Wechselspiel von prächtigen Grabgestaltungen, Patina und Vegetation im Alten Friedhof (Foto: Schnitter, 2009)
Bereits 1795 plante die kurhannoversche Regierung, unter der sich Harburg damals befand, den als unhygienisch empfundenen innerstädtischen Kirchhof durch einen Friedhof außerhalb der Stadtmauern zu ersetzen. Die Wirren der Befreiungskriege verhinderten zwar lange Zeit die Umsetzung dieses Vorhabens, doch mit den Mitteln sogenannter Vergütungsgelder, die 1823 aus Hannover zum Ausgleich für die Zwangseinquartierung französischer Truppen gezahlt wurden, konnte ein geeignetes Grundstück erworben werden. 1826 erhielt der Ingenieurmajor von Wedekind die Aufsicht über die Anlage des neuen Begräbnisplatzes. Im März 1828 begonnen, konnte der „Neue Kirchhof“ bereits am 20. August des Jahres eingeweiht werden. [1]
Die Harburger Kirchenkommission betonte, dass „der neue Kirchhof auf einem erhöhten Puncte vor der Stadt“ liege“, von dem man über Harburg in das Elbtal nach Hamburg und Altona blicken könne, und dass, „dieser neue Stadtkirchhof Gelegenheit darbieten werde, um den hiesigen Bewohnern in Stunden der Erholung zum angenehmen Aufenthalte zu werden […]“: [2]
Wandgrabmal Brinckman
(Foto: Schnitter, 2008)
Da Harburg Mitte des 19. Jahrhunderts als Industriestadt einen enormen Bevölkerungszuwachs verzeichnete, wurden in den 1840er, 1860er und 1890er Jahren weitere Grundstücke für Erweiterungen des Friedhofs angekauft. Kirchenjurat Riechelmann erläuterte 1848, dass „an dem Kirchhofe wegen des Höhenpunctes dieses Landes noch eine besondere Verschönerung erreicht wird – vielleicht der schönste Aussichtspunkt bei Harburg wird dadurch gewonnen“. [3] Heute befindet sich an dieser Stelle ein repräsentatives Kriegerehrenmal. Die Erweiterungsflächen wurden von weiteren Terrassen gebildet, die sich südlich des alten Teils über schräg in die Böschungen gebaute Wege erschlossen, ein besonderes Merkmal dieses Friedhofs. Einige Böschungen wurden seit 1890 steiler ausgebildet, um mit repräsentativen Stützmauern versehen, Platz für zum Teil sehr aufwändige Wandgrabanlagen wohlhabender Bürgerfamilien. [4] Diese heute den Friedhof prägenden Grabstellen sorgten bei Zeitgenossen allerdings für Unmut, 1906 sprach man gar von einer „Ausschlachtung“ des Geländes. [5]
Da sich jedoch bereits abzeichnete, dass auch dieser Friedhof bald zu klein werden würde, wurde 1892 ein größerer, der sogenannte „Neue Friedhof“ weiter außerhalb des Stadtzentrums eröffnet. Damit setzte ein langsamer Rückbau des nunmehr „Alten Friedhofs“ ein: Der im selben Jahr erfolgte Bau der Johanniskirche reduzierte den nördlichen Haupteingangsbereich beträchtlich. Weit mehr noch als durch den Bau eines 45 m langen Röhrenbunkers im Jahre 1940 [6] erfuhr der Friedhof 1945 durch Bombetreffer schwere Schädigungen.
Da auch die alte Johanniskirche den Bomben zum Opfer fiel, wurden im Bereich des Haupteinganges zum Friedhof im Frühjahr 1946 der Bau einer hölzernen Notkirche [7] und gärtnerische Umgestaltungen vorgenommen. [8] Zwar wurden noch bis in die 1960er Jahre Bestattungen vorgenommen, [9] doch sollte der Parkcharakter der Anlage – etwa durch die Schaffung eines neuen Südeinganges – schrittweise verstärkt werden. [10] Dieser Übergang jedoch gestaltete sich schwierig, klagte man doch immer wieder über die Verwahrlosung der Anlage.
Und nachdem der Friedhof 1969 für Neubelegungen gesperrt worden war, drohte in den 1980er Jahren die im Rahmen der geplanten Erweiterung des sogenannten „City-Rings“ den ältesten Friedhofsteil mit einer Verkehrstrasse zu zerschneiden. Im Vorwege dieser nie realisierten Straßenerweiterung wurden im Bereich der geplanten Trasse zahlreiche Grabstellen versetzt oder abgeräumt. Um weitere Schädigungen zu unterbinden, stellte die Hamburger Kulturbehörde den Friedhof im Dezember 1984 unter Denkmalschutz.
Fries am Grabmal Steinle
(Foto: Schnitter, 2009)
Seitdem hat der Friedhof nur wenige gravierende Veränderungen erfahren: Die Errichtung einer Kindertagesstätte und der Bau eines Spielplatzes in den 1990er Jahren gehören dazu und haben zu größeren Flächenverlusten geführt. Die Errichtung des Kunstprojektes „Niemandes Land“ im Bereich des alten Haupteingangs führte in der Bevölkerung stellenweise zu Irritationen. In den letzten Jahrzehnten litt die Anlage unter Verbuschung und dem langsamen Verfall von Grabstätten bis hin zu partieller Vermüllung und Belastungen durch Drogenkonsumenten. Dass der „Alte Friedhof“ dennoch als wichtige Grünfläche wahrgenommen wird, belegt die Gründung des „Verein(s) Alter Friedhof“ im Jahre 2006. Als Gelenk zwischen dem Sanierungsgebiet der historischen Arbeitersiedlung „Phoenix-Viertel“, dem Harburger Rathaus und dem Stadtpark „Außenmühle“ und durch seine interessante Terrassierung verfügt der Alte Friedhof über ein großes Freiraumpotential.
Der identitätsstiftende Wert des Alten Friedhofs resultiert aus Harburgs Stadtgeschichte: Das in der industriellen Expansion begründete Bevölkerungswachstum war mit einer weitgehend ungeregelten Stadtentwicklung einher gegangen [11] und hatte Harburg seines historischen Zentrums beraubt. Die weitreichenden Zerstörungen des zweiten Weltkrieges und des Wiederaufbaus taten ein Übriges, um historische Strukturen zu beseitigen. Der „Alte Friedhof“ bewahrt mit den Grabanlagen der politischen und wirtschaftlichen Oberschicht – Harburger Bürgermeister, Fabrikbesitzer und Künstler – einen authentischen Ausschnitt des Harburg prägenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts.
In den Jahren 2011 und 2012 sind die Eingangsbereiche Bremer Straße/Knoopstraße und Maretstraße durch die Landschaftsarchitekten Breimann & Bruun mit repräsentativen Treppenanlagen, Rasenterrassierungen und stahlgefassten Wegen in Sandsteinpflaster neugestaltet worden.
[1] Barbara Leisner, Die Anlage des Alten Friedhofs in Harburg, in: Helms-Museum und Heimatverein Harburg Stadt und Land e.V. (Hg.), Harburger Jahrbuch XVI, Hamburg 1986, S. 139-152, hier S. 140.
[2] StA Hbg, Harburg 4, IX A 7, 4 (22.3.1831) [Zitiert nach Leisner, Anlage des Alter Friedhofs, S. 143:
[3] Ebenda
[4] Ellen Thormann, Der Alte Friedhof und seine Grabmäler, in: Helms-Museum und Heimatverein Harburg Stadt und Land e.V. (Hg.), Harburger Jahrbuch XVI, Hamburg 1986, S. 153-180, hier S. 176.
[5] Ephoralarchiv Harburg, Rep. 154, 590 (18.06. 1906) [Zitiert nach Leisner, Anlage des Alter Friedhofes , S. 148].
[6] Lageplan vom 20. Januar 1940 [Bauordnungsamt: Maretstr,/ Friedhofsböschung, 2×1 Rö.B. VIII/ 82/ 18, Archiv BSU, Hamburg].
[7] Schreiben des Ev.-lutherischen Kirchenverbandes Harburg an die Liegenschaftsverwaltung Hamburg vom 16.02.1946 und vom 24.03. 1947 (Archiv Bezirksamt Harburg, Abteilung Stadtgrün)
[8] Schreiben des Garten- und Friedhofsamtes an den evangelisch-lutherischen Gesamtverband vom 18.11.1955 (Archiv Bezirksamt Harburg, Abteilung Stadtgrün).
[9] Schreiben an Garten- und Friedhofsamt Harburg vom 13.04.1967 (Archiv Bezirksamt Harburg, Abteilung Stadtgrün)
[10] Harburger Anzeigen und Nachrichten vom 23.11.1956 und vom 06.11.1965.
[11] Dittmar Machule, 100 Jahre Städtebau in Harburg. Stadtplanung und Wohnungsbau zwischen 1845 und 1945. In: Jürgen Ellermeyer, Klaus Richter, Dirk Stegmann (Hg.), Harburg. Von der Burg zur Industriestadt. Beiträge zur Geschichte Harburgs 1288-1938. Hamburg 1988, S. 264-294, hier S. 281.