Gartenpädagogik & Weltveredlung: Der schwedische Agitator Olof Eneroth

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Aus der Rezension von Hannes Rother in der Fachzeitschrift ‚Die Gartenkunst‚, 23. Jg (2011), Heft 2, S. 353-355:

»Man möchte trotz – oder vielleicht auch gerade wegen – des nur vermeintlich exotischen Themas von einem großen Wurf sprechen. Denn die Stärke der Arbeit liegt zum einen in der Konzentration auf ganz bestimmte, ausgewählte thematische Schwerpunkte in Eneroths Schaffen, die auf der anderen Seite höchst interessant und tiefgründig in den Kontext ihrer Zeit gestellt werden, den Leser schnell gefangen nehmen und Zusammenhänge weit über den eigentlichen Forschungsgegenstand hinaus erhellen.

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Dieser wird dem Leser als „Vater der schwedischen Pomologie“, Gartendirektor der staatlichen Eisenbahn, selbständiger Gartenplaner, Doktor der Philosophie, Dichter und Verfasser von Beiträgen zu Gartenkultur, Kunst und Pädagogik vorgestellt, der in regem Austausch mit geistigen und künstlerischen Größen des 19. Jahrhunderts in seinem Land stand.

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Im Rahmen der großen Bandbreite von Eneroths Wirken sieht Joachim Schnitter den thematischen Schwerpunkt seiner Arbeit darin, „Eneroths Gedankenwelt darzulegen und seine Gartenpädagogik in ihrer Beziehung zu verwandten Konzepten zu erklären“. Dabei bezeichnet Schnitter nach eigener Definition als Gartenpädagogik „diejenige Erziehungsidee, welcher die Gartenkultur ein wesentlicher Bestandteil ist und welche Gartenkultur und Erziehung so zusammendenkt, dass sie einander wegen einer angenommenen inneren Verwandtschaft fördern“. So verknüpft der Autor am Beispiel von Eneroths Wirken die Gartenkunst mit dem großen Ziel einer humanistischen Menschenbildung und geht damit auch selbst deutlich über das heute landläufige Verständnis von theoretischer Durchdringung und praktischer Umsetzung gartenpädagogischer Ideen hinaus.

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Zunächst werden Eneroths eigene gartenpädagogische Veröffentlichungen ausgewertet und zueinander in Beziehung gesetzt, um auf dieser Basis zu gültigen Aussagen im Werk zu gelangen.

Auf einer zweiten Ebene setzt Schnitter Eneroths Werk ins Verhältnis zu früheren (garten-)pädagogischen Konzepten. Bei deren gut begründeter Auswahl gelingt dem Autor ein beeindruckender Querschnitt. Er beginnt aus gutem Grund bei dem großen, heute leider zu Unrecht kaum noch rezipierten Amos Comenius (1592-1670), der in der menschlichen Kultur einen Weg zur Vervollkommnung der Welt sah, der sich früh für Schulgärten einsetzte und über den noch Herder 1795 in seinen „Briefen zur Beförderung der Humanität“ sagt: „Es schweben (…) immerdar einige Schwäne über dem Fluß der Vergessenheit; einige würdige Namen erhaschen sie, ehe diese hineinsinken, und schwingen sich mit ihnen zum Tempel des Andenkens empor.“.

Weitere in die Betrachtung einbezogene (garten-)pädagogische Meilensteine sind die Modelle des Kulturpessimisten Jean-Jacques Rousseau (1712-1778), des Dessauer Philanthropen und Reformpädagogen Johann Bernhard Basedow (1724-1790), der diesem nachfolgenden rationalen Revisoren (Johann Heinrich Campe (1746-1818) und andere) und deren Gegenüber, des empfindsamen Sozialutopisten Johann Jakob Mochel (1748-1778), des Reformpädagogen, Psychologen und Begründers der Kindergartenidee Friedrich Fröbel (1782-1852) und des Naturforschers und Anhängers einer praktischen Erziehung Adolf Diesterweg (1790-1866). Schnitter arbeitet pointiert die Kernthesen der jeweiligen Konzepte heraus, stellt Eneroths Thesen daneben und alle zusammen zueinander ins Verhältnis, wobei Kontinuitäten einerseits und zeitweilige Erscheinungen andererseits deutlich hervortreten. – Ein Gewinn für jeden, dem Gartenpädagogik am Herzen liegt!

Auf einer dritten Ebene nähert sich der Autor Eneroths Werk, indem er […] Eneroths Stellung zu anderen schwedischen Naturphilosophen, Reformern und Pädagogen seiner Zeit untersucht. So widmet sich ein Kapitel der Rezeption der naturphilosophischen Ansichten des deutschen Idealisten Friedrich Wilhelm Joseph Schelling (1775-1854) durch Eneroth, den Schnitter hinsichtlich der Idee zur Kultivierung des Menschen in einer gewissen Nachfolge Schellings sieht – allerdings erweitert um den Begriff der Gartenkultur. Weitere Untersuchungen befassen sich mit der „Verschönerung der Natur als Gradmesser für ästhetische Bildung“ und mit Aspekten der Pomologie.

Die nachfolgenden Kapitel zeigen das widersprüchliche Verhältnis Eneroths zu seinem Zeitgenossen und Kollegen, dem schwedischen Gartenautor und -planer Daniel Müller (1812-1857), auf und ordnen das Werk Eneroths in den Kanon der damaligen Gartenliteratur ein, wofür als Beispiele u.a. Gustav Meyer, Eduard Petzold, Hermann Jäger, Ferdinand Jühlke und Eduard Lucas herangezogen wurden.

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Schließlich wird Eneroths Rolle als Wegbereiter der schwedischen Schulgartenbewegung und seine Stellung zwischen den maßgeblichen reformpädagogischen Protagonisten thematisiert und mit entsprechenden Plandarstellungen auch großzügig illustriert.

Eine vierte Ebene dient schlaglichtartigen Betrachtungen von Eneroths familiärer Herkunft, seiner Spiegelung in Zeugnissen befreundeter Künstler sowie in Selbstzeugnissen und schließlich seiner Selbstdarstellung. Vor diesem Hintergrund wird der Antrieb deutlich, aus dem heraus Olof Eneroth tätig war.

Eneroths Leben war geprägt vom Streben nach künstlerischer Existenz und Anerkennung einerseits sowie dem Wunsch nach Verbreitung der Gartenkultur unter der Bevölkerung andererseits, so dass das Zusammenspiel beider Aspekte für ihn tägliche Erfahrung war. Hinsichtlich seiner gartenpädagogischen Wirkung verstand sich Eneroth durchaus als berechnender Stratege, wie er auch einem Freund mitteilte: „(…) sicher hast Du gemerkt, dass Gartenfragen für mich eigentlich bloß ein Deckmantel sind, ein alter schöner grüner, blumengeschmückter (…) Deckmantel für mein Bedürfnis, an der Erhöhung der Volkserziehung und der Volksunterweisung mitzuwirken. Ich bin, wenn ich das selbst sagen darf, eine „anguis in herba“ in einer gewissen demokratischen Richtung (…)“.

Die Selbsteinschätzung: „anguis in herba“ (etwa: Schlange im Gras) wurde zum Titel des vorliegenden Buches und bildet zugleich den Anhaltspunkt, Eneroth – durchaus zutreffend – als Agitator zu bezeichnen. Damit ist schon angedeutet, dass Eneroth ein Mensch mit ambivalenten, ja widersprüchlichen Eigenschaften war, der sich zum Verwirklichen seiner Vorstellungen verschiedener Mittel bediente. Eneroth selbst hat – anders als z.B. Meyer oder Petzold – seine Gedanken zur Gartenkultur und deren Beitrag zur Versittlichung der Menschheit nie in einem zusammenfassenden Grundsatzwerk niedergelegt, so dass die Forschung heute darauf angewiesen ist, sein Wirken und die diesem zugrunde liegenden Überzeugungen aus einer Vielfalt von Schriften, Briefen, Plänen und Zeugnissen Dritter zu rekonstruieren. Aus diesen geht hervor, dass Olof Eneroth sich zeitlebens intensiv auch mit dem eigenen Ich und der Bedeutung seiner Person beschäftigt hat. So hat er jedoch nachweislich einen Selbstentwurf, ja eine Inszenierung seiner selbst aktiv gestaltet und die Quellenlage bietet heute einen umso geeigneteren Fundus, die Motivation Eneroths zu ergründen und das Zusammenspiel zwischen dem Menschen und seinem Wirken zu studieren – eine seltene Gelegenheit!

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Das vorliegende Buch behandelt einen abgeschlossenen und an eine bestimmte Person gebundenen Themenkomplex in der notwendigen Tiefe. Doch gerade wegen der vielfältigen Anknüpfungsmöglichkeiten zu verwandten Forschungsbereichen bietet es zugleich auch die Grundlage für weitere Untersuchungen.

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Autor und Buch ist zu wünschen, dass diese Arbeit weite Verbreitung erfährt. Über den engeren Gegenstand der Betrachtung hinaus enthält das Buch eine solche Fülle an Anknüpfungspunkten, Querverweisen und Gedankenverbindungen, dass es eine wahre Fundgrube für jeden gartenhistorisch und (garten-)pädagogisch wie überhaupt für jeden kulturell interessierten Leser ist.«

bibliographische Daten:

Joachim Schnitter:
Anguis in herba: Gartenpädagogik und Weltveredlung im Lebenswerk des schwedischen Agitators Olof Eneroth
ISBN 978-3-942109-68-0
380 Seiten, 131 teils farbige Abbildungen, gebunden, Großformat 27x19cm
disserta Verlag, Hamburg, 2011

EUR 89,50

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