow einer paranoiden Erlebniswelt aus der Perspektive eines Kranken nach.
Der zunächst offenkundige Plot ist schnell erzählt: Magister Kowrin halluziniert einen schwarzgekleideten tausendjährigen Mönch, der ihm Genialität versichert. Eine ärztliche Behandlung bricht Kowrin ab, da sie ihn seine Mittelmäßigkeit quälend empfinden lässt. Seine Ehe mit Tanja Pessozkaja zerbricht, ihr Vater – einst Kowrins Pflegevater – stirbt darüber vor Verzweiflung und dessen landesweit berühmter Handelsgarten verkommt. Unmittelbar nachdem Kowrin die fatalen Folgen seiner Paranoia erkannt hat, erliegt er – wieder glücklich im Wahn befangen – einem Blutsturz.
Pessozkis Gärten scheinen durch Kowrins Wahrnehmung und ihrem Verfall als Metapher der zerstörerischen Paranoia zu dienen. Dabei zeigt die Erzählung nicht nur in botanischen Details eine hortkulturelle Affinität des Autors:
- Der in der Erzählung genannte „Gauchet“ verweist auf den Pomologen und Baumschulbesitzer Nicolas Gaucher (1846-1911), der als Begründer des Formobstbaus in Deutschland gilt und dessen Werke ins Russische übersetzt wurden. [1] Artikel zur Pomologie waren Ende des 19. Jh. über die „Gartenflora“, der Monatsschrift für deutsche, russische und schweizerische Garten- und Blumenkunde auch in Russland verfügbar und belegen die große Bedeutung dieser gartenbaulichen Disziplin in dieser Zeit.
- Pessozkis Obergärtner Iwan (russisch für „Hans“) Karlytsch ist deutscher Herkunft: Tatsächlich hatten im späten 19. Jahrhundert deutschstämmige Gärtner oft herausragende
Positionen in russischen Gärten inne.[2] Die verkürzte Form des Vatersnamens deutet auf die Vertrautheit Pessozkis mit seinem verlässlichsten Mitarbeiter. - Das in der Erzählung geschilderte, im Deutschen als „Reifheizen“ bekannte Verfahren, war ein verbreitetes Mittel, um Pflanzen mittels Rauchentwicklung vor Spätfrost zu schützen.[3]
Hinter den scheinbar klaren Schilderungen des Erzählers treten jedoch seine krankhaften Wahrnehmungen in motivischen und klanglichen Äquivalenzen zutage. 4 In dieser durch Größen- und Verfolgungswahn getrübten Sicht offenbart sich ihm eine monströse Intrige: Eine geistige Verwandtschaft zwischen Kowrin und Pessozki nährt den Verdacht, Pessozki sei Kowrins leiblicher Vater. [5] Den „raffinierten Abnormitäten und Verspottungen der Natur“ gleich, die als Züchtungen den dekorativen Teil des Gartens prägen, plant Pessozki, aus der Verbindung der Halbgeschwister einen Bastard als Erben seines lukrativen Unternehmens zu züchten. Tanja scheint in das Komplott eingeweiht, dreht sich ihr Leben nach eigenem Bekunden doch nur um „Hochstamm, Halbstamm (…) Okulieren, Kopulieren“. Sie selbst gleicht den „empfindlichen, heiklen“ Gartenfrüchten, die Pessozki bei Reife verkauft.
Kowrin ahnt seine uneheliche Herkunft, sieht er sich doch in den Augen Tanjas und Pessozkis als „Irod“ (Herodes), das im gartenbaulichen Kontext auf dessen phonetisches Äquivalent „Urod“ (Missgeburt, Bastard) verweist. Auch der Mönch als Kowrins Alter Ego zeigt in seinem listigen Lächeln, Pessozkis Plan zu kennen: Seine gekreuzten Arme symbolisieren die drohende Kreuzung mit der Halbschwester. Als infolge der Trennung von Tanja und Pessozkis Tod der Garten mit den abnormen Züchtungen zunichte wird, besiegelt Kowrins Tod – mit seinem Blut symbolisch auch die genetische Verbindung zu Pessozki ausspuckend – das Scheitern der Intrige.
Eine stark verkürzte Rahmenhandlung lässt erahnen, dass Kowrin unwissentlich einer medizinischen Fallstudie dient. Kowrins Reise nach Borissowka ist durch den Rat eines Arztes motiviert. In dieser ersten Krankheitsphase scheint Kowrin die Landschaft von seiner Weltbedeutung zu sprechen. In der anschließenden Phase markiert das zweite Auftreten eines Arztes die neue Versuchsanordnung der Medikamentierung, in der die Landschaf „reglos und stumm“ erscheint. Kowrins Ende wird durch das Auftreten einer Pflegerin markiert, die ihn zu einer Kur nach Jalta begleitet. Dort bewundert er die Ruhe und Weite der See, die sein Eintauchen ins Nichts vorwegnimmt.
Der Autor legt aber auch nahe, Kowrins Krankheit könne von Außen befördert sein: Durch Pessozkis übermäßige Bewunderung für Kowrin und durch eine Bromkaliumbehandlung, von der in medizinischen Fachkreisen bekannt war, Gedächtnisverlust, Aggressivität und sogar Halluzinationen hervorrufen zu können. Auch Kowrins tödlicher Bluthusten könnte neben Tuberkulose auch durch eine Reizung der Luftröhre durch hochdosiertes Bromkalium befördert sein. [6] Nicht zuletzt ist sein Verfolgungswahn insofern nicht unbegründet, als dass er unwissend als Studienobjekt dient.
Kowrin bezieht seine Einbildungen aus Gärten, Landschaft und einer Fülle unterschiedlicher Quellen wie Liedern und Romanen. Die Namen Kowrin (Teppich) und Pessozki (Sand) verweisen in Verbindung mit der Fata Morgana des Mönchs zudem auf die „Märchen aus 1001 Nacht“. Derart den phantastischen Charakter durchscheinen lassend, macht der Autor Verwirrung zum arabesquen Konstruktionsprinzip seiner Erzählung.
Tschechow verarbeitete aber auch praktische Erfahrungen aus seiner Zeit als Eigentümer des landwirtschaftlichen Guts Melichowo bei Moskau. Um seine eigene TBC-Erkrankung zu kurieren, erwarb er 1899 ein Grundstück im heutigen Jalta und schuf dort aus einem felsigen Areal einen blühenden Garten: Er bestellte Obstbäume, Rosen und Samen aus allen Landesteilen und schwärmte, er pflanze alles eigenhändig. Ob ihm die kranichgleiche Tanja Pessozkaja in den Sinn kam, als ein Kranich als Dauergast seines Gartens erschien? Der Glücksvogel half jedoch nicht: Tschechow erlag seiner Erkrankung 1904, ein Jahrzehnt nach Erscheinen von „Der schwarze Mönch“.
Literatur
1 Kluge, Rolf Dieter, Anmerkungen und Nachwort. In: Anton Tschechow, der schwarze Mönch, Russisch/Deutsch. Übers. Kay Borowsky. Stuttgart 1996
2 Vgl. z.B. Reymann, Andrey, Deutsche Gärtner und Gartenkünstler und ihre Arbeiten in St. Petersburg. In: Preußische Gärten in Europa: 300 Jahre Gartengeschichte. Hg. Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin Brandenburg, Potsdam 2007, S. 244-247
3 Berliner Allgemeine Gartenzeitung Jg. 6, (1838) No. 17, S. 134
4 Vgl. Schmid, Wolf, Ornamentales Erzählen in der russischen Moderne : Čechov – Babel‘ – Zamjatin. Frankfurt am Main, 1992
5 Vgl. Freise, Matthias, Personendarstellung und Personenbewußtsein bei Cechov – die Erzählung „Cernyj Monach“. In: Wiener Slawistischer Almanach 28
6 Graf, Otto. Das Bromkalium als Heilmittel beleuchtet von Dr. Otto Graf, prakt. Arzte zu Waldheim. Leipzig 1842