Daniel Müllers Grenzgänge in der Gartenkultur

Dieser Fachartikel ist in der Zeitschrift  stadt + grün (Heft 10/2009, S. 17-22) erschienen.

„Wie lieb ich euch, ihr zarten, heitern Wesen!“
Daniel Müllers (1812-1857) Grenzgänge in der deutschen und schwedischen Gartenkultur

In ein „Land der Bären“ sei er hineingeraten, „mitten unter Felsen und Eis“, räsonierte bereits René Descartes als Dauergast des schwedischen Königshauses. [1] Und noch in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts kämpfte manch schwedischer Gärtner mit dem nordischen Klima, um Nutz- und Zierpflanzen aus Kontinentaleuropa im Norden zu akklimatisieren und dem Gartenbau unter der skeptischen Landbevölkerung zum Durchbruch zu verhelfen. [2] Dabei waren sowohl Pflanzenimporte als auch der wissenschaftliche und personelle Austausch mit dem Ausland von entscheidender Bedeutung. [3]

Während im 19. Jahrhundert viele schwedischen Gärtner ihr Wissen durch Bildungsreisen und Arbeitsaufenthalte in Deutschland, England und Holland erweiterten, fanden deutsche Gärtner bisweilen in Schweden eine Anstellung. Unter diesen ragt der Pommersche Gärtner und Gartenautor Daniel Müller (Abb.1) als eine der erfolgreichsten und interessantesten Persönlichkeiten hervor. Seine Bedeutung für die schwedische Gartenkultur seiner Zeit ist in Schweden unumstritten, [4] über sein Leben und sein Wirken in Deutschland ist dagegen kaum etwas bekannt. Müllers Biografie und sein gedankenreiches Werk sind Gegenstand der folgenden Darstellung.

Lehrzeit in Stralsund und Greifswald

Müllers Großvater war ein Leutnant „Möller“ aus Schonen in Schweden gewesen, der sich in Schwedisch-Pommern niedergelassen hatte. [5] Müllers Vater, der eine erfolgreiche Handelsgärtnerei betrieb,[6] änderte den Familiennamen in „Müller“. [7] Joachim Daniel Andreas Müller wurde 1812 in Stralsund geboren, und noch in der Schulzeit „begannen die Blumen und die Beschäftigung mit denselben eine … überwiegende Gewalt über das Gemüth unseres Freundes auszuüben“. Unter diesem Eindruck übte er sich in der Poesie und trat nach dem Besuch des Gymnasiums mit 18 Jahren eine Gärtnerlehre bei seinem Vater an. [8]

Im Botanischen Garten Greifswald traf er auf Professor Christian Friedrich Hornschuch (1793-1850), der der sogenannten „romantischen Biologie“ anhing. Nach dieser im 19. Jahrhundert verbreiteten Auffassung glaubte man, alle Pflanzen gemäß einer „inneren Ordnung“ in einem harmonischen und natürlichen System zueinander in Beziehung setzen zu können. Hornschuch hatte mit den berühmten Botanikern Nees von Esenbeck, Link u. a. in Berlin gearbeitet und während einer botanischen Reise nach Schweden den schwedischen Kollegen Elias Fries kennen gelernt. Neben seiner eigenen Forschung übersetzte er schwedische botanische Schriften (darunter mehrfach Elias Fries) und gab ab 1845 das „Archiv skandinavischer Beiträge zur Naturgeschichte” heraus. [9]

Hornschuch übertrug dem jungen Daniel Müller die gärtnerische Leitung des Botanischen Gartens und empfahl ihm, sich in die Pflanzenmorphologie zu vertiefen. [10] Zwischen 1836 und dem Frühjahr 1838 hörte Müller daher die Vorlesungen über Naturgeschichte und Botanik an der Greifswalder Universität und befreundete sich dabei mit dem nur drei Jahre jüngeren Kommilitonen Ferdinand Jühlke (1815-1893) (Abb. 2). Dieser resümierte:

„Diese Periode führte uns enger zusammen. Wir bearbeiteten wöchentlich gegenseitige Fragen, die M. für mich und die ich für ihn stellte. Diese Arbeiten kamen entweder hier oder in Greifswalde vor einem Kreis von Freunden zur kritischen Erörterung und gedenke ich noch oft und gerne dieser frischen Zeit um so mehr, als sie nicht ohne Einfluß auf unsern beiderseitigen Lebensplan geblieben.“ [11]

Im Botanischen Garten Uppsala und als Vereinsgärtner in Stockholm

Auf Hornschuchs Empfehlung erhielt Müller 1838 das Angebot, unter Prof. Göran Wahlenberg den berühmten Botanischen Garten Uppsala zu betreuen (Abb. 3). [12] Doch bevor er 1839 die Stelle antrat, heiratete er die Lehrertochter Clarissa Louise Nernst (1808–1878) aus Rügen [13] und bereiste Deutschland, Dänemark und Holland zu Studienzwecken. [14]

Es kam jedoch bald zu Spannungen zwischen Professor Wahlenberg und seinem ambitionierten Gärtner. Zwar lobte Wahlenberg Müllers Einsatz um die Topfpflanzenkultur im Botanischen Garten, [15] verbat sich jedoch dessen Äußerungen in botanischen Fragen:

„… in der Botanik ist Daniel Müllers Name gänzlich unbekannt, und würden wir seine Meinungsäußerung nicht einmal unterordnen, sondern als ungebührlich ganz fortlassen. Eine halbe oder ungenügende Wissenschaft ist im botanischen Garten ebenso gefährlich als anderswo.” [16]

Da Müller außerdem durch die „Unwissenheit eines zweiten Gärtners … wesentlich in der Ausführung seiner Pläne zur Hebung des Gartens gehindert“ worden sei, [17] gab er nach nur zwei Jahren seine Stellung auf und folgte einem Ruf in den noch jungen ‚Schwedischen Gartenverein’ als Lehrer der gerade eröffneten Gärtnerschule und als Gärtnermeister des Vereinsgartens. Das Gelände in der ‚Drottninggatan’ im Zentrum von Stockholm ist heute der Garten des ‚City Conference Center’ (Abb. 4).

Nach Müllers Zeichnungen entstanden die vereinseigenen Gewächshäuser, wurden Ausstellungen durchgeführt und Pflanzenversuche angestellt. Die Gärtnerschule gewann unter seiner Leitung hohes Ansehen. [18] Im Auftrag und mit finanzieller Unterstützung des ‚Schwedischen Gartenvereins’ erkundete Müller im Sommer 1844 Neuerungen auf dem Gebiet der Gartenkultur in Norddeutschland. [19] Auf Kosten des schwedischen Königshauses unternahm er 1846 eine Studienreise nach St. Petersburg [20] und eine weitere zum Naturforschertreffen nach Kopenhagen. [21]

Als Vorsitzender des „Gartenbauverein[s] für Neuvorpommern und Rügen“ schlug Jühlke seinen Freund Müller 1848 als Ehrenmitglied vor. [22] Jühlke schätzte Müllers Tüchtigkeit [23] und seinen Einsatz für die schwedische Gartenkultur. [24]

1848 gehörte Müller zu den Gründern von „Stockholms Trädgårdsmästareförening“ [Stockholms Gärtnermeisterverein] und erhielt den Vorsitz im bald in „Stockholms Gartnersällskap“ umbenannten Verein, der Vorträge zum Gartenbau, Exkursionen und Pflanzenschauen organisierte [25] und sich hauptsächlich an Berufsgärtner wandte. Heute ist der Verein Schwedens ältester Gartenverein. [26] 1849 machte sich Müller auf Reimersholm in Stockholm mit der Handelsgärtnerei „Charlottenburgs handelsträdgård“– der ersten ihrer Art in Schweden – selbständig. [27]

Nach Wahlenbergs Tod wurde Müller 1851 vom neuen Direktor Elias Fries (1794-1878) zurück nach Uppsala gerufen. Fries veranlasste Müllers Berufung zum botanischen Gärtner im königlichen Staatsdienst. [28] Unter Müllers Händen wuchs die Anzahl der kultivierten Pflanzenarten auf etwa 8.000-9.000 an. [29] Die alte Pflanzenaufstellung im Garten passte er dem Fries’schen System für die Verwandtschaftsbeziehungen der Pflanzen an. [30]

Die Bestimmung der Pflanze

Müllers theoretische Arbeiten geben einen seltenen Einblick in die Gedankenwelt eines Gärtners in dieser Zeit.

Seine auf Schwedisch verfassten Vorlesungen über „Das Verhältnis der Kunst zur Natur oder der gegenwärtige Standpunkt der Gartenkunst unter seinen Geschwistern“ (1847) sowie über „Die Natur als Künstlerin“ (1846) [31] lassen erkennen, dass zu seiner Lektüre neben John Milton und Matthias Claudius auch gartentheoretische und ästhetische Werke (Henry Home, Immanuel Kant, Friedrich Schiller, Hirschfeld und Sckell) zählten.

So trat er 1855 in einer Abhandlung zur „Bestimmung der Pflanze“ der verbreiteten Auffassung entgegen, die Pflanzen seien allein zum Nutzen des Menschen geschaffen:

„Auch die Pflanzen sollen, wenn auch auf eine uns unbekannte Weise, ihr Leben genießen, und dieses scheint mir ein Hauptzweck ihres Daseins zu sein. Wenn sie dann gleichzeitig die atmosphärische Luft in dem Zustand erhalten, dass Thiere fortfahren können zu athmen und zu leben, wenn sie den Thieren und Menschen zur Nahrung dienen, wenn sie der Industrie nutzen, wenn sie die Erde schmücken und den Menschen mit ihrer Schönheit erfreuen, wenn sie zu uns reden von der Weisheit des Schöpfers und seinem unendlichen Ideen-Reichthum, wenn sie ein zusammenhängendes Reich bilden, welches der Systematiker zu einem schönen Ganzen zusammen zu stellen weiß und auch in dieser Hinsicht die bewundernswürdige Ordnung in der Natur uns entgegentritt, so erfüllen die Pflanzen, wie alles in der Natur, gleichzeitig mehre Zwecke. Aber ein Hauptzweck ihrer Erschaffung sind sie selbst“. [32]

Bemüht, einem anthropozentrischen Naturbegriff zu entgehen, konstatierte Müller nicht nur ein vom Menschen unabhängiges Existenzrecht aller Lebewesen, sondern stellte auch den Begriff des pflanzlichen Individuums in Frage:

„Aber nimmt man einen Zweig von einem altgewordenem Baume, und wenn er von der Art ist, die sich leicht bewurzelt, wendet ihn als Steckling an oder impft ihn auf eine gleichartige jüngere Wurzel: dann ist mit den Ursachen auch das Alter gehoben und das Individuum ist wieder jung und lebensfrisch in einem anderen Baume geworden. Und so lebt das Individuum fort, so lange die Bedingungen seines Lebens existieren und wir es werth halten, dasselbe, auf ungeschlechtlichem Wege, beständig wieder in seiner Jugend darzustellen“. [33]

Seine für einen Gärtner und auch Gartentheoretiker ungewöhnlichen Darstellungen resultierten aus der intensiven Beschäftigung mit der ‚natürlichen Ordnung der Natur’, einer Frage, der er sich ja bereits in seiner Lehrzeit unter Hornschuch gewidmet hatte. [34] Sicher hatte die Tätigkeit unter Wahlenberg und Fries seinen Blick für pflanzensystematische Fragen und damit zusammenhängend das Problem der biologischen Entwicklungsgeschichte geschärft. Am Vorabend der darwinschen Evolutionstheorie konzentrierte sich Müller jedoch weniger auf eine „Idee der Pflanze“ und ihre Entwicklungsprozesse, als auf ethische und metaphysische Fragen, die sich aus der Vorstellung einer Natur, die auch ohne den Menschen auskommen konnte, ergaben:

„Die Geologie z.B. lehrt uns, dass selbst auf unsrer Erde ganze Schöpfungen in vielen Jahrtausenden bestanden haben, bevor der Mensch hier erschien, und folglich waren sie nicht seinetwegen da.“ [35]

Die Idee des Überlebenskampfes überführte Müller in das Gegenbild einer stetigen, für ihn harmonischen Einheit der Natur: „Das Fortbestehen des großen Ganzen ist die friedliche Lösung allen Streites in der Natur“. [36]

Eine innerhalb fester Grenzen verlaufende Entwicklung („keine Pflanze darf aus sich selbst heraustreten und in die Form einer andern übergehen“) akzeptierte Müller. Ja, gerade in der Zielstrebigkeit der Entwicklung – die er zum Beispiel in den Pflanzen zu erkennen meinte, „deren Bestimmung es zu sein scheint uns durch die Schönheit ihrer Blumen und Blätter zu erfreuen“ – machte er „das Wollen einer höheren Weisheit“ aus. [37]

Aus der Überzeugung einer planvollen Weltentwicklung verlieh er auch der Zähmung der Natur eine besondere Bedeutung: Wo sich der Mensch niedergelassen habe, habe die Natur ihre wilde Schönheit verloren. Tausendjährige Wälder seien verwüstet, die bunte Vegetationsdecke zerstört worden und es habe eines dauernden Kampfes mit den wilden Tieren bedurft, die angebauten Pflanzenkulturen zu schützen. Die solcherart verheerte Natur müsse sich nun unter der Pflege des Menschen „ in einer veredelten, höhern Schönheit darstellen, welche überall von dem denkenden, ordnenden Menschen zeugt“. [38]

In der Frage, ob „jede Veränderung durch die Kultur eine unnatürliche Verunstaltung“ sei, wie es viele Botaniker sähen, oder im Gegenteil „eine Veredlung“, wie es die Gärtner annähmen, neigte Müller zur Position der Gärtner. Seine Begründung lag nicht nur in einer Wertschätzung ästhetischer Pflanzenschöpfungen wie der Rose, sondern in der Gewissheit, dass die Kultivierung nicht unnatürlich sei: „Die Veränderungen sind in der Natur durch die Natur und folglich naturgemäß entstanden“. [39]

Südlich des Botanischen Gartens Uppsala legte er im Auftrag der ‚Ökonomischen Gesellschaft’ ein zwei Hektar großes Gelände als Baumschule mit Parkbäumen und Obstgehölzen an – wofür er von der Gesellschaft mit einer Goldmedaille ausgezeichnet wurde [40] –  um dort die Teilnehmer des Lehrerseminars in der Gartenkultur unterweisen lassen zu können. [41] Die Lehrer sollten ihre Kenntnisse in die Volksschulen tragen, um eine sittliche und physische Gesundung der Bevölkerung zu bewirken.

Der Gärtner und die Dichterinnen

Uppsala war damals eine Stadt von etwa 8000 Einwohnern und – vielleicht noch mehr als Stockholm – intellektuelles Zentrum Schwedens. Müllers zählten zwar nicht direkt zum Salonleben der Stadt, [42] hatten aber gute Freunde in diesen Kreisen. Neben Elias Fries waren dies die Schriftstellerinnen Fredrika Bremer (1801-1865) (Abb. 5), Thekla Knös (1815-1880) und Lotten von Kraemer (1828-1912).

1855 nahmen Müllers für kurze Zeit Thekla Knös bei sich auf, die kurz zuvor ihre Mutter verloren hatte. Zusammen hatten „die kleinen Knöser“ einen viel besuchten Salon unterhalten, zu dessen Stammgästen unter anderem die berühmten Dichter Geijer und Atterbom gezählt hatten. [43] Nun wohnte Thekla für kurze Zeit in Müllers Wohnhaus im Botanischen Garten, und besuchte mit Fredrika Bremer Professor Fries Vorlesungen. Mit den Müllers brachte Knös 1855 die schwedischen Gedichtsammlung „Maiglöckchen. Ein Sagenkranz“ und als Gemeinschaftswerk mit Müllers und Bremer das „Vierblättrige Kleeblatt“ (Abb. 6), ebenfalls eine schwedische Gedichtsammlung, heraus.

Bremer hat in einem ihrer bekanntesten Romane die Salonatmosphäre dieser Zeit festgehalten und zum Teil überdeutlich ihre Zeitgenossen darin porträtiert. Elias Fries tritt als liebenswerter „Professor Methodius“ auf, der unermüdlich an der Fort- und Umschreibung seines „Systems“ arbeitet und möglicherweise ist in der Beschreibung des Pfarrers und seiner Frau eine literarische Bearbeitung der Müllers aufgehoben. [44]

Als Pendant zu seinen wissenschaftlichen Erörterungen geben Müllers Gedichtsammlungen einen Einblick in seine Gedankenwelt. Viele Titel kreisen um die Pflanzen, andere behandeln die Liebe zu seiner Frau, aber auch Tod, Trennung und Heimweh. Diese Gedichte waren sicher für einen weiten Bekanntenkreis herausgegeben worden, vielleicht noch mehr für die Autoren selbst. Ihr Wert liegt daher mehr in ihrer Eigenschaft als Zeichen der Liebe und Freundschaft der Verfasser, denn als große Literatur.

Das gartentheoretische Standardwerk

Wirklich bekannt aber wurde Müller durch seine Veröffentlichungen zur Gartenkunst. Seine Gartenidee schlug sich in dickbändigen Werken sowie zahlreichen Artikeln in Fachzeitschriften nieder. Auf vielen praktischen Gebieten der Gartenkultur meldete sich Müller zu Wort: dem Obst- und Blumenbau, der Baumzucht, Forstwirtschaft, Botanik, Gewächshaus- und Innenraumvegetation, nicht zuletzt auch in Gartenbau, Gartenkunst und Landesverschönerung (Abb. 7).

Müllers dreibändiges Werk „Trädgårdsskötsel“ [Gartenpflege], das 1848 mit dem Untertitel „Anweisung, Gärten anzulegen und zu pflegen“ erschien und 1858-1863, sowie 1886-1888 wiederaufgelegt wurde, gilt als einflussreichstes Gartenbuch Schwedens in seiner Zeit! [45] In seiner Zielsetzung und Bedeutung war es Gustav Meyers ‚Lehrbuch der schönen Gartenkunst’ vergleichbar, erschien jedoch bereits 13 Jahre früher. Sein Hauptwerk legte Müller enzyklopädisch an, systematisch geordnet nach Abteilungen, Kapiteln und Paragraphen. Wahrscheinlich war das Werk als Lehrbuch für die Gärtnerschüler konzipiert, die Müller im Schwedischen Gartenverein unterrichtete. [46]

Im ersten Band der „Trädgårdsskötsel“ behandelte Müller in verschiedenen Kapiteln allgemeine Kompositionsregeln sowie einzelne Gestaltungselemente wie Blumen, Wege, Rasenflächen, Plätze und Wasser. Der zweite Teil des Werks befasste sich mit der praktischen Umsetzung, der dritte ergänzte Listen zur Pflanzenverwendung. Mit vielen Abbildungen versehen informierte das Werk über die Anlage von den in Schweden so wichtigen Wintergärten, den obligatorischen Teppichbeeten, Blumenarrangements und der Gestaltung kleinerer Hausgärten mit einer für die Mitte des 19. Jahrhunderts charakteristischen Wegeführung.

Eine Besonderheit zeichnete Müller dabei aus: Er unterschied nicht nur den „französischen“ geometrischen Stil vom „englischen“ landschaftlichen Stil’, sondern behandelte auch Anlagen im so genannten ‚deutschen Stil’. Darunter verstand Müller landschaftliche Gärten, die spiegelsymmetrisch zu einer Mittelachse konzipiert waren. Es war dies eine ganz unübliche Bezeichnung, die neben Müller nur wenige schwedische Gartenautoren verwendeten. In Deutschland war der Terminus wohl eher unbekannt, obwohl die Forderung nach einem eigenen deutschen Stil schon von Hirschfeld erhoben worden war.

Von anderen schwedischen Gartenautoren wurde der Begriff zwar kritisiert, er setzte sich jedoch als allgemeine Bezeichnung für landschaftliche Gartenkunst des 19. Jahrhunderts in Schweden soweit durch, dass er bis vor wenigen Jahrzehnten noch gebräuchlich war. Freilich in einer abwertenden Konnotation, denn weder war ‚deutsch’ in Schweden seit dem zweiten Weltkrieg ein Gütesiegel, noch galt dies für die als Teppichgärtnerei und Brezelwegekunst verpönten Gärten des Biedermeier.

Müllers Lehrbuch wurde noch bis wenigstens 1905 in der Ausbildung der Gärtnermeister im ‚Schwedischen Gartenverein’ eingesetzt, ein schlagender Beleg für seine Jahrzehnte währende Bedeutung. [47] Er selbst hatte mit seinen Verbindungen und fachlichem Können Aussicht auf eine glänzende Karriere. Was allein fehlte war der Nachweis seiner praktischen gartenkünstlerischen Kompetenz.

Die Gelegenheit dazu ergab sich mit einem Auftrag einer patriotischen Gesellschaft in Visby mit dem eigenwilligen Namen ’Die Freunde des Badens’, einen botanischen Garten anzulegen (Abb. 8). Auch diese Anlage besteht, wenngleich in veränderter Form, bis heute. [48]

Es war eine der letzten Aufgaben Müllers. 1857 wurde Uppsala von einer Choleraepidemie heimgesucht. Allein von den Mitarbeitern des Botanischen Gartens verstarben zwölf Personen. Fries kam davon, Müller nicht. Sein Grab befindet sich auf dem alten Friedhof in Uppsala. Das Schicksal seiner Familie ist unbekannt, sein Grabstein wurde von „Freunden der Gartenkultur“ aufgestellt (Abb. 9).

Ein klarer Kopf?

Wie unterschiedlich Müllers Wirken beurteilt wurde, davon legen zwei Nekrologe Zeugnis ab, die kurz nach seinem Hinscheiden von Berufskollegen verfasst wurden. Der schwedische Gartenautor Olof Eneroth (1825-81) (Abb. 10) verfasste 1858 einen doppelbödigen Aufsatz für die Zeitschrift des „Schwedischen Gartenverein(s)“. Zwar pries Eneroth den Kollegen als liebenswert, fleißig und als Mann, der die Gärtnerei mit seiner Seele ausgeübt habe. Er beschrieb Müller als „Autodidakten und den mit dem Spaten in der Hand aufgewachsenen Arbeiter“ und lobte, die gegenwärtige Zeit brauche solche Männer: [49]

„Müller liebte seinen Beruf. Er war seine Lebensaufgabe. Von seinem Garten aus sah er die Welt und diese erklärte sich ihm gerade in und durch Gartenarbeit“.[50]

Doch dem Doktor der Philosophie Eneroth erschien Müller nur als ein Mann der Tat, pflichtbewusst, unermüdlich – und dabei vollständig in seiner Gartenwelt gefangen:

„Müller war ein wissenschaftlicher Instinkt, der nicht zur Selbstbestimmung neigte und daher auch nicht zu vollständiger Macht und Klarheit. Er wurde in einem Garten geboren und wuchs dort auf. Er war Gärtnermeister von Geburt. Irgendein anderer Beweis seiner Gelehrsamkeit als der eines Gärtnermeisters wurde niemals von ihm gefordert“.[51]

Vermutlich spielte auch eine ordentliche Portion Neid in diese Beschreibung eines Mannes hinein, der es in Eneroths Augen beruflich und privat leichter gehabt hatte, und der es wohl noch weiter gebracht hätte, wäre er nicht so unvermittelt aus dem Leben geschieden. Und so betonte Eneroth Müllers „deutschen Fleiß und den warmen Sinn, der die Deutschen so oft auszeichnet“, und damit auch dessen Fremdheit in Schweden. [52]

Wie anders das Bild, welches Jühlke von seinem „geliebten Freunde“ zeichnete, dem er sich „ueber ein viertel Jahrhundert […] in ächter Freundschaft im Lernen, Wirken und Schaffen, eng und fest für dieses Leben verbunden“ gefühlt hatte.:

„Müller war ein philosophisch gebildeter, klarer Kopf und vereinigte mit einer großen Summe von wissenschaftlichen Kenntnissen jenen seltenen praktischen Takt, den wir mit Ueberzeugung als die Basis bezeichnen müssen, auf welcher sich sein fruchtbares Wirken als Gärtner und Schriftsteller für sein zweites Vaterland – Schweden – so erfolgreich aufbaute und zu großen Hoffnungen berechtigte.“ [53]

Eine Uppsalaer Zeitung würdigte ebenfalls „Müller’s große Verdienste um die Schwedische Horticultur im allgemeinen und um den botanischen Garten der Universität Upsala im besonderen“. Sein Hinscheiden sei ein unersetzlicher Verlust nicht allein für den Lehrsitz und dessen Gemeinwesen, denen er unermüdlich seine Kräfte gewidmet hatte, sondern für ganz Schweden, welches in ihm einen für sein Fach höchst seltenen, ausgezeichneten und kundigen Mann verloren habe. [54]

Müllers bis zuletzt tiefe Sehnsucht nach dem Land und den Freunden der Heimat geht aus einem Brief hervor, den er zwei Monate vor seinem Tod an Jühlke schrieb:

„Einmal noch in Deiner Nähe zu leben und zu wirken war auch lange mein sehnlichster Wunsch, auch hoffte ich er sollte einmal in Erfüllung gehen – diese Hoffnung habe ich jetzt aufgegeben. Ich danke aber Gott dafür, danke ihm recht von Herzen dafür, dass er uns zusammenführte, dass er uns zur Freundschaft für einander schuf und uns einander bis dahin erhielt. Die wenigen Jahre unserer ersten Freundschaft sind nicht ohne Einfluß auf unser ganzes Leben geblieben und ich erinnere mich ihrer recht oft mit inniger Freude und Dank. Dir war es vergönnt im Vaterlande zu bleiben; Du weißt es vielleicht nicht was für ein Wohllaut im Worte Vaterland liegt, denn Du hast dasselbe nie für immer verlassen. Ich – – o ja ich habe meine neue Heimath lieb gewonnen, ich bin hier geliebt und geachtet über Verdienst und Würde, aber dennoch komme ich mir oft fremd vor. Die Natur ist hier schön, der kurze Frühling und Sommer eine wahre Festzeit, aber es fehlt dem Frühling jene Milde, es fehlt der Luft das weiche anschmiegende, was sie daheim so lieblich macht. Ich finde die schwedische Sprache kurz, klar und schön, aber sie macht immer erst den Umweg durch den Kopf, bevor sie mir in’s Herz dringt. Doch ich will nicht ungerecht sein, sondern dankbar, recht von Herzen dankbar“.

Müller verstand sich selbst – bei aller Geschäftstüchtigkeit – als „Kultivateur“ an der Welt und verband dies mit einem sympathischen Gottvertrauen. So führte er in dem Gedicht „An meine Blumen“ aus:

„Ihr tausend kleine, liebliche Gestalten,
Die täglich sich zu neuem Reiz’ entfalten,
Wie lieb ich euch, ihr zarten, heitern Wesen!
Wie mag ich gern in euren Zügen lesen!

[…]

Im kindlichen Vertraun blickt ihr nach Oben
Zu dem, der euch vom Staub’ zum Licht’ erhoben;
Und sendet er den Sturm, dass er euch knicke,
So lächelt Hoffnung noch in eurem Blicke.“ [55]

 

[1] Weischedel, Wilhelm, 34 große Philosophen in Alltag und Denken. 16. Auflage, München 1990, S. 141.

[2] Vgl. Schnitter, Joachim, Anguis in Herba: Gartenkultur und die Veredlung der Welt. Das Lebenswerk des schwedischen Agitators Olof Eneroth (1825-1881), unveröffentlichte Dissertation an der Universität der Künste, Berlin 2009.

[3] Vgl. Schnitter, Joachim, Svenska Trädgårdsföreningen 1832-1911. Der ‚Schwedische Gartenverein’ in seiner Beziehung zur deutschen Gartenkultur, in: Die Gartenkunst 1 (2001), S. 34-52.

[4] Nolin, Catharina, Till stadsboernas nytta och förlustade, Stockholm 1999.

[5] Zwischen 1648 und 1815 regierte Schweden in Pommern nördlich der Peene.

[6] Jühlke: Daniel Müller. Nekrolog. In: Hamburger Garten- und Blumenzeitung. 13. Jahrgang. Hamburg 1857, S. 566-570, hier S. 567.

[7] Franzén, Olle: Joachim Daniel Andreas Müller. In: Svenskt Biografiskt Lexikon, Band 26, Stockholm 1987-1989,  S. 108-111, hier S. 109.

[8] Jühlke: Daniel Müller, S. 567.

[9] Mauritz Dittrich: Christian Friedrich Hornschuch (1793 bis 1850) als Botaniker (Ein Beitrag zu seiner Biographie). In: Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald: Festschrift zur 500-Jahrfeier der Universität Greifswald. Band II. Greifswald 1956, S. 540-547. Für den Hinweis auf diese Schrift danke ich Angela Pfennig.

[10] Jühlke, Daniel Müller, S. 567.

[11]:Jühlke, Daniel Müller, S. 566f.

[12] Hornschuch, Christian Friedrich, Beskrifning öfver Undervisnings-anstalten för Trädgårdsmästare vid Botaniska Trädgården i Greifswald, in: Svenska Trädgårdsföreningens Årsskrift (1840), S. 68-72, hier S. 31.

[13] Franzén, Daniel Müller, S. 109.

[14] Hornschuch,  Botaniska Trädgården i Greifswald, S. 31.

[15] Wahlenberg: Einige Erläuterungen über die neuern und neuesten Verbesserungen im botanischen Garten zu Upsala. Von Herrn Prof. G. Wahlenberg, Director des botanischen Gartens zu Upsala. In: Neue allgemeine deutsche Garten- und Blumenzeitung (6) 1850, S. 148-162, hier S. 154.

[16] ebenda S. 157.

[17] Jühlke, Daniel Müller, S. 568.

[18] Franzén, Daniel Müller, S. 109.

[19] Müller, Daniel, Anteckningar under en resa i norra Tyskland sommaren 1844, till inhemtande af Trädgårds-odlingens framsteg, af Dan. Müller. In: Svenska Trädgårdsföreningens Årsskrivft 1845, S. 128-141.

[20] Svenska Trädgårdsföreningens Årsskrivft 1847, S. 91-119].

[21] Müller, Daniel, Beobachtungen während einer Reise nach Kopenhagen im Juli 1847.Mitgetheilt von Herrn Daniel Müller, Gärtner am Gartenbau-Verein zu Stockholm. In: Neue allgemeine deutsche Garten- und Blumenzeitung. Vierter Band. Hamburg 1848, S. 323-328.

[22] Vorstand des Gartenbau-Vereins für Neuvorpommern und Rügen, Dritter Jahresbericht, 1848, S. 4f.

[23] ebenda, S. 9.

[24] Jühlke, Daniel Müller, S. 568.

[25] A.P. Andersson: Stockholms Gartnersällskap. Anförande vid sällskapets 50-årsfest den 6. februari 1898. In: Svenska Trädgårdsföreningens Tidskrift 1898, S. 22-26, 42-45, hier S. 23

[26] www. gartnersallskapet. se

[27] Jühlke, Daniel Müller, S. 568.

[28] Jühlke, Daniel Müller, S. 568.

[29] Müller, Der botanische Garten zu Upsala. In: Hamburger Garten- und Blumenzeitung. Hamburg 1853, S. 337-339, hier S. 339

[30]Jühlke, Daniel Müller, S. 568.

[31] Freundlicher Hinweis von Catharina Nolin. Vgl. Nolin, stadsboernas nytta , S. 341.

[32] Müller, Daniel, Die Bestimmung der Pflanze. In: Hamburger Garten- und Blumenzeitung 1855, S. 241-248, hier S. 248.

[33] Müller, Daniel, Versuch zur Beantwortung einer Preisfrage der k. Leopold.-Carolin.-Academie der Naturforscher. Ausgesetzt von Sr. Durchlaucht, dem Fürsten Anatol Demidoff, zur Feier des Allerhöchsten Geburtstages ihrer Majestät der Kaiserin Alexandra von Russland, am 17. Juni a. St. 1854; bekannt gemacht den 21. Juni 1853. Von Daniel Müller, botanischem Gärtner zu Upsala, in: Neue allgemeine deutsche Garten- und Blumenzeitung (1855), S. 1-20, hier S. 20.

[34] Jühlke, Daniel Müller, S. 567f.

[35] Müller, Daniel, Die Bestimmung der Pflanze, in: Hamburger Garten- und Blumenzeitung (1855), S. 241-248, hier S. 242.

[36] ebenda S. 245.

[37] Müller: Die Veränderung der Pflanzen durch die Kultur, Von Daniel Müller, botanischem Gärtner zu Upsala, in: Neue allgemeine deutsche Garten- und Blumenzeitung (1855), S. 49-56, 97-104, hier S. 51.

[38] Müller, Daniel, Ackerbau und Gärtnerei. In: Hamburger Garten- und Blumenzeitung 1855, S. 433-441, hier S. 441.

[39] Müller, Daniel, Die Veränderung der Pflanzen durch die Kultur. Von Daniel Müller, botanischem Gärtner zu Upsala, in: Neue allgemeine deutsche Garten- und Blumenzeitung (1855), S. 49-56, 97-104., hier S. 51.

[40] Franzén, Daniel Müller, S. 110. Vgl. Jühlke: Daniel Müller, S. 569.

[41] Müller, Daniel, Trädgårdsskötselns inflytande på åkerbruket, in: Svenska Trädgårdsföreningens Årsskrifvt (1856), S. 92-103, hier S. 96.

[42] Mansén, Elisabeth, Konsten att förgylla vardagen: Thekla Knös och romantikens Uppsala, Lund 1993, S. 110f.

[43] ebenda, S. 56

[44] Bremer, Fredrika, Hertha oder Geschichte einer Seele: Skizze aus dem wirklichen Leben von Friederike Bremer. Stuttgart 1857.

[45] Ebenda, S. 53, S. 86.

[46] ebenda, S. 341.

[47] Schnitter, Joachim, Svenska Trädgårdsföreningen, S. 34-52.

[48] www. dbw.nu/tradgard/index. htm

[49] Eneroth, Olof: P. Neijdel, D. Müller, M. Af Pontin. In: Svenska Trädgårdsföreningens Årsskrift 1858, S. 80-93, hier S. 89.

[50] ebenda, S. 89. Übersetzung von mir.

[51] ebenda S. 88. Übersetzung von mir.

[52] ebenda, S. 87.

[53] Daniel Müller an Ferdinand Jühlke, Brief vom 18.Juli 1857. In: Jühlke, Daniel Müller, S. 566f.

[54] Jühlke, Daniel Müller, S. 568f.

[55] Müller, Daniel u. Luise Müller, Gedichte von Daniel Müller und seiner Frau Louise, geborne Nernst,
Stockholm 1844, S. 2.